Interview

Franziska Giffey: Was Angela Merkel zu meiner Entscheidung gesagt hat

War der Amtsverzicht richtig? Berlins Regierende sagt: „Was uns wichtig ist, lässt sich mit der CDU einfacher durchsetzen.“ Und berichtet von einem Telefonat mit der Ex-Kanzlerin.

Abschied vom Amt nach anderthalb Jahren: Franziska Giffey auf der Dachterrasse vom Roten Rathaus.
Abschied vom Amt nach anderthalb Jahren: Franziska Giffey auf der Dachterrasse vom Roten Rathaus.Emmanuele Contini

Im Sommer, als es so aussah, als würde Franziska Giffey für fünf Jahre regieren, stieg der Maler Christopher Lehmpfuhl aufs Dach vom Roten Rathaus und hielt die Aussicht auf zwei großen Leinwänden fest: Fernsehturm und Marienkirche auf einer, Dom und Humboldt-Forum auf der anderen. Die Ölbilder, sehr groß, sehr bunt, hat Franziska Giffey in ihrem Büro aufgehängt. Sie sind das Einzige, was sie hier verändert hat. Sonst erinnert ihr Amtszimmer eher an ein Bürgermeister-Museum: Links in der Vitrine stehen Königspaar-Fotos aus der Diepgen-Zeit, mitten im Raum befindet sich das Karussell-Pferd, das Klaus Wowereit mal geschenkt bekommen hat, und an dem Schreibtisch, groß und grau, saß zuletzt Michael Müller, Giffeys Vorgänger.

Franziska Giffey sieht auf die Bilder und sagt: Es sei dann ja bald klar gewesen, dass nochmal neu gewählt werden müsse, da habe sie bis auf die Bilder alles so gelassen. Sie lächelt, wie sie immer gelächelt hat in den vergangenen Wochen, auch wenn sie eine Niederlage nach der anderen einstecken musste: das schlechteste Wahlergebnis in der Geschichte der Berliner SPD, Verlust ihres Direktmandats in Rudow und nun muss sie auch noch aus dem Roten Rathaus ausziehen, knapp anderthalb Jahre, nachdem sie hier eingezogen ist. 

Aber was heißt „muss“? Franziska Giffey hat es so gewollt, verzichtete lieber auf ihr Amt, als mit den Grünen und der Linken eine Koalition zu bilden und ist sogar bereit, unter Kai Wegner von der CDU Senatorin zu werden. Eine historisch einzigartige Entscheidung, die Verwunderung und Empörung auslöste, aber wenn die SPD-Basis zustimmt, kommt Giffey damit durch. Dann wird Kai Wegner am 27. April hier in dieses Büro im Roten Rathaus einziehen. Im Interview mit der Berliner Zeitung spricht Franziska Giffey erstmals öffentlich über die Gründe für ihre Entscheidung.

Frau Giffey, hätten Sie sich jemals im Wahlkampf vorstellen können, dass Sie Ihr Amt als Regierende Bürgermeisterin freiwillig aufgeben werden?

Nein. Wir haben damit gerechnet, dass die CDU etwas vor uns liegt. Aber mit einem Abstand von zehn Prozentpunkten haben wir nicht gerechnet.

Wo sehen Sie die Gründe für das schlechte Abschneiden der SPD?

Wir haben die Außenbezirke verloren, in denen sich schon beim letzten Mal viele eine andere Koalition gewünscht haben. Das habe ich auch an den Wahlkampfständen erlebt. Viele Leute in meinem Wahlkreis Rudow haben mir gesagt: Sie machen das gut, aber Sie gehen wieder mit den Grünen zusammen, und das wollen wir nicht.

Und die Krawalle in der Silvesternacht?

Die wurden im Wahlkampf stark instrumentalisiert. Wir haben sofort einen Gipfel gegen Jugendgewalt einberufen, Maßnahmen beschlossen, die schon umgesetzt werden. Aber das Bedürfnis der Bürger nach einem starken, handlungsfähigen Staat war da. Und die CDU hat das glaubhafter vermitteln können.

Ein Büro wie ein Museum: Das Karussell-Pferd ist von Klaus Wowereit, am Schreibtisch saß Michael Müller.
Ein Büro wie ein Museum: Das Karussell-Pferd ist von Klaus Wowereit, am Schreibtisch saß Michael Müller.Emmanuele Contini

Man kann die CDU nicht mit der AfD gleichsetzen

Mit Ihrer Forderung, die Vornamen der Täter zu veröffentlichen, die auch von der AfD hätte kommen können. Oder nicht?

Es war eine unsägliche Debatte und so etwas darf nicht wieder vorkommen. Menschen nach ihren Vornamen zu beurteilen, geht gar nicht. Aber man kann auch nicht die CDU mit der AfD gleichsetzen.

Haben Sie die Vornamen-Debatte gleich am Anfang der Koalitionsverhandlungen angesprochen?

Ja, wir haben das sehr deutlich gemacht. Es gibt Dinge, die sind für uns nicht verhandelbar. Wir haben ein umfangreiches Kapitel zur Stadt der Vielfalt erarbeitet. Darin geht es um den Kampf gegen jede Form von Extremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, gegen Antisemitismus, für eine umfangreiche Queer- und Gleichstellungspolitik. Wir haben sogar mehr, als wir im letzten Koalitionsvertrag hatten. Die CDU trägt das mit.

Gerade weil es so oft gesagt wird, klingt es aber auch ein wenig behauptet.

Fakt ist, wir müssen den Zusammenhalt in unserer Stadt stärken und die Interessen der Innenstadt und der Außenbezirke zusammenbringen.

Man kann nicht sagen: In der Innenstadt leben die Vernünftigen und denen in den Außenbezirken ist Klimaschutz egal.

Franziska Giffey, Regierende Bürgermeisterin von Berlin

Muss man das wirklich? In Großstädten wie London oder New York gibt es auch verschiedene Welten nebeneinander.

Mit „zusammenbringen“ meine ich nicht, dass man in Marzahn so leben muss wie in Kreuzberg, sondern, dass wir weder nur für die einen noch nur für die anderen Politik machen, sondern für die ganze Stadt. Zusammenhalt ist wichtig. Man kann nicht sagen: In der Innenstadt leben die moralisch Vernünftigen und denen in den Außenbezirken ist Klimaschutz egal. Das stimmt einfach nicht.


Franziska Giffeys letzte Tage als Regierende Bürgermeisterin

Aber zeigt das nicht das Wahlergebnis? Innen grün, außen schwarz?

Ich glaube, da zeigen sich eher die praktischen Probleme. Menschen, die in den Randbezirken leben, müssen ja irgendwie in die Stadt kommen, zur Arbeit, zum Arzt, und wenn das nicht mit dem Auto geschehen soll, brauchen wir einen attraktiven öffentlichen Nahverkehr. Diese verschiedenen Lebenswelten muss man berücksichtigen und nicht sagen, das eine ist besser und moralisch wertvoller als das andere.

Kai Wegner hat sinngemäß gesagt, der Wahlkampf war das eine, Regieren ist was anderes. Nehmen Sie ihm das ab?

Wenn man eine Wahl gewinnen will, ist es klar, dass Positionen geschärft und Forderungen gestellt werden. Und jetzt ist es damit vorbei. Jetzt muss geliefert werden. Wir haben ja nur noch dreieinhalb Jahre Zeit, das ist nicht viel, die Erwartungen sind hoch. Die Koalitionsverhandlungen waren sehr konstruktiv, sehr gut vorbereitet. Wir haben natürlich um vieles gerungen, aber uns eben nicht in endlosen Diskussionen verloren.

Was war der Unterschied zu den letzten Koalitionsverhandlungen?

Mehr Disziplin, mehr Wille zum Ziel, bessere Vorbereitung der Partner, größere Kompromissfähigkeit, keine gegenseitigen Vorwürfe.

Der Höhepunkt der Krise war der Wahlabend.

Franziska Giffey, Wahlverliererin

Wird man eigentlich gecoacht als Politiker? Oder wie schaffen Sie das, sich gerade noch zu beschimpfen und dann plötzlich friedlich miteinander zu arbeiten?

Nein, Coaching gibt es für gewöhnlich nicht. Man lernt durch Erfahrung. Ich mache das ja schon eine Weile, bin seit fast 20 Jahren in der Politik. Da weiß man, es gibt Wellenbewegungen, gute Zeiten, Krise, gute Zeiten, Krise.

Der erste Schock ist vorbei: Franziska Giffey hofft, dass die SPD-Basis dem Koalitionsvertrag zustimmt.
Der erste Schock ist vorbei: Franziska Giffey hofft, dass die SPD-Basis dem Koalitionsvertrag zustimmt.Emmanuele Contini

Welche Zeit ist jetzt?

Der Höhepunkt der Krise war der Wahlabend und der schwierige Weg zur Entscheidung. Jetzt sind wir noch nicht in sicherem Fahrwasser, aber der erste Schock ist vorbei, die große Aufregung hat sich beruhigt. Die SPD-Mitglieder lesen den Koalitionsvertrag und diskutieren. Aber wir können schon mal sagen: Er trägt eine sehr deutliche sozialdemokratische Handschrift und wir haben für uns sehr wichtige Ressorts bekommen.

Sie haben dafür ein großes Opfer gebracht und auf Ihr Amt der Regierenden Bürgermeisterin verzichtet. Warum?

Ich bin überzeugt davon, dass es die richtige Entscheidung für Berlin und die SPD ist.

Haben Sie die Vorwürfe, Sie würden an Ihrem Stuhl kleben, obwohl Sie die Wahl verloren haben, nicht mehr ausgehalten?

Ich fand das unsäglich und es hat mich persönlich auch sehr getroffen. Jemandem in politischer Verantwortung abzusprechen, an mehr zu denken als nur an das eigene Wohlbefinden und den Geldbeutel, das war heftig. Wenn mir das wichtig wäre, würde ich einen beruflichen Weg außerhalb der Politik suchen. Da hat man ein geregelteres Leben und weitaus weniger öffentlichen Druck. Deswegen ziehen ja viele gar nicht erst in Erwägung, in die Politik zu gehen.

Als sie in Neukölln jemanden suchten, der die Kreiskasse macht, hab‘ ich gesagt: Mach ich.

Franziska Giffey, SPD

Warum sind Sie in die Politik gegangen?

Weil ich was verändern will. Als ich Europa-Beauftragte in Neukölln wurde, mit 24 Jahren, habe ich Projekte für benachteiligte Jugendliche und Frauen in Not gemacht, wichtige Projekte, aber ich habe schnell gemerkt, wie groß hier Armut und Perspektivlosigkeit sind und dass die Frage, in welche Familie du geboren wirst, darüber entscheidet, welchen Weg du gehst. Das hat mich so bewegt, und ich habe mich gefragt, welche Partei ist die, die es am ehesten schafft, Bildungserfolg von sozialer Herkunft abzukoppeln. Für mich war es die SPD. Deshalb bin ich in die Partei eingetreten. Und als sie in Neukölln jemanden suchten, der die Kreiskasse macht, hab‘ ich gesagt: Mach ich. Und so nahmen die Dinge ihren Lauf.

Ausgerechnet der Neuköllner SPD-Verband hat gegen Ihren Vorschlag gestimmt, eine Koalition mit der CDU zu bilden. Tut das weh?

Das Ergebnis war sehr knapp: 48 zu 45. Die eine Hälfte steht also hinter unserem Weg, die andere nicht. Auch hier zeigt sich die Spaltung zwischen Innenstadt und Außenbezirk. Diejenigen, die in der Innenstadt wohnen, sind eher gegen die Koalition mit der CDU, je weiter sie in die Außenlagen kommen, desto größer wird die Zustimmung.

Also hat Sie das Ergebnis gar nicht so überrascht?

Nein. Ich war eher überrascht, dass es so knapp war.

Die Forderung, Andreas Geisel zu entlassen, kann ich nachvollziehen.

Franziska Giffey, Regierende Bürgermeister von Berlin

Ihr Direktmandat haben Sie auch verloren.

Mir ist das Gleiche passiert wie allen anderen, die in den Außenbezirken kandidiert haben. Rudow, wo mein Wahlbezirk ist, liegt im schwarzen Ring. Die Leute waren vor allem von der Verkehrspolitik enttäuscht. Und von der Wahlwiederholung an sich natürlich auch.

War es ein Fehler, Andreas Geisel nicht entlassen zu haben, der als Innensenator für die Pannenwahl verantwortlich war?

Die Forderung kann ich nachvollziehen. Nach dem Motto: Jetzt haben wir einen Schuldigen und der muss gehen. Aber ich bin sicher, es hätte nur kurz Befriedigung gegeben. Die Verantwortung für die Wahldurchführung 2021 lag auf vielen Schultern. Und in der Wiederholungswahl 2023 haben wir an vielen Stellen Dinge verbessern müssen – auch in den Bezirken.

Zurück zur Frage, wie Sie zu Ihrer Entscheidung gekommen sind, auf Ihr Amt der Regierenden Bürgermeisterin zu verzichten: Mit wem haben Sie sich beraten? Wieder mit Frau Merkel wie damals, als Sie Familienministerin waren und es Plagiatsvorwürfe zu Ihrer Doktorarbeit gab?

Beraten habe ich mich mit ihr nicht. Wir haben aber nach meiner Entscheidung telefoniert.

Was hat sie gesagt?

Chapeau!

Mit wem haben Sie sich dann beraten?

Wir waren ein Sondierungsteam. Da saßen neun Leute von der Parteispitze der SPD, die gemeinsam gesagt haben: So geht das nicht weiter. Und dann tauchte noch das Papier von den Grünen auf, wie sie sich das Regieren vorstellen. Danach hätte ich nicht mal mehr die Senatstagesordnung selbst festlegen dürfen. Der Führungsanspruch wurde von einem der bisherigen Partner grundsätzlich in Frage gestellt.

Wäre ich zurückgetreten, hätte es geheißen, sie ist feige. Wie kann sie nur alles hinwerfen!

Giffey über ihre Entscheidung, auf ihr Amt zu verzichten

Zu Recht nach dem knappen Wahlergebnis.

Ja, natürlich. Wir hätten Federn lassen müssen, auch was die Ressorts betrifft. Wir haben dann im Team erkannt, dass wir so nicht weitermachen können. Ein „Weiter so“ bedeutet nicht ein „Besser so“.

Giffey im Interview: Angela Merkel hat gesagt: „Chapeau!“
Giffey im Interview: Angela Merkel hat gesagt: „Chapeau!“Emmanuele Contini

Da hatten Sie auch schon den Gedanken, Senatorin unter Wegner zu werden?

Es gab viele Übereinstimmungen mit der CDU, viele grüne Haken hinter vielen unserer Themen. Und irgendwann war klar: Das, was uns wichtig ist, lässt sich mit der CDU einfacher durchsetzen. Das bedeutete, ich müsste einen Schritt zurückgehen und auf das Rote Rathaus verzichten. Mir wird jetzt vorgeworfen, ich hätte das ohne Not getan. Das stimmt nicht. Die CDU hat nun mal zehn Prozentpunkte mehr bekommen als die SPD. Das ist das Wahlergebnis. Und ja, es hat Beispiele in der Geschichte gegeben, dass an dem Wahlsieger vorbei parlamentarische Mehrheiten gesucht wurden. Aber wenn ich mir die Stimmung in der Bevölkerung ansehe und auch, was die Menschen als demokratisch ansehen, bin ich mir sicher, das ist die richtige Entscheidung. Wir wussten: Egal, was wir tun, von irgendeiner Seite gibt es immer Kritik.

Auch wenn Sie zurückgetreten wären?

Absolut, dann hätte es geheißen, sie ist feige, wie kann sie nur alles hinwerfen, alles im Stich lassen, sie übernimmt keine Verantwortung. Egal wie, man bekommt Kritik. Und deshalb habe ich überlegt, welcher Weg ist der, der mich am meisten überzeugt, für Berlin und für die Sozialdemokratie. Und das war diese Koalition.

Katja Kipping von der Linken hat gesagt, sie hätten sich zu sehr von der Stimmungsmache der Springer-Presse einschüchtern lassen.

Ich kann dazu nur sagen: Ich habe in den letzten Jahren gezeigt, dass ich Beleidigungen und Angriffe der Presse aushalte, wenn ich überzeugt bin, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Dann halte ich sehr viel aus. Das ist bei mir immer so. Und auch jetzt. Ich bin davon überzeugt, den richtigen Weg gegangen zu sein und deshalb kann ich viel aushalten. Menschen, die etwas um des eigenen Vorteils willen tun, von dem sie nicht überzeugt sind, gibt es auch. Die nennt man Opportunisten.

Was hat Kai Wegner zu Ihrer Entscheidung gesagt?

Der war überrascht. Damit hat er nicht gerechnet. Er hat gedacht, wenn er Regierender werden will, muss er das mit den Grünen hinkriegen.

Aber was hat er gesagt?

Fand er gut.

Wir haben uns, als es entschieden war, mal zum Essen getroffen und dann hat Kai Wegner mir das Du angeboten.

Franziska Giffey

Seit wann duzen Sie sich?

Wir haben uns, als es entschieden war, mal zum Essen getroffen und dann hat er mir das Du angeboten.

Aber Herrn Evers, den CDU-Generalsekretär, siezen Sie noch?

Nein, seit Sonntag nicht mehr.

Aber am Montag bei der Pressekonferenz haben Sie noch Herr Evers gesagt.

Das war ja auch ein offizieller Rahmen.

Stefan Evers hat fiese Tweets gegen Sie abgesetzt, im Wahlkampf und nach der Wahl.

Er ist nun mal der Generalsekretär der bisherigen Oppositionspartei CDU und damit Abteilung „Attacke“.

Hat er sich bei Ihnen entschuldigt?

Direkt nicht.

Und Sie können ihm trotzdem verzeihen?

So etwas gehört zur professionellen Zusammenarbeit. Für mich zählt, ob jemand gute Leistung abliefert, pragmatisch und seriös arbeitet. Und Evers, das muss man sagen, hat das in den Koalitionsverhandlungen getan.

Fühlt sich mehr als Frau denn als Ostdeutsche diskriminiert: Franziska Giffey, 44.
Fühlt sich mehr als Frau denn als Ostdeutsche diskriminiert: Franziska Giffey, 44.Emmanuele Contini

Haben Sie eigentlich die Oschmann-Debatte verfolgt?

Nein.

Dirk Oschmann, ein Literaturprofessor aus Leipzig, hat ein Buch über die Diskriminierung der Ostdeutschen geschrieben, das schnell zum Bestseller geworden ist. Und ich frage mich, wie es Ihnen geht: Fühlen Sie sich mehr als Frau oder als Ostdeutsche diskriminiert?

Mehr als Frau denn als Ostdeutsche, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass ich politisch in Neukölln verwurzelt bin. Und ich finde, dass mit Frauen in der Politik anders umgegangen wird als mit Männern.

Bei Frauen heißt es immer gleich: Zickenkrieg. Und es geht viel mehr um Äußerlichkeiten.

Franziska Giffey, 44 Jahre alt

Härter?

Natürlich, und kritischer. Wenn Männer sich streiten, sind sie stark, gewinnen an Profil. Bei Frauen heißt es immer gleich: Zickenkrieg. Und es geht viel mehr um Äußerlichkeiten.

Wie gehen Sie damit um?

Ich weiß, dass es so ist. Dass ich als Frau oft  in der Minderheit bin, die einzige Frau unter Männern, nicht nur in der ersten Reihe, auch in denen dahinter. Und Männer führen Diskussionen ganz anders.

Was genau ist anders bei Männern?

Allein das kumpelhafte Gehabe, die männlichen Rituale. Das kann man nicht ändern, aber man muss darauf bestehen, dass die eigene Position zählt. Und das mache ich, auch wenn es mehr Kampf bedeutet.

Fällt es Ihnen schwer, jetzt neben Kai Wegner zu stehen und ihm den Vortritt zu lassen?

Nein. Das ist doch klar. Jetzt muss er eben immer als Erster reden. Wichtig ist, was gesagt wird.

Dirk Oschmann schreibt, dass sich viele Ostdeutsche nicht trauen, gegenüber Westdeutschen ihre Herkunft zu verraten. Können Sie das nachvollziehen?

In Neukölln hatte ich mal ein Erlebnis. Eine Kollegin war völlig platt, als sie erfuhr, dass ich aus dem Osten bin. Sie hat gesagt: Hätte ich nie gedacht. Du bist ja gar nicht so jammerig. Auch so ein Vorurteil. Sonst hat es in Neukölln nie eine Rolle gespielt. Der Gegensatz zwischen Innenstadt und Außenbezirken ist heute viel wahrnehmbarer als der zwischen Ost und West.

Ich bin froh, dass der letzte Tag nicht mein 45. Geburtstag ist, der 3. Mai.

Franziska Giffey über ihr Amtsende

Aber stehen Sie und Herr Wegner nicht eher für die Außenbezirke? Wegner kommt aus Hakenfelde, Sie aus Briesen bei Frankfurt (Oder).

Also ich lebe in Friedrichshain-Kreuzberg und politisch ist meine Heimat in Neukölln. Ich bin seit über 20 Jahren Berlinerin. Dass meine Wurzeln nicht in Berlin liegen, habe ich mit der Hälfte der Menschen unserer Stadt gemeinsam.

In zwei Wochen werden Sie aus dem Roten Rathaus ausziehen. Fällt Ihnen das schwer?

Es geht. Ich bin froh, dass der letzte Tag nicht mein 45. Geburtstag ist, der 3. Mai.

Und wollen Sie wieder zurückkommen?

Na klar. Aber eins nach dem anderen. Jetzt wird erstmal gearbeitet.

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