Unwetter-Debatte

Ich habe schon einige Unwetter in Berlin erlebt – bin ich jetzt eine Klimaleugnerin?

Das Unwetter gestern in Berlin war heftig. Die Debatte in den sozialen Medien auch. Das erinnerte an die Corona-Debatte – und das verspricht nichts Gutes. Ein Kommentar.

Umgeknickter Baum nach dem Unwetter am Montag in Berlin. Vor allem der nördliche Teil Berlins war von dem Unwetter betroffen.
Umgeknickter Baum nach dem Unwetter am Montag in Berlin. Vor allem der nördliche Teil Berlins war von dem Unwetter betroffen.A. Friedrichs/imago

Gewitter, Orkanböen, Starkregen, Hagel, umgestürzte Bäume, Hunderte Feuerwehreinsätze: Das Unwetter am Montag in Berlin und Brandenburg war heftig, dass keine Menschen dabei ums Leben gekommen sind – ein großes Glück.

Das war in Berlin schon mal anders, im Oktober 2017 zum Beispiel, als Sturmtief „Xavier“ ein prominentes Opfer forderte: die Journalistin und Politik-Expertin Sylke Tempel, die in Heiligensee von einem Baum erschlagen wurde. Oder im Juli 2002, als fünf Menschen – darunter zwei Kinder – durch Sturmtief „Anita“ in Berlin und Brandenburg ums Leben kamen und 13 weitere zum Teil schwer verletzt wurden.

Das Unwetter am Montag in Berlin konnte natürlich in den sozialen Medien mit Fotos, Videos und Kommentaren live verfolgt werden. Wie bei mittlerweile jedem medienrelevanten Ereignis trendeten die entsprechenden Hashtags auf Twitter, Instagram und TikTok.

Dabei entwickelte sich auf Twitter eine Debatte, die – wie so häufig auf der Plattform von Elon Musk – sehr schnell aus dem Ruder lief. User stritten heftig darüber, ob man Wetterereignisse dieser Art in Berlin bereits erlebt habe oder ob es das erste Mal sei.

Die Fronten bildeten sich rasch: „Ich habe sowas noch nie gesehen“, schrieben die einen, „nennt man Sommergewitter“, antworteten andere. Dabei ging es weniger um empirische Beobachtungen, sondern um politische Positionierungen: Auf der einen Seite diejenigen, die die Außergewöhnlichkeit des gestrigen Unwetters mit Vehemenz betonten und sie in direkte Verbindung zum Klimawandel setzten; auf der anderen Seite ... die sogenannten Klimaleugner.

Den Vorwurf, ein solcher zu sein, mussten sich gestern viele gefallen lassen, die einige alarmierende Tweets über den Sturm kritisch bis polemisch kommentierten. Tenor: Wer in diesem Sturm, der gerade vor unseren Augen stattfindet, nicht eine direkte Folge des Klimawandels und Vorbote der anstehenden Klimakatastrophe sieht, ist ein gefährlicher Verharmloser.

„Die ganzen Verharmloser:innen hier in den Drukos werden die sein, die sich in den Schlangen bei der Ausgabe rationierter Lebensmittel und rationierten Wassers vordrängeln werden. Ich verachte euch“, kommentierte ein User.

Andere bringen am nächsten Tag die Aktivisten der Letzten Generation in direkte Verbindung mit dem Sturm in Berlin: „Gestern in Berlin. Und wir diskutieren über Klimakleber, Wärmepumpen und e-Fuels. Wie bescheuert sind wir eigentlich?“

Für die Bürgerplattform Campact wiederum sind die Privatjets der Superreichen am Unwetter schuld: „Wir können uns diese Superreichen nicht leisten! Während Wälder brennen und #Unwetter wüten, verpesten Superreiche mit ihren Privatjets hemmungslos die Atmosphäre.“

Das erinnerte stark an die Anfänge der Corona-Debatte, als der Hinweis darauf, dass jedes Jahr viele Menschen durch Grippe sterben, reichte, um als „Schwurbler“ abgestempelt zu werden, oder als „Querdenker“, wenn man sich kritisch über die Corona-Maßnahmen geäußert hat.

Heute wie damals haben wir ein Problem: Wir diskutieren politisch über wissenschaftliche Tatsachen. Und wir verwechseln politische Positionierungen mit wissenschaftlichen Wahrheiten. Von der Corona-Debatte haben wir in dieser Hinsicht ziemlich wenig gelernt, außer, dass es unangenehm werden kann, wenn man die eigene Social Bubble verlässt.

Wie in der Corona-Debatte: Mit dem Klimawandel leben

Aus einer rationalen, unideologischen Perspektive lassen sich weder die Existenz der Covid19-Pandemie noch der stattfindende, maßgeblich menschengemachte Klimawandel leugnen. Darüber, wie man mit extremen Wetterphänomenen, die nicht heftiger, sondern häufiger geworden sind, und was dies mit dem Klimawandel auf globaler Ebene zu tun hat, kann und muss man diskutieren, denn ja, es geht darum, wie wir uns an diese Veränderung anpassen werden, es geht schon ums Überleben. Das geht auch ohne Hysterie.

Eine solche Debatte sollte man aber nicht unbedingt mit Menschen führen, die von der anstehenden Apokalypse fantasieren oder das Wetter für ihre politischen Kampagnen instrumentalisieren. Das gestrige Unwetter in Berlin war nicht das erste und wird nicht das letzte sein. Anstatt darüber zu streiten, wie moralisch verkommen Menschen seien, die keine Apokalypse beschwören, wäre es produktiver, der pragmatischen Frage nachzugehen: Wie sind wir für immer häufiger werdende extreme Wetterphänomene gerüstet?

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