Nicht zum ersten Mal kommt es zu einem Streit zwischen den Berliner Behörden und Engagierten in der Flüchtlingshilfe wegen der geplanten Umverteilung von Geflüchteten in andere Teile Deutschlands. Dieses Mal geht es um eine Gruppe gehörloser Geflüchteter aus der Ukraine, die Ende März nach Köln ziehen sollte. Bisher sind die Geflüchteten zwar noch in Berlin, aber das könnte sich bald ändern.
Laut einer gemeinsamen Pressemitteilung des Gehörlosenverbandes Berlin (GVB) und des Flüchtlingsrates wurde die Gruppe von rund 180 Gehörlosen am 31. März überraschend aufgefordert, Berlin binnen drei Tagen zu verlassen. Zuvor waren die Gehörlosen bereits seit zwei Wochen in Berliner Hostels untergebracht. Am 31. März seien dann Busse vor dem Hostel vorgefahren, um die Geflüchteten nach Köln zu bringen. Dort sollten sie zunächst ebenfalls in einem Hotel unterkommen. Weitere Zusagen habe es laut Angaben des GVB aber nicht gegeben. Stattdessen seien die Geflüchteten von Behördenmitarbeitern „unter Druck“ gesetzt worden, als sie sich weigerten, in die Busse zu steigen.
Gebrochenes Versprechen von Franziska Giffey?
Die Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales erzählt hingegen eine andere Version der Geschichte. In einer Stellungnahme schreibt Verwaltungssprecher Stefan Strauß, es habe sich am 31. März um ein Angebot an die Gruppe von 166 Menschen gehandelt, damit sie „gemeinsam und direkt“ mit Bussen nach Köln gefahren werden können. Nur 18 Menschen hätten das Angebot angenommen. Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) habe die Verbindung nach Köln aufgenommen, um das Angebot dort vorzubereiten, denn die Mitarbeiter seien überzeugt gewesen, die Stadt könnte die Anforderungen für die Unterbringung einer großen Gruppe von Menschen mit Behinderung erfüllen, ohne sie voneinander zu trennen. Dies entspricht dem Wunsch der Gruppe.
So gebe es in Köln eine gute Infrastruktur für Gehörlose. Hierzu zählen ein Gehörlosenzentrum, Kitas und Schulen sowie die Möglichkeit einer gemeinsamen Unterbringung für die Gruppe. Es hätte dort eine „schnelle Einbindung“ in die „Gehörlosen-Community“ gegeben, so Strauß. Aber aufgrund der Verzögerung bei der Annahme des Angebots bestehe jetzt nicht mehr die Möglichkeit, die Gruppe gemeinsam in dem Hotel in Köln unterzubringen. Dazu haben „alle, die den Gehörlosen die Weiterfahrt nach Köln ausgeredet haben“, beigetragen, so Strauß.
Mail von SPD-Abgeordneten mit Absprache weckt Zweifel
Der vielleicht größte Streitpunkt ist die Frage, ob der Gruppe jemals versprochen wurde, dass sie dauerhaft in Berlin bleiben dürfe oder nicht. Der GVB und der Flüchtlingsrat sprechen von einem „gebrochenen Versprechen“ der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). Stefan Strauß bestreitet, dass das LAF jemals eine solche Zusage gemacht hat. Der Berliner Zeitung liegt allerdings eine Mail vom SPD-Abgeordneten im Berliner Abgeordnetenhaus Lars Düsterhöft vom 22. März vor. In dieser schreibt er, es gebe eine „Absprache“ mit dem LAF und der Sozialverwaltung, dass die Menschen in Berlin dauerhaft bleiben könnten. Auch Giffey habe seine Auffassung geteilt, so Düsterhöft in der Mail, dass die gehörlosen Geflüchteten in Berlin bleiben müssten.
Im Gespräch mit der Berliner Zeitung sagt Düsterhöft, weder er noch Franziska Giffey hätten „an irgendeiner Stelle eine Zusage gemacht“. Dennoch: „Es ist mein Fehler, dass ich Hoffnung gegeben habe.“ Die Berliner SPD-Fraktion habe inzwischen eine Empfehlung an alle Mitglieder gegeben: Haltet euch raus.
Zunächst wird noch ein Großteil der Gruppe in einer Containerunterkunft mit Vollverpflegung in Buch untergebracht. Dort sei die Stimmung „nicht optimal“. Auch das Essensangebot ließe viel zu wünschen übrig, so Clara Belz, Flüchtlingsbeauftragte des Gehörlosenverbands Berlin. Alle seien sehr verunsichert, sie hätten Angst davor, von der Polizei in Busse gezerrt zu werden. Auch Versuche, die Kriterien des Senats für eine Zuweisung der Gehörlosen nach Berlin zu interpretieren, konnten für keine Beruhigung sorgen. Die Kriterien seien „zu schwammig formuliert“, so Belz.
Zudem hätten keine direkten Gespräche mit Vertretern des Senats stattgefunden. Eine transparente Kommunikation habe es auch in den letzten Tagen nicht gegeben. „Unsere zentrale Forderung ist es, dass mit uns gesprochen wird und nicht über uns“, so Belz. Außerdem wünscht sie sich Kommunikation auf Augenhöhe mit den Gehörlosen und ihre Unterbringung in einer Unterkunft mit Selbstversorgung.
Sozialverwaltung spricht von „Gerüchten und Anschuldigungen des Flüchtlingsrates“
Die Umverteilung der Gehörlosen nach Köln ist kein Einzelfall. Ende März mussten ungefähr 120 Geflüchtete, die bis dahin zwei Wochen lang in dem Lichtenberger Hostel Generator nach Absprache mit dem LAF untergebracht waren, ihre Zimmer verlassen. Anfang letzter Woche musste zudem eine zweite Gruppe ähnlicher Größe das Schöneberger City Hotel Ansbach verlassen, nachdem das LAF den Mietvertrag gekündigt hatte.

In dem Fall sehen viele einen Widerspruch in der bisherigen Senatspolitik bezüglich der Frage, welche Geflüchteten einen Anspruch darauf haben, in Berlin zu bleiben. Laut dem Königsteiner Schlüssel hat Berlin nur fünf Prozenten der Geflüchteten unterzubringen. Tatsächlich hat Berlin aber prozentual mehr als alle anderen Bundesländer aufgenommen, und nicht alle werden in der Stadt bleiben können, so Giffey diese Woche. Der Senat wolle aber sicherstellen, dass besonders schutzbedürftige Menschengruppen in der Stadt bleiben dürfen. Die Streitfrage lautet nun: Sind Gehörlose besonders schutzbedürftig?
Stefan Strauß findet, dass es zu einer guten Integration gehöre, über Jahre und Jahrzehnte den Menschen „eine gute Unterkunft und Krankenversicherung sowie umfassende gesellschaftliche Teilhabe und Betreuung im Bedarfsfall“ zu garantieren. Das sei eine Herausforderung, wobei die Beteiligung auch anderer Bundesländer notwendig sei. Als die „Anschuldigungen des Flüchtlingsrates zur Situation in Köln“ bekannt geworden waren, habe sich Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) sogar über das Angebot des dortigen Gehörlosenzentrums persönlich informiert, so Strauß.
Enttäuschung mit Kipping als Sozialsenatorin
Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin bezweifelt nun, dass die Situation für die Gehörlosen in Köln besser wäre als in Berlin. „Ich habe 30 Jahre lang an der Freien Universität als Berater für behinderte Studenten gearbeitet und aus diesem Hintergrund weiß ich, dass die Community, die Selbstorganisation und die Beratungsstruktur für Gehörlose in Berlin im bundesweiten Vergleich mit Abstand am weitesten entwickelt ist“, sagt er. Er bezweifelt auch, ob es ein Unterrichtsangebot in der Muttersprache der Gruppe, der russischen Gebärdensprache, in Köln gebe. In der Gehörlosenschule im Berliner Westend wird hingegen in der Sprache unterrichtet. Dort hatten einige Kinder in der Gruppe bereits Zusagen erhalten. Auch einige Erwachsene hätten dort Arbeit finden können.




