Fragebogen Berlin

Tim Raue: „Bringt gefälligst die Provinz nicht mit nach Berlin!“

In unserer Fragebogen-Rubrik blicken bekannte Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt auf Berlin. Heute: der Spitzenkoch und Unternehmer Tim Raue.

Wuchs in einfachen Verhältnissen in Kreuzberg auf: Sternekoch Tim Raue.
Wuchs in einfachen Verhältnissen in Kreuzberg auf: Sternekoch Tim Raue.Benjamin Pritzkuleit

Berlin hat rund 3,7 Millionen Einwohner, sie sind so verschieden wie die Stadt selbst. Was also macht Berlin aus, wieso lebt man hier – und tut man es überhaupt gern? In unserer Rubrik „Fragebogen Berlin“ fragen wir bekannte Hauptstädterinnen und Hauptstädter nach ihren Lieblingsorten und ihren persönlichen No-go-Areas. Sie verraten ihre Gastro-Geheimtipps, Shopping-Favoriten und Kiezgeheimnisse. Aber auch, was sie an Berlin nervt und was man hier auf keinen Fall tun sollte.

Diesmal hat Tim Raue unsere Fragen beantwortet. Der Unternehmer und Spitzengastronom ist einer der bekanntesten Köche des Landes und einer der wenigen, die sich auch international einen Namen gemacht haben. Mit dem Claim „Berliner Schnauze und global thinking “ ist sein mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnetes Restaurant Tim Raue in der Rudi-Dutschke-Straße überschrieben. Doch Tausendsassa Raue steht nicht nur in Kreuzberg in der Küche. Als kulinarischer Berater betreut der 48-Jährige, der mit seiner Frau Katharina in Wilmersdorf wohnt, auch weitere Restaurants, er hat Bücher geschrieben und ist regelmäßig im Fernsehen zu sehen. Zum Beispiel als Coach in der Kochshow „The Taste“, deren zehnte Staffel ab 21. September auf Sat.1 ausgestrahlt wird. 

1.           Herr Raue, seit wann sind Sie schon in der Stadt?

Seit dem 31. März 1974, meinem Geburtstag in Neukölln. Aufgewachsen bin ich am Schlesischen Tor, seit 2003 lebe ich in Wilmersdorf. Da bin ich damals hingezogen, um nahe an meinem Arbeitsplatz, dem Swissôtel, zu wohnen. Ich hatte als Küchendirektor sportliche Arbeitszeiten und wollte in Laufdistanz wohnen.

2.           Welcher ist Ihr Lieblingsort in Berlin?

Das ist das KaDeWe. Weil es als Kind mein Sehnsuchtsort war, dort gab es alles. Es war bunt, wuselig und so wunderschön! Die Auslagen, die dekorierten Lebensmittel im sechsten Stock, das war mein Paradies. Und einmal im Jahr, zwischen Weihnachten und Silvester, hatte meine Mutter gespart und wir gingen uns dort ein paar Leckereien kaufen. Rehrückenmedaillons mit Lebercreme in Madeira-Aspik und Cranberrys, das war für mich ein Feuerwerk der Aromen und Texturen, das absolute Highlight in jedem Jahr.

3.           Wo zieht es Sie hin, wenn Sie entspannen wollen?

Wir haben noch einen Wohnsitz in Graz, der Heimatstadt meiner Frau. Dort bin ich sehr gerne, es ist deutlich gelassener als Berlin. In den Sommermonaten sind wir auch in unserem Haus auf Sizilien.

4.           Welche Ecken der Stadt meiden Sie?

Alle touristischen. Das ist mir zu unruhig. Vor allem Gruppen, die sich unkoordiniert bewegen, finde ich sehr nervig.

5.           Ihr ultimativer Gastro-Geheimtipp?

Die Osteria Centrale. Jeder braucht einen Lieblingsitaliener! Die puristische Küche mit besten Zutaten und die sehr gute Weinkarte wird von einem sehr persönlichen Service ergänzt. Unbedingt reservieren.

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Zur Person
Tim Raue wuchs in Kreuzberg auf und war nach eigener Aussage in seiner Jugendzeit Mitglied einer Jugendbande. Ausgebildet im Châlet Suisse im Grunewald, wurde er mit 23 Jahren erstmals Küchenchef im Berliner Restaurant Rosenbaum. 2002 wechselte er zum Restaurant 44 im Swissôtel, wo seine Küche mit einem Michelin-Stern und 18 Punkten im Gault-Millau ausgezeichnet wurde. Später kochte er auch im Hotel Adlon und eröffnete 2010 in Kreuzberg das Restaurant Tim Raue, das auf der Liste der „The World’s 50 Best Restaurants“ aktuell auf Platz 26 geführt wird.

Der 48-Jährige, der seit 2017 in zweiter Ehe mit Katharina Wolschner (Foto) verheiratet ist, ist der bislang einzige deutsche Koch, dem die Netflix-Serie „Chef’s Table“ eine eigene Folge gewidmet hat. 2019 löste er in der Kochshow „The Taste“ Cornelia Poletto als Coach ab. Die zehnte Staffel ist ab 21. September immer mittwochs um 20.15 Uhr auf Sat.1 zu sehen.

6.           Ihr ultimativer Shopping-Geheimtipp?

Andreas Murkudis in der Potsdamer Straße mag ich sehr, die Auswahl ist individuell und fernab vom Mainstream.

7.           Der beste Stadtteil Berlins ist …

… der, in dem man sich zu Hause fühlt. Berlin ist divers und jeder kann seinen Platz finden. Das ist das Besondere an Berlin.

8.           Das nervt mich am meisten an der Stadt:

Die Inkompetenz der Politik und der Betreiber des BER, die einen Flughafen führen, der keine Direktflüge in die wichtigsten Metropolen der Welt anbietet und damit provinziell ist. Die operativen Probleme des BER sind einfach nur peinlich.

9.           Was muss sich dringend ändern, damit Berlin lebenswert bleibt?

Ich mag es nicht, wenn alles überreguliert wird. Die Entwicklung ist nun mal dynamisch, die Stadt verändert sich und damit auch die Gegebenheiten.

10.         Ihr Tipp an Unentschlossene: Nach Berlin ziehen oder es lieber bleiben lassen?

Berlin ist in Deutschland die Stadt am Puls der Zeit. Es ist eine offene Stadt, die nahezu alles zulässt und in der fast alles möglich ist. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen, die zu uns kommen, nicht vergessen, dass sie nach Berlin gekommen sind, um der Provinz zu entfliehen – und die Provinz gefälligst nicht mitbringen!

11.         Cooler als Berlin ist …

... keine andere Stadt in Deutschland.