Fragebogen Berlin

Anna Thalbach: „Die Atmosphäre am Alexanderplatz mag ich gar nicht“

In unserer Fragebogen-Rubrik blicken bekannte Bewohnerinnen und Bewohner dieser Stadt auf Berlin. Heute die Schauspielerin Anna Thalbach.

Hier geboren, hier geblieben: die Berlinerin Anna Thalbach.
Hier geboren, hier geblieben: die Berlinerin Anna Thalbach.Markus Nass

Berlin hat rund 3,7 Millionen Einwohner, sie sind so verschieden wie die Stadt selbst. Was also macht Berlin aus, wieso lebt man hier – und tut man es überhaupt gern? In unserer Rubrik „Fragebogen Berlin“ fragen wir bekannte Hauptstädterinnen und Hauptstädter nach ihren Lieblingsorten und ihren persönlichen No-go-Areas. Sie verraten ihre Gastro-Geheimtipps, Shopping-Favoriten und Kiezgeheimnisse. Aber auch, was sie an Berlin nervt und was man hier auf keinen Fall tun sollte.

Diesmal hat die in Ostberlin geborene Schauspielerin Anna Thalbach unsere Fragen beantwortet. Als Spross einer bekannten Theaterfamilie ist sie auf den Bühnen der Stadt zu Hause. 1993 spielte sie ihre erste Theaterrolle in „Ollys Gefängnis“ im Berliner Ensemble. Aktuell kann man sie im Kriminalspektakel „Mord im Orientexpress“ sehen – das Stück läuft vom 13. August bis zum 11. September in der ins Schiller-Theater umgesiedelten Komödie am Kurfürstendamm. Dabei sind drei Thalbach-Generationen involviert: Katharina Thalbach (68) führt Regie und spielt den Meisterdetektiv Hercule Poirot, Anna Thalbach (49) übernimmt die Rolle der Mary Debenham, und Nellie Thalbach (27) steht als Gräfin Andrenyi auf der Bühne.

1.          Frau Thalbach, seit wann sind Sie schon in der Stadt?

Meine Urgroßmutter hat schon in Berlin gewohnt, ich lebe seit dem 1. Juni 1973 hier. In manchen Momenten denke ich, dass meine Familie hier den Kaiser, die Faschisten, die Kommunisten und Kapitalisten erlebt hat, und ich versuche mir vorzustellen, was da folgen könnte … Alles wieder von vorn? Oder was ganz anderes?

2.           Welcher ist Ihr Lieblingsort in Berlin?

Mein Lieblingsort ist mein Zuhause und das von Nellie, da bin ich am glücklichsten.

3.           Wo zieht es Sie hin, wenn Sie entspannen wollen?

Die ultimative Entspannung erfahre ich auch daheim. Aber ich gehe sehr gerne zur Massage, gerne auch mal eine amtliche Thaimassage, da kann ich gut relaxen.

4.           Welche Ecken der Stadt meiden Sie?

Ich finde „meiden“ einen sehr negativen Ausdruck. Jede Großstadt hat ihre Seiten und Gegensätze. Ich gehe nicht gern zum Alexanderplatz, ich mag die Atmosphäre gar nicht und finde die Läden und die Gastronomie nicht ansprechend. Vor der Pandemie, als es hier von Touristen nur so wimmelte, da hab ich es „vermieden“, am Wochenende frühstücken zu gehen, weil in den Cafés in meinem Kiez dann alles überfüllt war.

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dpa
Zur Person
Anna Thalbach wurde am 1. Juni 1973 in Ostberlin in eine Theaterfamilie hineingeboren. Ihre Mutter ist die Schauspielerin Katharina Thalbach, ihr Vater der Schauspieler Vladimir Weigl, Neffe von Helene Weigel. Unser Foto zeigt Anna Thalbach (r.) mit ihrer Mutter und ihrer Tochter Nellie, flankiert von Designer Guido Maria Kretschmer, bei der Pressekonferenz zum Theaterstück „Mord im Orientexpress“.

Bereits als Kind spielte Anna Thalbach kleinere Rollen. Ihren ersten Bühnenerfolg feierte sie an der Seite ihrer Mutter in Brechts „Mutter Courage“. Ihr Spielfilmdebüt gab sie 1990 in Hark Bohms „Herzlich willkommen“. Später stand die Berlinerin unter anderem für „Der Baader Meinhof Komplex“ vor der Kamera. Neben der Schauspielerei ist Thalbach auch als Hörbuchsprecherin tätig. Für ihre Lesung des Romans „Paint It Black“ von Janet Fitch wurde sie 2008 mit dem Deutschen Hörbuchpreis als beste Interpretin bedacht.

5.           Ihr ultimativer Gastro-Geheimtipp?

Ich gehe selten in Restaurants, daher kann ich damit nicht wirklich aufwarten, aber ich liebe den Markt am Arkonaplatz, die Auswahl ist toll, und da steht immer der Forellen-Mann und kann sich vor Kundschaft nicht retten.

6.           Ihr ultimativer Shopping-Geheimtipp?

Die Kunstbuchhandlung am Savignyplatz, die ist toll, ich hab da mal Karl Lagerfeld getroffen, und der hat so viele Bücher gekauft, dass sie in Umzugskartons gepackt wurden. Und natürlich Grober Unfug, ein Comicladen. Ich liebe Comics, in ihnen vereinen sich meine großen Lieben: Literatur, Bilder und Film.

Ein Lieblingsladen von Anna Thalbach: die Comic-Buchhandlung Grober Unfug, hier die Filiale in Kreuzberg.
Ein Lieblingsladen von Anna Thalbach: die Comic-Buchhandlung Grober Unfug, hier die Filiale in Kreuzberg.dpa/Carsten Koall

7.           Der beste Stadtteil Berlins ist …

Es gibt keinen besten Stadtteil, die sind ja auch dem ständigen Wandel unterworfen – und die meisten Berliner kennen eh nur um die drei Bezirke. Ich mochte das Schöneberg und das Kreuzberg der 80er- und 90er-Jahre, in den 90ern war es auch in Mitte und Prenzlauer Berg bunt und lebendig. Jetzt sind auf der Kastanienallee vier Babyläden hintereinander und die Subkultur verschwindet.

8.           Das nervt mich am meisten an der Stadt:

SUV und leider viele Radfahrerinnen und Radfahrer. Als Fußgängerin fühle ich mich von beiden Parteien belästigt. Ich verstehe auch nicht, warum die Autos größer werden, wenn es immer weniger Platz gibt. Die Interessen aller zu bündeln, klappt nicht wirklich gut.

9.           Was muss sich dringend ändern, damit Berlin lebenswert bleibt?

Ganz klar, die Mieten. Als ich jung war, konnte man jederzeit umziehen und verschiedene Bezirke ausprobieren, es gab Orte, an denen die Subkultur gut gedeihen konnte und geschützt war. Die Subkultur ist der Nährboden für die Kultur und geistige Weiterentwicklung, wenn die Muttererde nichts taugt, wächst am Ende nichts mehr. Berlin war immer laut und direkt, angeberisch mitunter, aber jetzt ist auch hier das Protzen salonfähig geworden. Das ist mir persönlich nicht sehr sympathisch.

10.         Ihr Tipp an Unentschlossene: Nach Berlin ziehen oder es lieber bleiben lassen?

Jeder muss für sich entscheiden, was er zum Leben braucht. Ich lebe hier seit 49 Jahren – und wie in einer Ehe gibt es helle und dunkle Stunden. Ich glaube, dass eine Großstadt dich tragen kann, wenn es dir gut geht, aber sie fängt dich nicht auf, wenn du fällst.

11.         Cooler als Berlin ist nur noch …

Da wären wir wieder beim Ranking. Ich mag das nicht so, wenn man so etwas macht, ist doch immer irgendwer traurig. Cooler als Berlin ist der Ort, wo Frieden, Toleranz, Vielfalt, Weisheit, Wärme, Witz und Gastfreundschaft wohnen. Wenn jemand die Adresse hat, immer her damit!