Fragebogen Berlin

„Fanatiker auf beiden Seiten“: Ulrich Matthes schimpft über Raser und Radler

In unserer Fragebogen-Rubrik blicken bekannte Berlinerinnen und Berliner auf ihre Stadt. Heute mit Schauspieler und Grimme-Preisträger Ulrich Matthes.

Lebt in Charlottenburg, mit Himbeeren auf dem Balkon: Ulrich Matthes.
Lebt in Charlottenburg, mit Himbeeren auf dem Balkon: Ulrich Matthes.Benjamin Pritzkuleit

Berlin hat rund 3,7 Millionen Einwohner, sie sind so verschieden wie die Stadt selbst. Was also macht Berlin aus, wieso lebt man hier – und tut man es überhaupt gern? In unserer Rubrik „Fragebogen Berlin“ fragen wir bekannte Hauptstädterinnen und Hauptstädter nach ihren Lieblingsorten und ihren persönlichen No-go-Areas. Sie verraten ihre Gastro-Geheimtipps, Shopping-Favoriten und Kiezgeheimnisse. Aber auch, was sie an Berlin nervt und was man hier auf keinen Fall tun sollte.

Diesmal hat der Schauspieler Ulrich Matthes unsere Fragen beantwortet – sehr ausführlich und mit Liebe fürs Detail, wie wir hier lobend erwähnen möchten. Als gebürtiger West-Berliner ist der 63-Jährige, der in Filmen wie „Der Untergang“, im „Tatort“ und am Deutschen Theater spielte, seinen Wurzeln bis heute treu geblieben. Er lebt in Charlottenburg – mit Himbeeren auf dem Balkon.

1.           Herr Matthes, seit wann sind Sie schon in der Stadt?

Ich bin tatsächlich hier geboren. Damals gab es hinter den drei Hausnummern unseres Wohnblocks in der Salzbrunner Straße noch einen verwilderten Garten mit Goldruten, Apfel- und Birnbäumen. Und sogar Mirabellen, an denen ich mir den Magen verkorkste. Seitdem hab ich keine mehr gegessen, obwohl sie so schön heißen. Eines Nachmittags griff ich in eine kinderhandgroße grüne Scherbe, die Narbe hab ich heute noch. Bei Butter Beck habe ich SchokoRosis geklaut, als Mutprobe. Bei der kinderlosen Kioskfrau durfte ich stundenlang Fix und Foxi umsonst lesen. Viel später, als ich von 1983 bis '92 nicht in Berlin engagiert war, hatte ich entsetzliches Heimweh nach zu Hause, also nach Berlin.

2.           Was ist Ihr Lieblingsort in Berlin?

Es gibt Orte, die ich sehr mag, ich war aber nur ganz selten da. Die Pfaueninsel zum Beispiel. Dreimal vielleicht übergesetzt, in Jahrzehnten! Schon das Übersetzen: tolle Sache! Warum fahre ich da nie hin? Das sind so die Rätsel. Oder der Teufelsberg! Wo ich aber wirklich sehr oft bin: der Vorplatz des Deutschen Theaters. Den liebe ich sehr. Offen, hell, erwartungsvoll.

Warum bin ich hier nicht öfter, fragt sich nicht nur Ulrich Matthes: das Schloss auf der Pfaueninsel.
Warum bin ich hier nicht öfter, fragt sich nicht nur Ulrich Matthes: das Schloss auf der Pfaueninsel.Imago/Jürgen Ritter

3.           Wo zieht es Sie hin, wenn Sie entspannen wollen?

Dann setz ich mich auf meinen Balkon und kucke.

4.           Welche Ecken der Stadt meiden Sie?

Ich meide nichts. Ich bin nur einfach nie in, sagen wir mal, Lichtenrade, Köpenick oder Weißensee. Wobei der Jüdische Friedhof in Weißensee sehr schön ist. Und jeden Sommer denke ich, geh doch mal Boot fahren in Köpenick! Kann man da Boot fahren? Bestimmt, ich verschiebe es aber von Sommer zu Sommer. In Lichtenrade kann man womöglich auch Boot fahren...

5.           Ihr ultimativer Gastro-Geheimtipp?

Als ich mal Reklame für einen Italiener gemacht habe, wurde er danach noch voller als eh schon. Also vermeide ich seitdem solche Empfehlungen. Ich gehe selten, dann aber mit größtem Vergnügen in die sechste KaDeWe-Etage. Da ich eher der Tomatensalat- als der Kaviar-Typ bin, war es für mich eine Enttäuschung, dass es plötzlich den Selleriesalat dort nicht mehr gab. Mein ultimativer Gastro-Tipp: der wiedereingeführte Selleriesalat im KaDeWe.

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Imago/Frederic Kern
Zur Person
Ulrich Matthes kam 1959 in Wilmersdorf zur Welt. Schon mit zehn Jahren hatte er erste TV-Rollen, entschied sich jedoch zunächst für den Lehrerberuf und studierte Germanistik und Anglistik an der Freien Universität.

Ermutigt durch eine Begegnung mit Martin Held brach Matthes sein Studium ab und nahm Schauspielunterricht bei Else Bongers. In den Achtzigern spielte er viel Theater, etwa an den Münchner Kammerspielen, am Burgtheater in Wien sowie in Berlin in der Schaubühne am Lehniner Platz und am Deutschen Theater, wo er seit 2004 festes Ensemblemitglied ist.

Spätestens durch seine Rolle als Joseph Goebbels im Film „Der Untergang“ (2004) wurde Matthes einem breiteren Publikum bekannt. Für den Tatort „Im Schmerz geboren“ bekam er 2015 den Grimme-Preis. 2021 outete sich Matthes im Rahmen der Initiative ActOut im SZ-Magazin mit 184 anderen lesbischen, schwulen, bisexuellen, queeren, nicht-binären und trans* Schauspielern. Im Mai 2022 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet (Foto).

6.           Ihr ultimativer Shopping-Geheimtipp?

Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich ein einziges Mal bei Amazon etwas bestellt, drei weiße T-Shirts. „Ultimativ“ rate ich davon ab, digital einzukaufen. Außer man wohnt auf einer der Halligen. Ich kaufe fast immer nur zufällig (außer Schuhe), und dann immer lustvoll (außer Schuhe). Vor allem Hemden. Kleine Läden, in Köln mal in einer Sackgasse, drei Hemden!! Also nochmal: kleine Läden unterstützen! Gerade nach Corona.

7.           Der beste Stadtteil Berlins ist …

Dieses „Mein-Kiez-ist-der-schönste“…, puh! In den Neunzigern erntete man (auch ich) mitleidige Blicke, wenn man gestand, dass man in Charlottenburg wohnt. Jetzt ist es schon länger angesagt. Aha. Da ich nun mal zufällig in West-Berlin geboren wurde, habe ich im Westen der Stadt einfach immer noch dickere Wurzeln, ganz normal. Zufällig in Friedrichshain geborenen Menschen geht das bestimmt auch so. Ganz normal.

8.           Das nervt mich am meisten an der Stadt:

Der ideologisch aufgeladene Verkehr. Jeder gegen jeden (m, w, d). Fanatiker auf beiden Seiten. Schnauze voll von SUVs, die mit 80 an einer Schule vorbeirasen, wie täglich bei mir ums Eck. Schnauze voll von Bei-Rot-Radlern, denen ich durch Vollbremsung das Leben rette und die mich dafür als „Autonazi“ beschimpfen, wie neulich von einer Mutter mit Dreijährigem hinten drauf, ohne Helm. Schnauze voll.

9.           Was muss sich dringend ändern, damit Berlin lebenswert bleibt?

Bleibt ja lebens- und sogar liebenswert … Trotz allem.

10.         Ihr Tipp an Unentschlossene: Nach Berlin ziehen oder es lieber bleiben lassen?

Kommse ma!

11.         Cooler als Berlin ist nur noch …

Berlin in zehn Jahren.