Die Welt ändert sich in Zeiten des Klimawandels rasant – auch die Wirtschaft. Das zeigt sich zum Beispiel in der Lausitz – bislang für viele Kritiker eine der großen klimatechnischen Schmuddelecken der Republik wegen der 150 Jahre währenden Braunkohle-Historie. Eine Region, in der die radikale Ende-Gelände-Bewegung schon vor Jahren Tagebaue und Bagger besetzt hat, um so einen schnelleren Ausstieg aus der Verstromung der Braunkohle zu erzwingen.
Nun soll es dort mit dem Umstieg von der klimaschädlichen Kohle auf sogenannten Grünstrom aus Sonne, Wind und Wasserstoff recht schnell gehen. Die Region zwischen Brandenburg und Sachsen soll von der wichtigsten Braunkohleregion im Osten zur wichtigsten Erzeugerregion für grünen Strom in ganz Deutschland umgerüstet werden. So jedenfalls sagte es Thorsten Kramer, Chef des Energiekonzerns Leag, kürzlich in Berlin. „Es wird kein Bundesland geben, das mehr grünen Strom liefert. Aus rein deutscher Sicht wird die Lausitz der größte Grünstromversorger aus Deutschland für Deutschland werden.“
Doch der Vorstandsvorsitzende übt auch scharfe Kritik an der Bundesregierung. Denn ins Konzept für die Lausitz sind auch Wasserstoffkraftwerke eingebunden, die bei den sogenannten Dunkelflauten mit Strom aushelfen sollen, wenn Solar- und Windanlagen nicht liefern können. Doch die Kraftwerke müssen mit dem klimafreundlichen Gas auch beliefert werden. Dafür plant die Bundesregierung gerade ein bundesweites Netz. Erste Zwischenergebnisse wurden vergangene Woche bekannt: Bislang fehlt der Anschluss der Lausitz.
1200 Tanklastzüge – wohlgemerkt pro Tag
„Für uns ist es sehr befremdend, dass die Pipeline in Ostdeutschland so geplant ist, dass sie nicht in der Nähe unserer Kraftwerke vorbeikommt“, sagte Kramer. Es sei unrealistisch, die Kraftwerke per Lastwagen mit Wasserstoff zu versorgen. „Wir bräuchten 1200 Tanklastzüge, um ein Kraftwerk einen Tag betreiben zu können“, sagte er. „Ohne die Versorgungspipeline werden wir nicht in die Investitionen einsteigen.“
Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) sagte, dass die Brandenburger Seite den Anschluss der Lausitzer Kraftwerke plane – unabhängig von den bislang fehlenden Plänen des Bundes. „Da sind wir weiter als der Bund.“ Der grüne Strom gilt längst als Ansiedlungsgrund: „Die ausländische Industrie fragt ganz klar nach grünem Strom“, sagte Steinbach. Sonst würden sie sich nicht ansiedeln.

Der Energiekonzern gehört mehrheitlich einer tschechischen Milliardärsfamilie. Die Leag hat die Lausitzer Kohlesparte 2016 von Vattenfall übernommen und wird immer wieder von Umweltverbänden kritisiert. Doch nun soll die grüne Wende kommen. Der Standortvorteil: In der Lausitz gibt es riesige ehemalige Tagebauflächen, sogenannte Mondlandschaften. Dort ist die Natur umgewühlt und zerstört und muss nun renaturiert werden. Dort sei ausreichend Platz für Windräder und Solaranlagen, heißt es. So viel Platz, wie es ihn sonst nirgends in Deutschland gibt. Deshalb sind in der Lausitz die bundesweit größten Windparks auf dem Festland geplant.
Bislang speist die Leag nach eigenen Angaben acht Gigawatt Kohlestrom ins Netz. „Bis 2030 sollen es sieben Gigawatt grüner Strom sein“, sagte Kramer. „Bis 2040 wollen wir 14 Gigawatt Grünstrom liefern können.“ Zwei bis drei Gigawatt sollen aus Wasserstoffkraftwerken kommen, für die der Anschluss ans Pipelinenetz nötig ist.
Einmalige Chance für die Lausitz
Die Pläne für den Umstieg laufen seit vier Jahren, es geht um Investitionen von etwa 600 Millionen Euro. „Das ist ein massiver Anschub für den Strukturwandel in der Lausitz“, sagte Kramer. Er geht davon aus, dass sich mit dem Umstieg auch neue Großindustrie ansiedeln wird. Und wenn die da sei, folgten der Mittelstand und Investitionen der öffentlichen Hand. „Eine solche Chance wird die Lausitz nie wieder bekommen.“
Doch der Leag-Chef machte auch eine klare Ansage an die Grünen und mehr oder weniger radikale Klimaaktivisten. Die Politik plant den Kohleausstieg bislang für 2038, doch es läuft die Debatte, das Datum vorzuziehen. „Ein Ausstieg bis 2038 oder auch 2035 ist realisierbar“, sagte Kramer, „aber davor ist es technisch nicht möglich.“
Er vergleicht das bisherige Vorgehen der Politik damit, dass jemand mutwillig den Ast absägt, auf dem die Gesellschaft sitzt. Er meint damit: Sinnvoller wäre es, zuerst massiv zu investieren und die rechtlichen, technischen, bürokratischen und finanziellen Probleme zu bewältigen, damit so schnell wie möglich auf regenerative Energien umgestiegen werden kann. Erst wenn grüner Strom produziert wird, sollten die bisherigen Kohlekraftwerke abgeschaltet werden.

Bislang wurden einzelne Kraftwerke weiter gebraucht. Die Anlage im südbrandenburgischen Jänschwalde wurde ab 2018 heruntergefahren, nun wegen der Energiekrise nach dem russischen Angriff auf die Ukraine aber wieder hochgefahren.




