Mobilität

Elterntaxis in Berlin: In keinem Bundesland werden Kinder öfter zur Schule gefahren

Die Sommerferien sind vorbei. Pünktlich zum Unterrichtsbeginn stellt der ADAC eine Studie zu Schulwegen vor – mit bemerkenswerten Ergebnissen für Berlin.

Elterntaxi in Mitte: Vor der Gutsmuths-Grundschule in der Singerstraße steigen Kinder aus einem Auto – im Halt- und Parkverbot. Der Bezirk möchte dort bald eine Schulzone einrichten.
Elterntaxi in Mitte: Vor der Gutsmuths-Grundschule in der Singerstraße steigen Kinder aus einem Auto – im Halt- und Parkverbot. Der Bezirk möchte dort bald eine Schulzone einrichten.Volkmar Otto

Mit Beginn des neuen Schuljahres geht es wieder los: Vor vielen Schulen stauen sich die Elterntaxis. Wenn Kinder mit dem Auto zum Unterricht gebracht werden, kann es für andere gefährlich werden. Am Freitag hat der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) eine Untersuchung zum Thema vorgestellt. Die meisten Befragten stuften Elterntaxis als problematisch ein. Gleichzeitig zeigt die Studie, dass in der Hauptstadt überdurchschnittlich viele Kinder mit dem Auto zur Schule chauffiert werden. In keinem Bundesland sei der Anteil so hoch, hieß es am Freitag. Anderswo schnitt Berlin gut ab.

Die Sommerferien sind vorbei, in Berlin und Brandenburg fängt die Schule wieder an. Am Montag ist der erste Schultag, Erstklässler sind ab 4. September unterwegs. Für Politiker und Verbände ist das ein Anlass, sich zu profilieren. Doch wie kommen Kinder heutzutage überhaupt zum Unterricht? Und lässt sich im Autoland Deutschland, wo Kraftfahrer ein politischer Faktor sind, überhaupt etwas ändern? Die Zahl der Kinder, die bei Verkehrsunfällen zu Schaden kommen, nimmt jedenfalls wieder zu.

Mit einer repräsentativ nach Alter und Geschlecht gewichteten Online-Befragung, die vom 20. April bis zum 8. Mai stattfand, möchte der ADAC neue Fakten beisteuern. „Bundesweit nahmen 3395 Eltern von schulpflichtigen Kindern im Alter von fünf bis 15 Jahren teil“, sagte Martin Koller, Vorstand für Verkehr im Landesverband Berlin-Brandenburg. In Berlin waren 200 Mütter und Väter dabei, im Nachbarland 204.

Morgens in Berlin unterwegs zur Schule: Felix (l.) und Maxim
Morgens in Berlin unterwegs zur Schule: Felix (l.) und MaximMarkus Wächter/Berliner Zeitung

Die Untersuchung ergab bemerkenswerte Besonderheiten – insbesondere als der ADAC fragen ließ, wie sich die Kinder der befragten Mütter und Väter zur Schule bewegen. Mehrfachnennungen waren möglich. In Berlin wird in 94 Prozent der Fälle der öffentliche Verkehr in die Wegekette integriert – der Bundesdurchschnitt beläuft sich auf 61 Prozent. Eine Fahrt mit dem Auto ist in Berlin in 31 Prozent der Fälle dabei – bundesweit beträgt der Anteil 22 Prozent. Selbst im Flächenland Brandenburg ist er mit 25 Prozent niedriger als in Berlin. Geringer sind die Unterschiede beim Fußweg, der in Berlin in 53 Prozent der Fälle zum Schulweg gehört, und beim Fahrrad. Dessen Anteil beschränkt sich in der Hauptstadt auf elf Prozent. Bundesweit wird er auf 14 Prozent beziffert.

ADAC setzt sich für Elternhaltestellen ein – auch in Berlin

Elterntaxis sind in Berlin also verhältnismäßig weit verbreitet. Dabei kontrastiert diese Erkenntnis mit anderen Resultaten der ADAC-Studie. Kinder sollten möglichst nicht mit dem Auto zur Schule gebracht werden: Dafür sprachen sich 53 Prozent der Berliner Befragten aus. Durch die Elterntaxis entstehen gefährliche Verkehrssituationen: Diese Feststellung wird in Berlin von 56 Prozent der Befragten unterstützt. Vor der Schule sind zu viele Autos, die Kinder zur Schule bringen oder abholen: Diese Aussage fand in Berlin sogar 66 Prozent Zustimmung. Es gibt also ein Problem, wenn man der Studie traut.

Dass es trotzdem so viele Elterntaxis gibt, erklären viele Berliner mit den Zwängen des Alltags. Morgens sei keine Zeit, um die Kinder zu Fuß oder auf dem Rad zum Unterricht zu begleiten. Eine Autofahrt zur Schule ließe sich in die Routine besser einbauen. Und sind die Kleinen im Auto nicht sicherer? Dieser Annahme widersprechen Wissenschaftler: In den meisten Fällen verunglücken kleine Kinder als Beifahrer.

Wie lässt sich die Situation verbessern? Der ADAC nutzte am Freitag die Gelegenheit, seine bisherigen Vorschläge zu bekräftigen. Zum Beispiel Elternhaltestellen: Die Autolobby setzt sich dafür ein, im Umfeld von Schulen Haltebereiche zu schaffen, an denen Autofahrer Kinder sicher absetzen oder einsteigen lassen können, ohne dass andere gefährdet werden. Die Untersuchung ergab, dass 69 Prozent der Berliner Befragten solche Hol- und Bringzonen befürworten. In Berlin sind sie eine absolute Seltenheit. Die Kreuzberger Reinhardswald-Grundschule hat zwei Elternhaltestellen.

Bei zwei Themen bekommt Berlin gute Noten

In anderen Bereichen schneidet die Hauptstadt verhältnismäßig gut ab. Ein Beispiel sind Schulwegpläne, die sichere Wege aufzeigen und Risiken verringern. 47 Prozent der Berliner Umfrageteilnehmer gaben bei der ADAC-Studie an, dass es an der Schule ihrer Kinder solche Pläne gebe – wenn auch zum Teil veraltet. Bundesweit sind es 25, in Brandenburg zwölf Prozent.

Auf die Frage, ob Schülerlotsen im Einsatz seien, antworteten 81 Prozent der Brandenburger mit Nein. Der Bundesdurchschnitt beträgt immerhin 71 Prozent. In Berlin teilten dagegen nur 50 Prozent mit, dass es keine Schülerlotsen gebe, so die Studie. 

Was sichere Verkehrsinfrastruktur anbelangt, hätten Städte und Gemeinden noch viel Nachholbedarf, so der ADAC. Er sprach aber auch die Eltern an. Sie sollten Vorbild sein und den Schulweg mit ihren Kindern üben. Ein weiterer Rat: „Laufgemeinschaften einrichten, damit Kinder gemeinsam zur Schule gehen können“ – Laufbusse. 

Wer zum Unterricht läuft, kann sich besser konzentrieren

Schulwegsicherheit: In diesem Bereich ist auch der Bund für Umwelt und Naturschutz, kurz BUND, aktiv. Er ruft zu Beginn jedes Schuljahres dazu auf, sich an der Aktion „Zu Fuß zur Kita und zur Schule“ zu beteiligen. Wenn sich Kinder zu Fuß oder per Rad zum Unterricht bewegen, nütze ihnen das, so der Umweltverband. „Sie können sich besser konzentrieren, wenn sie morgens frische Luft und Bewegung haben. Das Chaos, das morgens vor vielen Kitas und Schulen von autofahrenden Eltern verursacht wird, gefährdet die anderen Kinder. Kinder, die mit dem Auto gefahren werden, können zudem nicht lernen, sich sicher im Straßenverkehr zu bewegen.“

Wie berichtet setzen sich die acht Stadträtinnen und Stadträte der Grünen, die in Berlin für die Straßen zuständig sind, für eine Änderung der Straßenverkehrsordnung ein. Das Erfordernis, dass für jeden Eingriff in den Straßenverkehr eine besondere Gefahrenlage nachzuweisen ist, soll in einem Umkreis von einem Kilometer um Schulen nicht mehr gelten. Das soll es Ämtern erleichtern, Maßnahmen zur Verkehrssicherheit umzusetzen.

Morgens in der bislang einzigen Schulstraße von Berlin: Von Mitte April bis Mitte Mai wurde der Rackebüller Weg in Lichtenrade an Schultagen von 7.15 bis 7.45 Uhr gesperrt.
Morgens in der bislang einzigen Schulstraße von Berlin: Von Mitte April bis Mitte Mai wurde der Rackebüller Weg in Lichtenrade an Schultagen von 7.15 bis 7.45 Uhr gesperrt.Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg

Noch sind die rechtlichen Spielräume gering. In Lichtenrade wurde ein Straßenabschnitt vor der Bruno-H.-Bürgel-Grundschule während eines fünfwöchigen Pilotprojekts für die Zeit von 7.15 bis 7.45 Uhr zur Spielstraße erklärt. Auf der ersten und bislang einzigen Schulstraße in Berlin stellten Eltern Barrieren auf, um Autos eine halbe Stunde auszusperren. In Friedrichshain-Kreuzberg gelang es dagegen nicht, Schulstraßen einzurichten. Es hätten sich keine Ehrenamtlichen gefunden, hieß es dort.

In Mitte möchte das Bezirksamt vor der Gutsmuths-Grundschule einen Abschnitt der Singerstraße dauerhaft für privaten Autoverkehr sperren. Doch Anwohner sprechen sich gegen die geplante „Schulzone“ aus und legten Widerspruch ein. Für diesen Montag um 17 Uhr lädt das Bezirksamt zu einer Informationsveranstaltung vor der Schule ein.

Sichere Radwege in der Neumannstraße in Pankow lassen auf sich warten

Changing Cities fordert viele Schulzonen, der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club setzt sich für sichere Radwege ein. Doch weil die neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) Radverkehrsprojekte überprüfen ließ, wurden Vorhaben auf Eis gelegt – oder sie kommen später als geplant und in abgespeckter Form.

Ein Beispiel seien die geplanten Radfahrstreifen in der Neumannstraße in Pankow, sagte Oda Hassepaß, Verkehrspolitikerin der Grünen. Die Planungen würden bereits seit mehr als fünf Jahren laufen, die Radspuren hätten noch in diesem Jahr eingerichtet werden sollen, so die Abgeordnete. Doch nun werde umgeplant – damit Autostellplätze erhalten bleiben.  

Hassepaß: „Der fehlende sichere Radweg auf der Neumannstraße ist ein Skandal. Die Eltern zählen darauf, dass ihren Kindern ein sicherer Schulweg ermöglicht wird. Der Senat muss handeln und die nötige Schulwegsicherheit herstellen. Gerade in einer Großstadt wie Berlin muss Schulwegsicherheit oberste Priorität haben.“