Mobilität

Erstmals analysiert: So füllt das Deutschlandticket die Züge nach Berlin

Der Mobilfunkanbieter O₂ Telefónica hat regionale Handydaten ausgewertet. In Berlin und Brandenburg wirkt sich das 49-Euro-Ticket anders aus als bundesweit.

Ein Regionalexpresszug der Ostdeutschen Eisenbahn hält im Berliner Hauptbahnhof.
Ein Regionalexpresszug der Ostdeutschen Eisenbahn hält im Berliner Hauptbahnhof.Emanuele Contini

Das Deutschlandticket wirkt – auch in Berlin und Brandenburg, aber anders. Das zeigt eine Auswertung von Handydaten, die der Mobilfunkanbieter O₂ Telefónica für die Berliner Zeitung erstellen ließ. Danach ist die Zahl der längeren Bahnfahrten aus dem Umland nach Berlin deutlich gestiegen. „Pendler in der Region Berlin scheinen seit Einführung des Deutschlandtickets vermehrt Zug zu fahren statt Auto“, sagte Firmensprecher Christoph Schneider am Dienstag. Weil viele Züge voller geworden sind, hat der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) nun angekündigt, dass auf drei Linien die Kapazität erhöht wird. Für weitere Strecken werde dies geprüft, hieß es.

Für 49 Euro im Monat in allen Bundesländern mit dem Nah- und Regionalverkehr mobil sein: Ein neues Angebot für Stammkunden, das Deutschlandticket, macht das seit Mai möglich. Noch preiswerter fahren Pendler, deren Arbeitgeber einen Teil der Kosten übernehmen: Für das Deutschlandticket Job werden sogar nur maximal 34,30 Euro im Monat fällig. Diese Offerten fallen auch in der Hauptstadtregion auf fruchtbaren Boden. Nach den jüngsten Zahlen des VBB hat das Jahresabo in Berlin und Brandenburg rund 850.000 Käufer gefunden. Davon nutzen mehr als 160.000 die Job-Variante.

Dass die Zahl der Fahrgäste steigt, war absehbar. Die jüngste Auswertung der Mobilfunkdaten von O₂ Telefónica hilft dabei, den Anstieg zu beziffern. Nachdem das Unternehmen vor einigen Tagen die Auswertung für das gesamte Bundesgebiet vorgestellt hat, liegen mit ihr jetzt auch Daten für Berlin und Brandenburg vor. „Grundlage sind auch hier anonymisierte und aggregierte Bewegungsdaten aus unserem Mobilfunknetz, die von Partnern wie Teralytics analysiert werden“, erklärte Schneider.

Analysiert wurden Fahrten bis 75 Kilometer von Brandenburg nach Berlin

Doch wie kann man Bahn- von Straßennutzern unterscheiden? Routen und Bewegungsmuster lassen Schlüsse darauf zu, mit welchem Verkehrsmittel Handynutzer unterwegs sind. Wer Zug fährt, bewege sich gleichmäßiger als jemand, der im Auto oder Bus unterwegs ist, sagte Schneider. Teralytics hat für O₂ Telefónica untersucht, wie sich in der Hauptstadtregion die Zahl bestimmter Fahrten mit der Bahn und im motorisierten Straßenverkehr entwickelt hat: Länge 30 bis 75 Kilometer, Ziel Berlin. Kürzere oder längere Fahrten sowie Fahrten, die in Berlin begannen, blieben außen vor. Dasselbe gilt, wenn Distanzen zu Fuß oder per Fahrrad zurückgelegt wurden.

Was ist die erste Botschaft? Im Vergleich zur Zeit vor Corona ist die Zunahme gering. „Im Mai und Juni 2023 wurden täglich nur 0,2 Prozent mehr Bahnreisen erfasst als im Vor-Corona-Vergleichszeitraum 2019“, so die Analyse. Bundesweit wuchs die Bahnnutzung  um 9,6 Prozent. „Eine mögliche Erklärung ist, dass in der Metropolregion bereits viele Menschen über ein Nahverkehrsabo verfügten, als das Deutschlandticket eingeführt wurde. Deshalb stieg hier die Zahl der Zugfahrten nicht so stark wie anderswo“, heißt es.

Die zweite Botschaft lautet: Das Deutschlandticket zeigt in der Region Berlin trotzdem Wirkung. Denn im Vergleich zu April 2023, dem letzten Monat vor der Einführung des neuen Jahresabos, hat die Bahnnutzung im Mai und im Juni deutlich zugenommen. Bezogen auf alle Wochentage, Feiertage ausgenommen, sowie sämtliche Tages- und Nachtzeiten stieg die Zahl der Zugfahrten von 30 bis 75 Kilometer Länge um 22,1 Prozent – laut Analyse von durchschnittlich 28.399 auf 34.687 Fahrten pro Tag.

Der Anteil der Bahn ist in der Region Berlin deutlich größer als anderswo

Botschaft Nummer drei: Betrachtet man nur die Zeit des morgendlichen Berufsverkehrs, fällt die Zunahme der Bahnreisen in der Region Berlin etwas geringer aus. Danach fanden im Juni montags bis freitags zwischen 6 und 9 Uhr im Durchschnitt 16,5 Prozent mehr Zugfahrten statt als im April dieses Jahres. „Das deutet auf einen Anstieg des Pendlerverkehrs in dieser Größenordnung hin“, so die Auswertung. „Bundesweit ist dieser Wert laut den Analysedaten mit 27,5 Prozent aber noch stärker angestiegen.“

Das vierte Ergebnis: Das Deutschlandticket hat sich positiv auf den Marktanteil der Schiene ausgewirkt. Von April bis Juni nahm dieser Anteil in der Region Berlin im Pendlerverkehr werktags zwischen 6 und 9 Uhr von 31,73 auf 34,11 Prozent zu. Das entspricht einem Anstieg um 2,38 Prozentpunkte, so O₂ Telefónica. Weiterhin nutzen die meisten Pendler den motorisierten Straßenverkehr, zu dem auch Busse und Motorroller gehören. Doch der Trend einer Verlagerung von der Straße auf die Schiene sei „wahrnehmbar“, sagte Schneider. Zum Vergleich: Bundesweit nahm der Anteil der Bahn seit Einführung des Tickets um 2,5 Prozentpunkte zu – aber auf gerade mal 15 Prozent.

Resultat Nummer fünf: „Der Preis spielt offenbar eine große Rolle“, erklärte der Sprecher weiter. „Die Mobilitätsdaten deuten darauf hin, dass das 9-Euro-Ticket in der Region Berlin besser angenommen wurde als das Deutschlandticket.“ Im Juni vergangenen Jahres, als das Ticket für neun Euro pro Monat eingeführt wurde, ergab die Analyse 8,8 Prozent mehr Zugreisen über 30 Kilometer mit dem Ziel Berlin als drei Jahre zuvor – vor Corona. Im Mai 2023, dem Einführungsmonat des Deutschlandtickets, wurden dagegen 1,4 Prozent weniger Zugreisen dieser Art ermittelt als vor vier Jahren. Dagegen wurde bundesweit jeweils ein Zuwachs festgestellt: um 27,1 beziehungsweise 7,6 Prozent.

Mehr Kapazität in den Zügen von Berlin nach Dessau und Angermünde

Es kommt also darauf an, für welche Region und für welchen Zeitraum Daten miteinander verglichen werden. Zumindest für die vergangenen Monate berichtet auch der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) von einem Anstieg der Fahrgastzahlen um zehn bis 20 Prozent. Dort dauert die Auswertung aber noch an. Auf der Regionalexpresslinie RE7 von Dessau nach Bad Belzig und Berlin nahm die Belastung sogar um rund 100 Prozent zu, was jedoch offenbar vor allem mit einer Baustelle bei Werder zu tun hatte – Reisende wichen von der RE1 auf die RE7 aus. Trotzdem hat der VBB auf der wichtigen Route mehr Kapazität bestellt. Sonnabends und sonntags bieten die Elektrotriebzüge auf der RE7 statt bislang 270 nun 420 Sitzplätze.

Ein Regionalexpresszug der Deutschen Bahn hält im Bahnhof Gesundbrunnen. Auf wichtigen Strecken fahren solche Züge täglich im Stundentakt nach Brandenburg. Sie wurden bislang schon gut genutzt. 
Ein Regionalexpresszug der Deutschen Bahn hält im Bahnhof Gesundbrunnen. Auf wichtigen Strecken fahren solche Züge täglich im Stundentakt nach Brandenburg. Sie wurden bislang schon gut genutzt. Fabian Sommer/dpa

Vom kommenden Wochenende an wird auch die Linie RB66, die wegen Bauarbeiten auf dem Abschnitt Berlin-Gesundbrunnen–Angermünde verkürzt worden ist, leistungsfähiger. Damit kann sie die stark frequentierten Züge von und nach Stralsund besser entlasten. Auf der RB66 ersetzen sonnabends, sonntags und an Feiertagen Züge mit drei Doppelstockwagen die Dieseltriebwagen. „Es gibt dann 300 statt 200 Sitzplätze, außerdem ist es deutlich klimafreundlicher“, sagte Verbundsprecher Joachim Radünz. Hinzu kommt an diesen Tagen eine zusätzliche Fahrt um 16.21 Uhr ab Angermünde.

Verkehrsverbund denkt über neue Tarifstruktur nach

Eine weitere Aufstockung betrifft die Regionalbahnlinie RB34, die Rathenow und Stendal miteinander verbindet. Dort verkehren die Dieseltriebwagen nicht nur freitags bis sonntags, sondern an allen Tagen in Doppeltraktion. Diese Verbindung wird seit der Einführung des Deutschlandtickets ebenfalls stärker genutzt – vor allem von überregionalen Fahrgästen, die weiter in Richtung Wolfsburg und Hannover wollen.

Von Berlin in Richtung Ostsee fahren bereits seit längerem mehr Regionalzüge. Der Verkehrsverbund schließt nicht aus, dass es in seinem Netz weitere Verbesserungen gibt. „Wir schauen intensiv auf die Situation in den Zügen – erleben diese auch gern und häufig selbst“, sagte Radünz. „Es wird nachgesteuert, wo nötig und möglich.“ Im Moment seien noch keine konkreten Maßnahmen vorgesehen. „Wir wollen aber vorbereitet sein und schnell reagieren, sollte die Nachfrage dort stetig sein und sich eventuell sogar noch steigern“, erklärte der Sprecher. Zu den Verbindungen, die der VBB besonders intensiv beobachtet, gehören Cottbus–Dresden, Cottbus–Leipzig, Berlin–Potsdam–Brandenburg an der Havel–Magdeburg sowie Berlin–Rathenow–Stendal.

Wie angekündigt, denkt man beim VBB auch über eine Änderung der derzeit noch sehr differenzierten Fahrpreisstruktur in Berlin und Brandenburg nach. „Das Ziel ist es, den Tarif deutlich zu vereinfachen und übersichtlicher zu machen“, erfuhr die Berliner Zeitung. „Letztendlich machen VBB-Tarife über 49 Euro keinen Sinn mehr. Die Umsetzung hängt aber davon ab, wie das Deutschlandticket weiter finanziert wird.“