Es gibt Orte, die stehen exemplarisch dafür, wie die Stadt Berlin funktioniert – oder eben auch nicht. Ein solcher Ort befindet sich an der Regattastraße in Berlin-Grünau. Will man es nett ausdrücken, könnte man sagen: Dieser Ort ist behaftet mit viel Pech, vielen Pannen und einer Pleite. Es ist wahrscheinlich Berlins irrsinnigste Baustelle.
„Das ist eigentlich keine Baustelle, das ist blankes Chaos“, sagt Hans-Otto Joksch. Er schaut von seinem Balkon direkt auf die Baustelle. Seit 59 Jahren wohnt er hier und erinnert sich daran, wie früher die Leute von überall kamen und im Biergarten des Gesellschaftshauses saßen oder im benachbarten Ballsaal Riviera tanzten.
Nach der Wende verfiel das Ausflugsziel. Eine Unternehmerin aus Ankara erwarb 2006 das Areal und ein gegenüberliegendes Grundstück für 650.000 Euro von der Treuhand und verkaufte es für etwa 15 Millionen Euro 2017 an die Terragon Projekt GmbH.
Wundersamerweise brannte das denkmalgeschützte, aber verfallene Gesellschaftshaus im Sommer 2019. Ob es fahrlässige oder vorsätzliche Brandstiftung war, hat die Polizei nicht geklärt. Kurz darauf war Baubeginn für vier monströse Häuser einer Seniorenresidenz mit 208 Wohnungen. Das Bezirksamt Treptow-Köpenick, das das Geschäft mit der Terragon eingefädelt hat, störte sich nicht an der Größe der Häuser, die die ursprüngliche Bebauung überragen. Die Kritik der Anwohner blieb folgenlos.
Gebührenzahler werden die Kosten übernehmen
Auf der Baustelle, auf der sich diverse Berliner Probleme bündeln, ging es von Anfang an drunter und drüber: Von Anfang an lagen Dreck und Müll herum und werden vom Wind weggetragen. Als Senioren, die ihre Wohnungen gekündigt hatten, in die ersten Häuser einziehen wollten, gab es noch kein Wasser. Andere Mieter mussten zunächst in Hotels unterkommen, weil die Wohnungen noch gar nicht fertig waren.
Bei einer Routinekontrolle stellten die Wasserbetriebe im vergangenen Sommer fest, dass Beton in den Abwasserkanal unter der Straße gelaufen und auf einer Länge von 150 Metern ausgehärtet war. Ob er aus einem Betonsilo der Baustelle kam oder von der Fundament-Gründung für eines der Seniorenhäuser stammt, ist unklar.
Fast jeden Tag tat sich ein neues Problem auf: Die Wasserbetriebe wollten die Leitung freifräsen. Drei Fräsen gingen kaputt. Auch ein Hochdruck-Spülwagen half nicht weiter. Der Beton lenkte die Spülköpfe ab, die den Kanal durchschlugen. Der Schmutzwasserkanal musste auf 150 Metern ausgewechselt werden. Seit August ist die Straße deshalb gesperrt. Der Kanal liegt dreieinhalb Meter tief, weshalb das Grundwasser abgesenkt werden musste. Für das Abpumpen musste erst eine Genehmigung bei den Umweltbehörden eingeholt werden.

Als es endlich losging, beschädigten die Bauarbeiter eine Gasleitung, von der bis dahin niemand etwas wusste. Ein bereits bezogener Flügel der Seniorenresidenz musste evakuiert werden. Zu allem Überfluss wurde bei den Bauarbeiten noch ein Internetkabel durchtrennt, sodass die Umgebung vom Netz abgeschnitten war. Auf den Baukosten von etwa 800.000 Euro dürften die Wassergebühren-Zahler sitzen bleiben. Die Wasserbetriebe sehen kaum Chancen, diese vom Bauherren einzuklagen.
Tiefbaufirma hat Betriebsferien
Trotz dieser Vorkommnisse sind die Wasserbetriebe fertig, und das schon seit November. „Anschließend sind wir in die Abstimmung mit dem bezirklichen Straßen- und Grünflächenamt gegangen, um zu klären, in welchem Standard die Straßenflächen wiederhergestellt werden sollen“, sagt Unternehmenssprecher Stephan Natz. Doch das Amt sei schwer zu einer Entscheidung zu bewegen gewesen und habe das stark verzögert.
Als die Wasserbetriebe endlich mit dem Amt eine Einigung erzielten, war Weihnachten und die Tiefbaufirma bereits in den Betriebsferien. Die enden erst am Montag.

Derweil werkeln an der Seniorenresidenz links und rechts der Straße immer wieder mal Mitarbeiter von Subunternehmen. Auf der Straße stehen Toilettenhäuschen, Müll häuft sich auf den Gehwegen, Holzpaletten stapeln sich, in der Feuerwehreinfahrt liegt ein Müllhaufen. Zwischendrin schlängeln sich Fußgänger durch die Absperrungen, die jeden Tag anders stehen.
Betreiber sieht „Licht am Horizont“
Eigentlich sollte alles im Oktober 2021 fertig sein. Im Juni meldete die Terragon Insolvenz an und stellte im September ihren Betrieb ein. Die Tübinger Sax-Gruppe stieg in das Projekt mit ein.
„Es ist Licht am Horizont“, sagt Andreas Wolff von der SWS Sophienhaus Wohnbetreuungs- und Servicegesellschaft, die die Residenz betreibt und selbst unter den Verzögerungen leidet. Im Februar und März, so Wolff, würden die restlichen Wohnungen bezogen. „Dann wird sich das Chaos auf dem Gelände lichten.“

Und wie sieht es mit der Straße aus? Bis sie irgendwann wieder frei ist, bleibt der Kiez nur über lange Umwege erreichbar. Weil es an Hinweisschildern fehlt, stehen Autofahrer plötzlich vor Absperrungen und damit in der Falle. Für eine bessere Ausschilderung fühlt sich der Bezirk erklärtermaßen nicht zuständig, weil es nicht seine Baustelle sei, sondern die der Wasserbetriebe.
Wo Schlendrian und Desinteresse zusammenkommen
Am Montagabend fragte die Berliner Zeitung schriftlich beim Bezirksamt Treptow-Köpenick nach dem Stand der Dinge. Das Amt und die zuständige Baustadträtin Claudia Leistner (Grüne) reagierten bisher nicht. Unter anderem sollten sie beantworten, ob der Bauherr für die Inanspruchnahme öffentlicher Gehwege – etwa durch Schuttcontainer – Sondernutzungsgebühren an den Bezirk entrichtet hat und wenn ja, wie hoch diese waren. Die Frage hat die Behörde bereits im September nicht beantworten können unter Hinweis auf die „prekäre Personalsituation im planenden und bauenden Bereich“.
Bei der Gelegenheit wollte die Berliner Zeitung damals auch wissen, ob das Ordnungsamt – das wiederum am Strandbad Grünau eifrig Strafzettel an Falschparker verteilt – die Klagen von Anwohnern über den seit Baubeginn herumfliegenden Dreck kennt. Antwort der Behörde: Eine „Beschwerdelage“ gebe es beim Ordnungsamt nicht. Deshalb habe es auch keine Verwarn- und Bußgeldverfahren gegeben. Für die Beantwortung jener Fragen hatte die Behörde damals eine Woche benötigt.
Anwohner Hans-Otto Joksch bekam vom Amt überhaupt keine Antwort. Er gehört zu jenen Bürgern, die das Berliner Zuständigkeitswirrwarr, das Desinteresse von Bürokraten und den Berliner Schlendrian, was hier zusammenkommt, spüren. „Ich habe schon etliche E-Mails an das Bezirksamt geschickt“, sagt er. „Die haben immer nur gesagt, dass sie sich melden. Aber nichts ist passiert.“














