Wer die Debatte um die Silvesternacht für rassistisch hält, hat in den vergangenen Jahren absichtlich weggesehen. Die Gewaltexzesse in Neukölln waren kein Ausrutscher, sondern Gipfel des Eisbergs.
Auch wenn es selbstverständlich ist: Die Herkunft eines Menschen allein sagt nichts über seinen Charakter aus. Sie sagt nichts über seine Bereitschaft aus, sich an die Regeln unserer Mehrheitsgesellschaft zu halten. Sie sagt nichts darüber aus, ob das Grundgesetz geachtet oder verabscheut wird und ob das staatliche Gewaltmonopol respektiert wird.
Die Herkunft spielt aber eine Rolle dabei. Von 145 gefassten Tätern der Silvesternacht 2022 waren 100 Ausländer. 45 von ihnen haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Der Migrationsanteil in der berüchtigten High-Deck-Siedlung liegt weit über 70 Prozent. Die benachbarte Grundschule zählt gar 98 Prozent Migrationshintergrund. Man darf – auch nachdem der rot-grün-rote Senat die Erfassung des Merkmals Migrationshintergrund im Polizeisystem POLIKS verboten hat – davon ausgehen, dass kaum ein Täter ohne Migrationsgeschichte dabei war. Offene Gewalt, Staatsverachtung und Perspektivlosigkeit sind also ganz offensichtlich auch ein Migrationsproblem.
Ein-Wort-Sätze wie „Abschieben!“ lösen das Problem nicht
Wer seine Betrachtung der Zustände damit allerdings abschließt, liegt zwangsläufig falsch. Es gibt keine einfachen Antworten auf komplexe Probleme, die ihren Ursprung vor Jahrzehnten haben. Wer die offenen Fragen mit Ein-Wort-Sätzen wie „Abschieben!“ beantwortet, hat weder Interesse noch die intellektuelle Leistungsfähigkeit, sie tragfähig zu beantworten. Denn neben dem Migrationsproblem ist es auch eine enorme soziale Schieflage, die sich hier regelmäßig – nicht nur zu Silvester – entlädt. Entschuldigen kann das freilich nichts. Die Täter und ihre Familien sind keine hilflosen Objekte staatlichen und gesellschaftlichen Versagens, auch wenn linke Politik sie regelmäßig dazu macht. Sie sind im Gegenteil selbstbestimmte, für sich selbst verantwortliche Menschen, die für ihren Erfolg und ihr Scheitern verantwortlich sind wie Sie und ich für das unsere.
In der High-Deck-Siedlung leben sechstausend Menschen auf einer Fläche von zwanzig Hektar. Die Siedlung ist die Beton gewordene Bausünde des sozialen Wohnungsbaus der Siebziger- und Achtzigerjahre. Mehr als die Hälfte der Einwohner der High-Deck-Siedlung lebt von Bürgergeld oder anderen Sozialleistungen. Kaum jemand möchte hier wirklich bleiben, aber die meisten haben schlicht keine Wahl. Wer es sich leisten kann, zieht weg. Wer bleibt, findet meist keinen Grund, sich positiv mit seiner Nachbarschaft zu identifizieren.
Hier brodelt es schon länger. Bereits im Februar 2022 habe ich die Lage in „Brennpunkt Deutschland“ beschrieben. Es ist ein Blick in die Abgründe einer ethnisch abgeschotteten Subkultur, vor denen jahrelang die Augen verschlossen wurden. Eine Reaktion auf meine Warnungen bleibt seit Jahren aus. Nach dieser Silvesternacht geht das aber nicht mehr. Übrigens auch und gerade im Interesse der überwiegenden Mehrheit von Migranten, die ihre Chancen in unserem Land genutzt haben und wirklich bei uns angekommen sind. Sie sind als erstes von den Gewaltexzessen, Plünderungen und ständiger Kriminalität in den Brennpunkten betroffen. Denn sie leben dort, haben Geschäfte und Arbeitsplätze. Es sind ihre Kieze, die als erste brennen.
Steindepots und Straßensperren nicht nur an Silvester
2020 gab es allein in der High-Deck-Siedlung 1220 Straftaten. Mehr als dreimal pro Tag wurde irgendwo eingebrochen, härteste Drogen werden gehandelt, Menschen mit Messern und Eisenstangen malträtiert. Und während im Pandemiejahr 2020 berlinweit die Straftaten rückläufig waren, Jugendgruppengewalt sogar um 19 Prozent zurückging, stiegen sie hier vor allem seit Oktober 2020 massiv an. Regelmäßig werden Polizeibeamte und Ordnungsamtsmitarbeiter bedroht, attackiert, angespuckt. Es kommt zu Angriffen mit Flaschen und Steinen, wie man es sonst nur aus dem linksalternativen Nachbarbezirk Friedrichshain-Kreuzberg kennt. Jugendliche legen regelrechte Steindepots und Straßensperren mit brennenden Autoreifen an, um Beamte, die sich in „ihren Kiez“ wagen, in einen Hinterhalt zu locken und möglichst schwer zu verletzen.

Solche Straßenschlachten sind nicht an der Tagesordnung. Es sind spektakuläre Taten von Jugendgruppen im Alltag eines Kiezes, der von Kriminalität, Drogen und Gewalt geprägt ist. Aber bei jedem einzelnen Einsatz in der High-Deck-Siedlung müssen die Männer und Frauen der Berliner Polizei mit solchen oder ähnlichen Übergriffen rechnen und hoffen, dass sie am Ende ihrer Schicht wieder gesund zu ihren Partnern und Kindern zurückkehren können.
Feuerwerksverbot ist die falsche Debatte
Ein Feuerwerksverbot ist die denkbar einfachste aber maximal ignorante Reaktion darauf. Es blendet die hinter den beängstigenden Bildern stehenden Strukturen und Ursachen vollkommen aus. Wer Gewalt und Staatsverachtung in Brennpunkten auf Böller und Raketen reduziert, hat die Probleme nicht verstanden – oder will von ihnen ablenken.
Die Täter sind junge Männer, die zwar hier aufgewachsen, aber dennoch kulturell, moralisch und ethisch fremd sind. Sie haben nie den Weg in die Mehrheitsgesellschaft gefunden – und wollten es wohl nie. Sie sind keine Opfer der Mehrheitsgesellschaft. Sie haben es schwerer als andere – das ist so. Aber rechtfertigt oder entschuldigt das irgendetwas? Ich meine, nein.
Die Eskalation in der Neuköllner High-Deck-Siedlung zeigt exemplarisch, dass die bisherigen Maßnahmen des in Berlin seit Jahrzehnten sozialdemokratisch dominierten Senats auf ganzer Linie gescheitert sind. Regelverstöße augenzwinkernd als Ausdruck eines weltoffenen Lebensstils zu begreifen, ist keine langfristige Strategie. Wenn Berlin in der ganzen Bundesrepublik als „failed state“ verrufen ist, ist auch genau deswegen etwas Wahres daran.
Berlin braucht das klare Bekenntnis zum staatlichen Gewaltmonopol und den entschlossenen Willen, es auch durchzusetzen. Gleichzeitig müssen gesellschaftliche Verwerfungen an ihrer Wurzel gepackt werden. Dazu braucht es einen Mix aus wehrhafter Demokratie, die ihren Herrschaftsanspruch klar formuliert, und sozial-integrativen Maßnahmen.
Nur der Staat hat das Sagen auf unseren Straßen
Die nicht erst seit der Silvesternacht offen zutage tretende Verachtung unseres Staates und unserer Gesellschaft erfordert eine sichtbare Präsenz staatlicher Gewalt vor Ort. Den Tätern muss klargemacht werden, dass der Kiez nicht ihnen, sondern der Mehrheitsgesellschaft gehört und in diesem Land allein der Staat das Gewaltmonopol hat. So schnell wie möglich muss in der High-Deck-Siedlung eine Brennpunktwache eingerichtet und die Einsätze der Berliner Brennpunkt- und Präsenzeinheit (BPE) müssen erheblich ausgeweitet werden. Es darf keinen Zweifel mehr daran geben, dass der Staat auf den Straßen das Sagen hat.
Das allein reicht aber nicht. Um die Entwicklung von Brennpunkten langfristig zu drehen, dürfen die nächsten Generationen nicht auch zu solchen Versagern werden, wie die jungen Männer der Silvesternacht. Die in Neukölln seit 2017 arbeitende AG Kinder- und Jugendkriminalität trägt genau dazu bei. Sie konnte bereits in Dutzenden Fällen ehemaligen Mehrfach-, Schwellen- oder Intensivtätern eine Rückkehr in die Gesellschaft bahnen. Mit Schulabschluss, Ausbildungsplatz, positiver Sozialprognose und vor allem: mindestens ein Jahr Straffreiheit. Es ist eine intensive pädagogische „Eins-zu-eins“-Betreuung, die für diese Jugendlichen aus überwiegend migrantisch geprägten Milieus und oftmals zerrütteten Familien mit physisch oder emotional abwesenden Vätern dringend erforderlich ist. Das Ziel muss sein, dass die kleinen Brüder von heute nicht zu den Tätern von morgen werden.
Um bereits frühzeitig erzieherisch auf kriminelle Kinder einwirken zu können, muss das Alter für Strafmündigkeit auf zwölf Jahre herabgesetzt werden. Es geht nicht um Knast für Kinder, sondern um erzieherische Auflagen, wie sie sich im Jugendstrafrecht in vielen Fällen bewährt haben.
Schon Grundschulkinder werden indoktriniert
Gewalt, Verachtung der Mehrheitsgesellschaft und staatlicher Institutionen sind oftmals mit vermeintlich religiösen Überzeugungen verknüpft. Eine wesentliche Rolle spielt dabei auch die in der unmittelbaren Nähe der High-Deck-Siedlung befindliche salafistische Al-Nur-Moschee. Sie indoktriniert bereits gezielt Grundschulkinder und verankert islamistisches Gedankengut in der migrantisch geprägten Community des Kiezes. Die Auswirkungen sind spürbar. Wer dort Kinder fragt, was sie sich zu Weihnachten wünschen, bekommt schon mal zu hören: „Ich wünsche mir, dass es nächstes Jahr kein Weihnachten mehr gibt. Das ist ḥarām.“
Wer am Samstagvormittag die Koranschule besucht, kommt am Montag mit Kopftuch zum Sportunterricht oder verweigert ihn ganz. Wer den Gebetsunterricht für Jungen am Freitagabend besucht, bedrängt am nächsten Tag Muslimas oder vermeintlich muslimisch aussehende Frauen, die bei Lidl Schweinefleisch kaufen oder es wagen, ohne Kopftuch durch Nord-Neukölln zu laufen. Die derzeitige Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse könnte ihren Senatskollegen aus ihrer Zeit als Schulleiterin in Neukölln davon berichten. Selbst die formale Bitte der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung an den Senat hat nicht dazu geführt, dass der Senat eingeschritten ist und die Moschee verbietet.
Sicherheit und Ordnung sind Grundvoraussetzungen für eine Trendwende in Brennpunkten. Es reicht aber nicht aus, das der Staat lediglich als repressiv und überwachend wahrgenommen wird. Wir sind nicht nur Rechtsstaat. Wir sind sozialer Rechtsstaat.
Der soziale Rechtsstaat ist nicht nur Sicherheitsgarantie
Die katastrophalen Zustände in der High-Deck-Siedlung sind nicht über Nacht entstanden. Auch wenn die individuelle Schuld der Täter und ihrer Familien dadurch nicht geschmälert wird, gibt es auch eine gesellschaftliche Verantwortung, Alternativen zur Delinquenz zu bieten. Wo bis zu 14-köpfige Familien auf engstem Raum leben, wird die Straße zum Spielzimmer und Langeweile zum Funken am Pulverfass. Neben der geballten Faust gegen Straftäter muss es darum auch die offene Hand für Kinder und Jugendliche geben. Es müssen Perspektiven für eine selbstbestimmte und sinnstiftende Freizeitgestaltung angeboten werden.
Trotz entsprechender Forderungen aus dem Bezirk ist das in der Vergangenheit zu wenig passiert. Dabei geht es um zusätzliche Straßensozialarbeit, die bessere Ausstattung der Angebote für Kinder und Jugendliche sowie eine Stärkung der Schulen und Kitas mit zusätzlichem gut qualifiziertem Personal.
Denn viele Jugendliche haben nach ihrer mehr oder weniger freiwillig abgesessenen Pflichtzeit in der Schule keine beruflichen Perspektiven. Mangels ausreichender Bildung, Sprachkenntnisse und Ausbildung sind sie absehbar abgehängt. Um das zu ändern, brauchen die härtesten Kieze die besten Schulen, die besten Lehrer und eine zusätzliche Ausstattung mit Sozialarbeit an Schulen. Außerschulische Bildungs- und Nachhilfeangebote müssen die Regel sein und für alle kostenfrei zur Verfügung stehen.
Kitapflicht in Brennpunkten darf kein Tabu sein
Aber es geht noch früher los. Die Berliner Kindertagesstätten sind vor allem Bildungseinrichtungen. Hier beginnt der Spracherwerb, der in vielen Familien mit migrantischer Prägung, aber auch in manchen deutschstämmigen Familien nicht ausreichend gewährleistet werden kann. Die High-Deck-Siedlung hat mit den höchsten Anteil von Kindern, die zur Einschulung erhebliche Sprachdefizite haben. Das holen diese Kinder nie wieder auf! In Kiezen, in denen sich soziale Probleme häufen, müssen Familien zum Kitabesuch verpflichtet werden. Eine Befreiung von dieser grundsätzlichen Kitabesuchspflicht soll nur auf Grundlage einer individuellen Einschätzung des Gesundheitsamtes möglich sein.
Um schnell und langfristig wirksam zu reagieren, braucht es keine Bund-Länder-Arbeitsgruppen oder Show-Gipfel. Es ist ein durchschaubarer Versuch der Regierenden Bürgermeisterin auf Abruf, das Thema irgendwie über die Wahlen zu retten und bis dahin möglichst wenig tun, aber viel reden und nette Bildchen produzieren zu können. Dabei liegen die Instrumente seit Jahren auf dem Tisch.
Falko Liecke ist seit 13 Jahren Bezirksstadtrat für Neukölln und Verwaltungsexperte. Er ist stellvertretender Vorsitzender der CDU Berlin und Kreisvorsitzender der CDU Neukölln.
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