Silvestergewalt

Neuköllns Ex-Stadtrat zu Silvester-Krawallen: „Das Ergebnis fehlender Integration“

Nach den Gewaltexzessen gegen die Berliner Feuerwehr hat die Suche nach den Ursachen begonnen. Ein ehemaliger Jugendstadtrat hat da eine Vermutung.

Der ausgebrannte Bus an der High-Deck-Siedlung in Neukölln.
Der ausgebrannte Bus an der High-Deck-Siedlung in Neukölln.Volkmar Otto

Das Löschfahrzeug war auf dem Weg nach Gropiusstadt. Auf der Hermannstraße stand es plötzlich vor einer Barrikade aus Baustellenschildern, die auf der Fahrbahn lagen. Auf einmal bewarfen rund 30 Vermummte das Auto mit Steinen und beschossen es mit Schreckschusspistolen. Sie rissen die Rollläden an den Seiten des Fahrzeugs hoch und versuchten Ausrüstung zu entwenden. Der Fahrer konnte das Auto über die Hindernisse hinwegbugsieren und davonfahren. Zum Sprechgesang des Rappers Capital Bra macht das Video von dem Geschehen bei WhatsApp die Runde.

Einer der betroffenen Feuerwehrmänner berichtet in einer Audioaufnahme in einem internen Chat, wie sehr ihn das alles mitgenommen hat: „Das war richtig krank, das kannst du dir nicht vorstellen.“ Die Frage müsse jetzt sein: Wie kann man dagegen vorgehen? Da müssten Politiker sich unbedingt etwas einfallen lassen. Er sagt: „Gewalt gegen Einsatzkräfte hat heute Nacht noch mal eine ganz andere Bedeutung bekommen.“

Ähnliches wie an der Herrmannstraße geschah auch an anderen Orten in Berlin. In Lichtenrade etwa wurde die Feuerwehr mit einem falschen Notruf in einen Hinterhalt gelockt. Vermummte attackierten dann die Feuerwehrleute, die unter Polizeischutz abziehen mussten.

Nach Angaben ihres Sprechers Thomas Kirstein prüft die Feuerwehr insgesamt 14 Meldungen zu Angriffen aus dem Hinterhalt auf Feuerwehrfahrzeuge, die alle nach ähnlichem Modus Operandi abliefen: Fahrzeuge wurden gezwungen zu stoppen und dann gezielt angegriffen. Hatten die Täter dies zuvor verabredet? „Genauso sah es für die Kollegen aus“, sagt Kirstein.

An der Sonnenallee, nahe der High-Deck-Siedlung, setzten Randalierer einen Bus in Brand. Die Feuerwehr konnte erst mit Löschen beginnen, als sie Polizeischutz erhielt. Während Polizisten die Brandbekämpfer schützten, wurde einige Meter weiter das Schaufenster eines Ladens zertrümmert, in dem Feuer gelegt wurde.

Polizei wertet die Personalien der Festgenommenen aus

Der Schwerpunkt der Krawalle lag im Norden Neuköllns. Betroffen waren aber auch Wedding, Kreuzberg oder Schöneberg.

Bei den meisten Tätern handelt es sich laut Polizisten, Feuerwehrleuten und Zeugen um arabischstämmige Jugendliche und junge Männer. Die Polizei nahm mehr als 100 Randalierer fest. Anhand der Identitätsfeststellungen bei den Festgenommenen gleicht die Polizei derzeit ab, ob sie es mit alten Bekannten wie „kiezorientierten Mehrfachtätern“, zu tun hat.

„Wir hatten damit gerechnet, dass Einsatzkräfte angegriffen würden“, sagt Polizeisprecherin Anja Dierschke. Aber diese Aggressivität und Zerstörungswut habe es in früheren Silvesternächten nicht gegeben. Die Polizei war mit rund 1300 Beamten stadtweit im Einsatz. Dass der Personalansatz zu niedrig war, findet Dierschke nicht. „Auch mit mehr Kollegen hätte es die Angriffe gegeben.“

Nancy Faeser macht die Gewalt „fassungslos und wütend“

Die Gewaltorgien haben bundesweit für Betroffenheit gesorgt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ließ am Dienstag eine Erklärung verschicken, laut der „das Ausmaß an Gewalt fassungslos und wütend“ mache. „Jetzt müssen die Gewalttäter die strafrechtlichen Konsequenzen deutlich zu spüren bekommen.“

In der nächsten Woche will sich der Senat mit der Gewalt befassen, dazu Polizeipräsidentin Barbara Slowik hören und über Konsequenzen nachdenken. Zudem wird der Ruf nach einem generellen Böllerverbot für alle laut, etwa von der Gewerkschaft der Polizei. Und Feuerwehrgewerkschafter fordern Kameras an den Löschautos, sogenannte Dashcams. Die CDU verlangt beschleunigte Strafverfahren. Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) hält 4000 zusätzliche Körperkameras für die Einsatzkräfte für nötig, um eine rechtssichere Strafverfolgung zu gewährleisten und Täter abzuschrecken.

Falko Liecke (CDU) war Jugendstadtrat und ist jetzt Sozialstadtrat in Neukölln. 
Falko Liecke (CDU) war Jugendstadtrat und ist jetzt Sozialstadtrat in Neukölln. dpa-Zentralbild

Dass Böllerverbote und Dashcams an Löschfahrzeugen allein etwas bringen, wird von vielen bezweifelt, etwa von Falko Liecke. Der stellvertretende CDU-Landeschef war jahrelang in Neukölln Jugendstadtrat und beschrieb in seinem Buch „Brennpunkt Deutschland“ die Probleme in der dortigen High-Deck-Siedlung, wo der Bus zerstört wurde. Sie ist laut Liecke ein Kriminalitäts- und Sozialbrennpunkt, wo 98 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund haben, meist einen arabischen. 

Die Feuerwehr als Repräsentant des Staates wird verachtet

Die explosive Situation in der Siedlung und in anderen Kiezen ist nach Lieckes Worten nicht neu, sondern das Ergebnis verfehlter Integrationspolitik der letzten 20 Jahre. „Es ist eine komplette Parallelgesellschaft herangewachsen, die mit unseren Staatsorganen, der Polizei und unserem Bildungssystem nichts zu tun hat“, sagt Liecke. „Sie steht unter dem Einfluss von religiösen Strukturen wie der Al-Nur-Moschee und dem streng religiösen Islam.“ Dass sich die Aggressionen jetzt nicht mehr nur gegen die Polizei, sondern auch massiv gegen Rettungskräfte richten, hat aus Lieckes Sicht einen Grund: „Die Feuerwehr ist Repräsentant des Staates, der verachtet wird.“

Am Montag steht Manuel Barth von der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft an der Schudomastraße in Neukölln. Dort war die Besatzung eines Löschfahrzeugs attackiert worden. Sie war auf dem Weg zu dem brennenden Bus. Die Brandbekämpfer hielten an der Schudomastraße, um Müllcontainer zu löschen. Plötzlich seien sie von etwa 100 Personen mit Steinen und Feuerwerkskörpern angegriffen worden, berichteten sie. Man habe auch auf ihre Köpfe gezielt. Die Feuerwehrleute fuhren schnell davon.

Während Manuel Barth davon erzählt, stehen ein paar Meter weiter zwei Jugendliche und starren auf ein Video auf ihrem Handy. Es zeigt hohe Flammen. „Teilnehmer dieses Mobs feiern im Nachgang ihre Video-Trophäe und teilen sie untereinander“, sagt der Gewerkschafter. „Wir müssen klar die Ursachen dieser Trennung der Gesellschaft in ihren Idealen und Rechtsverständnissen beleuchten. Zustände, wie wir sie vor zwei Tagen erlebt haben, sind nicht nur nicht hinnehmbar, sondern konsequent zu bekämpfen.“