Es ist die vielleicht irrsinnigste Chaos-Baustelle in Berlin. Und eine für die Allgemeinheit ziemlich teure Angelegenheit: Seit drei Jahren wird an der Regattastraße in Grünau zu beiden Seite eine Seniorenresidenz aus mehreren Häusern errichtet, wofür – mit Billigung des Bezirksamtes – ein unter Denkmalschutz stehendes Bauensemble zerstört wurde.
Anwohner beschweren sich seit Baubeginn über den herumfliegenden Müll und durch Container blockierte Fußwege. Fußgänger leben gefährlich, denn Fußwege gibt es praktisch nicht mehr. Und seit einigen Wochen ist auch die Straße selbst eine Großbaustelle. Denn irgendwann floss, wahrscheinlich von der Baustelle, eine große Menge Flüssigbeton in den Abwasserkanal unter der Straße – und zwar auf einer Länge von 150 Metern.
Wahrscheinlich stammt der Beton von der Baustelle. Aber hundertprozentig beweisen können die Wasserbetriebe, die jetzt den Abwasserkanal auswechseln müssen, das nicht. Und deshalb wird wohl das Unternehmen – und damit die Gebührenzahler – die Baukosten übernehmen müssen. Die Wasserbetriebe rechnen derzeit mit Kosten zwischen 600.000 und 800.000 Euro.
Wenn es überhaupt eine gute Nachricht in dieser Pannen-Serie gibt, dann die, dass die ursprünglich geplante Bauzeit bis Jahresende wohl einen Monat kürzer sein wird. „Wir werden deutlich vorher fertig“, sagt Stephan Natz, Sprecher der Wasserbetriebe. Die Bauarbeiten seien wahrscheinlich im November abgeschlossen.
Wie berichtet, hatten Mitarbeiter der Wasserbetriebe bei einer Routinekontrolle festgestellt, dass der Abwasserkanal auf der Hälfte des Durchschnitts mit ausgehärtetem Beton verstopft ist. Beim Versuch, die Röhre freizulegen, wurden mehrere Fräsköpfe verschlissen. Auch der Versuch mit einem Hochdruckwasserstrahl ging schief und schlug ein Leck in das Rohr.
Zu allem Überfluss wurde bei den Arbeiten auch noch eine danebenliegende Gasleitung getroffen, sodass Gas ausströmte und ein Flügel der zum Teil fertiggestellten Seniorenresidenz evakuiert werden musste.
Wasserbetriebe blieben auch bei anderen Baustellen auf Kosten sitzen
Seitdem können die Arbeiten an dem Neubau nicht weitergeführt werden. Und auch eine danebenliegende Baustelle für Wohnhäuser kann von Baufahrzeugen nicht mehr angefahren werden, weil die Regattastraße in diesem Bereich aufgerissen ist. Fußgänger laufen dort Slalom. Autofahrer landen noch immer in einer Sackgasse, weil das Bezirksamt als Verkehrsbehörde sich erklärtermaßen nicht zuständig fühlt, Umleitungsschilder aufzustellen. Denn dies sei eine Baustelle der Wasserbetriebe, wie eine Sprecherin mitteilt.
Warum der Bauherr, die Terragon AG, bislang nicht für Regressforderungen herangezogen werden kann, erklärt Stephan Natz so: Das Bürgerliche Gesetzbuch verlange, dass man einen Verursacher haben müsse bei einem vorsätzlich oder fahrlässig verursachten Schaden.

Aktuell streiten sich die Wasserbetriebe in zwei ähnlichen Verfahren vor Gericht mit Bauunternehmen. 2018 ließ eine Firma, die in Marienfelde ein Einzelhandels- und Ärztezentrum errichtete, große Mengen Beton in ein Abwasserrohr laufen. In 25 Häusern lief plötzlich das Abwasser nicht mehr ab. Eine halbe Million Euro stellten die Wasserbetriebe dem Unternehmen in Rechnung. Doch sie müssen genau belegen, wer bei dem beauftragten Subunternehmen der Täter war.
Grünauer Anwohner: „Das ist ein Schandfleck“
Auch im Fall des Schlossplatzes in Mitte streiten sich die Wasserbetriebe mit dem mutmaßlich verursachenden Unternehmen noch vor Gericht. Dort lief 2016 Beton in einen Abwasserkanal, was die Entsorgung auf der Museumsinsel schwer beeinträchtigte. Der Schaden: rund 260.000 Euro.
In den genannten Fällen konnten die Rohre mit 1000 Bar Wasserdruck freigespült werden. Im Fall der Regattastraße ging das nicht. Auch hierzu hat die Rechtsabteilung der Wasserbetriebe einen Vorgang angelegt. Aber im Moment wisse man nicht, wann der Beton dort in die Kanalisation eingelassen wurde und von wem, sagt Natz.
Bei Anwohnern der Chaos-Baustelle in Grünau steigt derweil die Empörung. Der Ortsverein Grünau prüft eine Strafanzeige wegen Sachbeschädigung beziehungsweise Eingriff in den Straßenverkehr. Die Mitglieder bezeichnen die Baustelle als „Schandfleck“. Und auch den SPD-Abgeordneten für Grünau, Robert Schaddach, trieb die Chaos-Baustelle schon um, bevor das Abwasserrohr kaputtging. „Das ist ein unmöglicher Zustand und schwer erklärbar“, sagt er. „Der Zustand des Gehwegs ist eine Katastrophe.“
Weitgehend blockiert sind wegen des aktuellen Bau-Chaos auch die Rettungswege für Krankenwagen und Feuerwehrautos zu der Seniorenresidenz.
Von Anbeginn hat der Bauherr der Seniorenresidenz beide Gehwege in Beschlag genommen, als Baustelleneinrichtungsfläche. Seitdem sind die Wege blockiert durch Müllberge, Baumaterial und Abfallcontainer. Die Sondernutzungsgenehmigung durch den Bezirk lief Ende November vergangenen Jahres allerdings aus.
Bezirksamt Treptow-Köpenick antwortet nicht auf Fragen
Die Berliner Zeitung stellte bereits in der vergangenen Woche folgende Fragen an das Bezirksamt Treptow-Köpenick: Entrichtet der Bauherr eine Sondernutzungsgebühr für die Blockierung der Fußwege? Wenn ja, wie hoch waren die Gebühren, die bisher gezahlt wurden, und werden derzeit noch Gebühren entrichtet?
Zudem wollte die Berliner Zeitung wissen, ob das Ordnungsamt die Klagen von Anwohnern über den seit Baubeginn herumfliegenden Dreck durch die Baustelle kennt und ob entsprechende Verwarn- beziehungsweise Bußgelder gegen den Bauherren erhoben wurden. Immerhin sind Ordnungsamtsmitarbeiter fast täglich vor Ort präsent und verteilen eifrig Strafzettel an Falschparker.
Weder die zuständige Baustadträtin Claudia Leistner (Grüne) noch der Bezirksstadtrat für Öffentliche Ordnung, Bernd Geschanowski (AfD), reagierten bisher auf die Fragen.
Nachtrag:
An diesem Donnerstagnachmittag schickte die Pressestelle des Bezirksamtes Treptow-Köpenick die Antworten auf die schriftlich eingereichten Fragen, die die Berliner Zeitung den Lesern nicht vorenthalten will. Die Antwort des Amtes im Original:
Entrichtet der Bauherr eine Sondernutzungsgebühr für die Blockierung der Fußwege durch Baumaterial, Container etc.?
Antwort: Der Bauherr entrichtete eine Sondernutzungsgebühr für die Inanspruchnahme von Flächen des öffentlichen Straßenlandes. Es können nur Flächen in Anspruch genommen werden, die zuvor durch die Straßenverkehrsbehörde und den Straßenbaulastträger, das Straßen- und Grünflächenamt, für diesen Zweck freigegeben wurden.
Wenn ja, wie hoch waren die Gebühren, die bisher gezahlt wurden?
Werden solche Gebühren auch derzeit noch entrichtet?
Antwort: Die Gebühren richten sich nach der Sondernutzungsgebührenverordnung des Landes Berlin und nach der Dauer der Inanspruchnahme. Zur Höhe können derzeit aufgrund der prekären Personalsituation im planenden und bauenden Bereich keine Auskünfte gegeben werden.
Kennt das Ordnungsamt die Klagen von Anwohnern über den seit Baubeginn herumfliegenden Dreck durch die Baustelle und ist das Ordnungsamt hier tätig geworden?
Wurden dazu entsprechende Verwarn- bzw. Bußgelder gegen den Bauherrn erhoben?
Antwort: Eine Beschwerdelage bezüglich des „herumfliegenden Drecks“ gab es beim Ordnungsamt nicht. Daher gab es auch keine Verwarn-/Bußgeldverfahren.
Wie schätzt das Bezirksamt angesichts der Straßenbaustelle der Wasserbetriebe die Qualität der Rettungswege für RTW und Löschfahrzeuge der Feuerwehr ein?


