Mobilität

Warnstreik der EVG: Warum in Berlin trotzdem S-Bahnen fahren könnten

Ab Sonntagabend soll sich bundesweit auf den Gleisen 50 Stunden nichts bewegen. Doch bei der Berliner S-Bahn hat das schon beim letzten Mal nicht geklappt. 

Eisenbahner demonstrieren für mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen. Nach Arbeitsniederlegungen am 27. März und 21. April wird ab Sonntagabend erneut gestreikt. 
Eisenbahner demonstrieren für mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen. Nach Arbeitsniederlegungen am 27. März und 21. April wird ab Sonntagabend erneut gestreikt. Sina Schuldt/dpa

Im Schienenverkehr steht der nächste Warnstreik der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) bevor. Ein Ultimatum verstrich. Und so wird es immer wahrscheinlicher, dass von Sonntag, 22 Uhr, bis Dienstag, 24 Uhr, in Deutschland keine Züge fahren – auch keine S-Bahnen in Berlin und Brandenburg. Aber schon während des vorangegangenen Warnstreiks im April konnte ein Teil der S-Bahnfahrten trotzdem stattfinden. Das könnte auch bei der nun beginnenden Arbeitsniederlegung der Fall sein. S-Bahnchef Peter Buchner schließt nicht aus, dass vereinzelt Züge fahren werden.

„Ganz klar, dieser lange Warnstreik ist maßlos und völlig überzogen“, sagte Buchner der Berliner Zeitung. „Der EVG-Streik wird die Reiseplanung von Millionen Fahrgästen massiv beeinträchtigen, und das in einer der reisestärksten Wochen des Jahres.“ Er deutete aber an, dass die S-Bahn wieder nicht ganz stillliegen wird. „Ob einzelne Züge bei der Berliner S-Bahn fahren können, hängt letztlich auch von der Streikbeteiligung ab“, so der Chef des DB-Tochterunternehmens. „Wir werden so viel fahren, wie die Streikbeteiligung zulässt.“

Während der vorangegangenen Arbeitsniederlegung in diesem Tarifkonflikt, die am 21. April stattfand, waren nach einiger Zeit vereinzelt wieder S-Bahnen gefahren. „Einige Züge fuhren ab 8 Uhr wieder“, so ein Eisenbahner zur Berliner Zeitung. Trotz des Warnstreiks „versuchen wir, euch auf einzelnen Linien schon jetzt wieder einzelne Fahrten anzubieten“, teilte die S-Bahn damals mit. In Gewerkschaftskreisen wurde bestätigt, dass vereinzelt S-Bahnverkehr stattfand.

Das Fahrpersonal könnte im September wieder streiken

In der Betriebszentrale von DB Netz, die Signale, Weichen und andere Anlagen steuert, sei die Arbeit in vier Dienstschichten organisiert, hieß es. Bei einem Teil der Schichten betrage der EVG-Organisationsgrad hundert Prozent, sagte ein Gewerkschafter. Dagegen gebe es bei anderen Schichten in der Halenseer Betriebszentrale auch Kollegen, die nicht der Gewerkschaft angehören. „Dort liegt die Quote bei 90 Prozent.“ Das war der Grund, warum auf einigen Linien vor dem offiziellen Ende des Warnstreiks wieder S-Bahnen fahren konnten. „Aber nur im 20- oder 30-Minuten-Takt“, hieß es.

In der Leitstelle der S-Bahn Berlin war die Streikbeteiligung niedriger als in der Betriebszentrale von DB Netz, so ein S-Bahner. Und das Fahrpersonal habe sich zumindest bislang kaum beteiligt. Es ist größtenteils in der GDL organisiert, bei der erst im September wieder ein Tarifkonflikt ansteht – inklusive neuer Arbeitskämpfe.

Auch bei der Niederbarnimer Eisenbahn (NEB) war beim vorangegangen Warnstreik, dem zweiten in der laufenden Tarifrunde, auf einer Strecke Verkehr möglich. „Auf der RB35 zwischen Fürstenwalde und Bad Saarow-Pieskow konnten Regionalbahnen fahren, weil der dortige Fahrdienstleiter nicht mitstreikte“, sagte Sprecherin Katja Tenkoul. Weil die Infrastruktur der Heidekrautbahn nördlich von Berlin der NEB gehört, werde auf der dortigen RB27 auch diesmal Zugverkehr stattfinden. Garantiert sei dies aber nur von und nach Schönerlinde – die Linien-Endstation Karow ist DB-Territorium.

Ansonsten sollten sich Bahnfahrgäste in Berlin und Brandenburg auf Zugausfälle einstellen. „Es kann bereits in den Abendstunden vor Streikbeginn zu Einschränkungen im S-Bahnverkehr kommen“, hieß es. Das beträfe auch den übrigen Schienenverkehr, so die DB. „Grundsätzlich wird im Regionalverkehr fast kein Zug fahren“, schätzte Peter Buchner ein. Damit trifft dieser Warnstreik ebenfalls wieder Pendler, die weite Strecken zurücklegen müssen. In Berlin gibt es auch diesmal wieder Alternativen. Busse, U- und Straßenbahnen fahren regulär, weil die landeseigenen Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) nicht in diesen Konflikt einbezogen sind. Dort gilt bis Ende dieses Jahres Friedenspflicht.

Bahnexperte fordert Streikfahrplan auch für Deutschland

In anderen Ländern gibt es Streikfahrpläne. Sie legen fest, welche Züge bei Arbeitsniederlegungen trotzdem verkehren. „Im streikerprobten Italien klappt das gut“, sagte Hans Leister, Bahnexperte, Unternehmensberater und ehemaliger DB-Manager, am Freitag der Berliner Zeitung. Er regte an, auch in Deutschland Streikfahrpläne zu konzipieren. Da hierzulande öfter als bisher mit Bahnstreiks zu rechnen sei, müsste sich auch die Verkehrspolitik um das Thema kümmern, so seine Forderung.

Die Bedeutung von Streiks würde durch einen verbindlichen Streikfahrplan nicht geschmälert. „Selbst wenn einige Züge verkehren, bliebe der wirtschaftliche Druck auf die DB erhalten“, gab Leister zu bedenken. Stellwerke, Betriebszentralen und andere Einrichtungen dieser Art seien auch bei Streiks besetzt, das sähen Notfallregelungen vor. 

„Großkundgebung“ mit kleiner Teilnahmezahl

Die Gewerkschaft hatte der DB ein Ultimatum bis Freitag, 12 Uhr, gestellt. Sie wollte dem bundeseigenen Konzern damit noch einmal Zeit geben, das Tarifangebot anzupassen, um einen Ausstand doch noch zu verhindern. Doch das Ultimatum verstrich ohne erkennbare Annäherung oder dass das Bundesunternehmen öffentlich reagierte.

„Die Streikbereitschaft ist hoch“, hieß es auch diesmal bei der EVG. Was die Demonstrationsbereitschaft anbelangte, war es zumindest in Berlin am 21. April eher ruhig. Zu der damaligen „Großkundgebung“ hinter dem Ostbahnhof sei nur eine kleine Zahl von Gewerkschaftern gekommen, berichtete ein Eisenbahner. „Nicht mal mehr die Verwaltung bekommen sie aus den beiden Büroräumen direkt dahinter auf die Straße. Auch nicht die mehrere tausend Zug-/Gastropersonale von DB Fernverkehr“, berichtete er.