Einige nicht ganz unbedeutende Dinge fehlen noch. Räder und Sitze zum Beispiel, Fensterscheiben und Leuchten. Nicht zu vergessen Kabel und Leitungen, die sich pro Fahrzeug auf immerhin 42 Kilometer Länge summieren. Doch ansonsten ist schon klar erkennbar, dass aus den sonnengelb lackierten Aluminiumkonstruktionen, die im Pankower Werk des schweizerischen Schienenfahrzeughersteller Stadler aufgereiht stehen, Berliner U-Bahnen werden sollen.
„Unsere Stadt bekommt nagelneue U-Bahn-Wagen, die hier im Norden Berlins gebaut werden“, sagte Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch. Am Montag war die Grünen-Politikerin in der neuen Montagehalle A zu Gast, um die ersten zwölf Wagenkästen anzuschauen. Ende 2022 sollen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) das erste fertige Fahrzeug bekommen. Weitere sollen bald folgen, möglichst noch in diesem Jahr. Doch wird der Ukraine-Krieg auch dieses Projekt stören? Und werden die Wagen reichen?
Seit dem Beginn des Jahres wird dort, wo zu DDR-Zeiten der Volkseigene Betrieb Bergmann-Borsig produzierte, die neue U-Bahn-Generation für Berlin montiert. Es begann im Februar mit der Lieferung des ersten Wagenkastens, der aus einem Stadler-Werk in Ungarn per Lkw nach Wilhelmsruh transportiert wurde - 12,2 Meter lang, 2,4 Meter breit und drei Meter hoch. Inzwischen kamen elf weitere Konstruktionen hinzu.
Erster Einsatzort wird die U3 nach Krumme Lanke sein
„Alle Fahrzeuge werden der neuen Baureihe JK angehören“, sagte BVG-Betriebsvorstand Rolf Erfurt am Montag. Die neuen U-Bahnen sind für die Linien U1 bis U4 ausgelegt, die wegen ihrer etwas schmaleren Tunnelquerschnitte als Kleinprofil bezeichnet werden.
Wenn Ende dieses Jahres die Lieferung an die BVG beginnt, heißt das noch nicht, dass dann auch schon Fahrgäste mitfahren dürfen. „Die Wagen werden erst einmal als Testfahrzeuge ausgiebig von uns erprobt“, erklärte U-Bahn-Chefin Nicole Grummini am Montag. Das werde voraussichtlich fast das gesamte Jahr 2023 in Anspruch nehmen. Wann genau der Einsatz im regulären Fahrgastbetrieb beginnt, ließen die Beteiligten offen. Nur so viel: Im Laufe des Jahres 2024 werden die Fahrgäste dann spüren, dass sich die Flotte verjüngt, so Grummini. Aller Voraussicht sollen die ersten Exemplare der neuen Zug-Generation vor allem auf der Linie U3 nach Krumme Lanke unterwegs sein.
Noch betrifft der Krieg in der Ukraine das Projekt nicht - noch nicht
Die nächsten zwölf Testfahrzeuge werden der Baureihe J angehören, die für Linien U5 bis U9 ausgelegt wird - für die breiteren Tunnel des Großprofils. „Dort werden die Fahrgäste die neuen Züge zunächst auf der U5 zwischen Hönow und Hauptbahnhof kennenlernen“, kündigte die U-Bahn-Chefin an. In diesem Bereich des Netzes liegt die vorerst letzte Auffrischung des Wagenparks besonders lang zurück, und die Flotte hat ein hohes Durchschnittsalter. Dabei ist die Berliner U-Bahn gemessen an der Zahl der Fahrgäste noch vor der S-Bahn das wichtigste Verkehrsmittel Berlins. Vor Corona wurden die Züge jährlich für mehr als eine halbe Milliarde Fahrten genutzt. 2001 waren es 372 Millionen.
Warum wird nicht das Großprofil als Erstes aufgefrischt? „Wir nehmen uns erst einmal das Schwierigste vor“, erklärte BVG-Manager Erfurt. Eine der ersten Fragen lautet, ob sich die Technik in den U-Bahnen des Kleinprofils mit ihren relativ beengten Räumen unterbringen lässt. Gelinge dies, werde das auch im Großprofil klappen, hieß es.
Unterm Strich hat die BVG bei Stadler zunächst 376 Wagen bestellt, für 1,2 Milliarden Euro. Senatorin Jarasch rechnet aber damit, dass die Neubauflotte bis in die 2030er-Jahre hinein auf mehr als tausend Fahrzeuge wächst. „Der Verkehrsvertrag mit der BVG sieht 756 Wagen für das Groß- und 262 Wagen für das Kleinprofil vor“, sagte die Landespolitikerin. Kosten: zwei Milliarden Euro. Stadler stellt 30 Jahre lang die Versorgung mit Ersatzteilen sicher. Je nachdem, wie es um die Finanzen des Landes bestellt ist, könnten am Ende bis zu 1.500 neue U-Bahn-Wagen bei der BVG auf den Höfen stehen. Doch ob der mit insgesamt drei Milliarden Euro dotierte Rahmenvertrag voll ausgeschöpft wird, steht in den Sternen, so Jarasch. Die finanziellen Spielräume werden wieder kleiner.
Reicht die Flotte künftig aus, um alle Wünsche der Politik und der Fahrgäste zu erfüllen? Derzeit verfügt die BVG über insgesamt rund 1300 U-Bahn-Wagen, davon knapp 800 für das Großprofil. Die heutigen Fahrzeuge sollen nach und nach ausgemustert werden. Die Senatorin kündigte am Montag an, dass das Fahrtenangebot tagsüber auf vielen Linien von einem Fünf-Minuten-Takt auf einen 3,3-Minuten-Takt verdichtet werden soll. BVG-Betriebsvorstand Rolf Erfurt hält das für machbar.
Rechtsstreit mit Alstom verzögerte die Lieferung
Es gibt auch noch andere Unwägbarkeiten. Werden die Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine auch dieses Produktionsvorhaben betreffen? „Noch ist es nicht betroffen“, sagte Vanessa Rittinger, die das Projekt bei Stadler leitet. Aber es sei nicht ausgeschlossen, dass Zulieferer von Kabeln und anderen wichtigen Fahrzeugteilen die Probleme zu spüren bekommen. „Derzeit ist das Projekt im Zeitplan, und auch mit der Qualität sind wir zufrieden“, teilte BVG-Manager Erfurt am Montag mit.
Der Startschuss für das Vergabeverfahren war bereits 2016 gefallen. Allerdings war erst 2019 klar, wer den Auftrag bekommt – Stadler. Trotzdem konnte die Produktion auch dann noch nicht beginnen, denn der Mitbewerber Alstom zog vor die Vergabekammer. Als das französische Unternehmen dort erfolglos blieb, legte es beim Kammergericht Beschwerde ein. Die BVG habe „an der Grenze dessen, was vergaberechtlich zulässig war, gehandelt“, rügte Anwalt Alexander Csaki. So sei Alstom aufgefordert worden, das Preisangebot zu senken, um die eigenen Chancen zu verbessern. Im März 2020 wies das Kammergericht allerdings die Beschwerde zurück. Endlich gab es grünes Licht.

Besucher des Deutschen Technikmuseums können sich bereits einen Eindruck von den neuen U-Bahnen machen. Dort kann man noch bis Sommer ein lebensgroßes räderloses Modell besichtigen und begehen – einen Wagen mit Führerstand der Baureihe JK. Die Konstruktion aus Stahl und Holz wurde vom Berliner Unternehmen IFS Design gebaut.
Innen wirkt der Wagen großzügig, obwohl er nur 2,40 Meter breit ist, wie auf den Linien U1 bis U4 mit ihren schmaleren Tunneln üblich. Auch bei den jetzigen „Icke“-Zügen (Baureihe IK) sind die Wagenwände in der Mitte nach außen gewölbt. Das soll innen Platz schaffen. Doch dort sind die Bildschirme, die über den Fahrtverlauf informieren, quer im Fahrgastraum unter der Decke angebracht – was auf manche Fahrgäste einen beengten Eindruck macht. In den neuen JK-Zügen werden die Monitore dagegen seitlich an den Wänden montiert, wo sie den Durchblick nicht stören.
Ein weiterer Unterschied: Die Türsäulen sind flacher, sie ragen nicht so weit in den Fahrgastraum hinein. Und es gibt nur zwei Türen auf jeder Seite - das soll ebenfalls mehr Platz schaffen.






