Konzert

Johnny Depp und Alice Cooper als Hollywood Vampires: Bis(s) zum letzten Toten

Wer braucht die schaurigen Hollywood Vampires, die womöglich teuerste Coverband der Welt? Beim Berlin-Konzert in der Zitadelle Spandau haben wir Antworten gefunden.

Jack Sparrow und Captain Hook – oder doch Johnny Depp und Alice Cooper?
Jack Sparrow und Captain Hook – oder doch Johnny Depp und Alice Cooper?Björn Trotzki/imago

Wenn Mann auf ein Rockkonzert geht, muss Mann schon vor Beginn sturzbetrunken sein. Diesen Eindruck vermittelt zumindest eine erste Bestandsaufnahme der Schlange vor der Zitadelle in Berlin-Spandau. Später stellt sich allerdings heraus, dass das (zum Glück) nur eine schlecht erwischte Stichprobe bleiben sollte. 

Vor der Zitadelle müssen nüchterne Menschen sowie Mitarbeitende starke Nerven bewahren. Ein (jetzt schon!) taumelnder Konzertgänger hält in der Meinung, er habe kein Ticket in die Hand gedrückt bekommen, den gesamten Betrieb an der Abendkasse auf. Was er vergessen hat und jetzt partout nicht merken will: Die Karte befindet sich bereits in seiner Hosentasche.

Die Hollywood Vampires, die „teuerste Coverband der Welt“, sind eine Rockband bestehend aus Alice Cooper, Joe Perry und Johnny Depp. Im Trio befinden sich zwei echte Rockstars: Alice Cooper, Sänger der Band Earwigs, die später nur noch Alice Cooper hieß und seine Solokarriere zündete; und Joe Perry, der Lead-Gitarrist von Aerosmith. Am Mittwochabend sind sie im Rahmen einer Deutschland-Tour in Berlin aufgetreten. 

Hollywood Vampires in der Zitadelle Spandau: Erhebung der Toten

Alice Cooper gilt heutzutage als Gottvater des Schock-Rocks, ein Name, den er seinen Bühnenauftritten des Horrors zu verdanken hat. Alles fing damals an, als er ein ihm auf der Bühne zugeworfenes lebendes Huhn zurück in die Menge warf und das arme Tier daraufhin von wildgewordenen Fans zerfetzt wurde. Von da an gab es zu seinen Konzerten immer schaurige Inszenierungen, etwa, wie Cooper sich selbst mithilfe einer Guillotine hinrichtet. Im Gegensatz zu dem des Huhns war sein Tod natürlich nicht echt, und so starb Cooper auf der Bühne viele Male. 

Beim Berlin-Konzert der Hollywood Vampires soll niemand – inszeniert oder nicht – sterben, und trotzdem wird der Tod sich wie ein roter Faden durch das Programm des Abends ziehen. Denn die Coverband spielt vor allem Songs von verstorbenen Rocklegenden; und auch ihre (wenigen) eigenen Lieder, wie etwa „Let’s Raise The Dead“, sollen eine Hommage an die schon von uns gegangenen Künstler sein.

Vor der Bühne angekommen, ist das Bild, das sich vom Publikum hinsichtlich des Promillegrads zeichnet, schon deutlich besser. Was sich inflationär oft auf einem Rockkonzert beobachten lässt, sind Bärte in den verschiedensten Ausführungen, Bierbäuche, T-Shirts mit Aufdruck und T-Shirts mit Bierbäuchen als Aufdruck. Als die Hollywood Vampires auf die Bühne steigen, fragt man sich, wieso sie sich eigentlich nicht Hollywood Pirates genannt haben. Das hätte schon allein wegen Bandmitglied Nummer drei, Schauspieler Johnny Depp, gut gepasst, dessen erfolgreichste Rolle jemals der charmante Pirat Jack Sparrow in „Fluch der Karibik“ war. 

Cooper im Piratenlook, Depp mit Rasta-Mütze

Alice Cooper sieht heute Captain Hook, dem Piratenschurken aus „Peter Pan“, verblüffend ähnlich. Die schwarzen Haare und das dunkelrote Samtsakko erinnern unweigerlich an diesen, Hooks berühmten Haken hat er gegen einen schwarzen glänzenden Stock getauscht, mit dem er immerzu auf der Bühne umherhantiert. Jack Sparrow, Entschuldigung, Johnny Depp trägt die Haare lang unter einer gehäkelten Rasta-Mütze.

Die Band bestehend aus Cooper, Depp und Perry wurde übrigens 2015 gegründet. Der Ursprung der Gruppe wie auch ihres Namens liegt allerdings schon in den 1970ern. Damals bestanden die Hollywood Vampires neben Cooper aus Keith Moon, Ringo Starr, Micky Dolenz und Harry Nilsson; gelegentlich war auch John Lennon dabei. Mittelpunkt der trinkfesten Truppe war der Alkohol: Die Aufnahmeprüfung für Neuzugänge bestand darin, die anderen Mitglieder unter den Tisch zu trinken. 

Laut den jetzigen Mitgliedern wurde das Trinkverhalten mitsamt der Aufnahmeprüfung abgelegt, Alice Cooper kehrte dem Rausch sogar gänzlich den Rücken. Der 75-Jährige gibt an, seit fast vier Jahrzehnten trocken zu sein, und schwärmt in Interviews vom Golfen, seinem Lieblingshobby. Er hat den Absprung aus dem Exzess offenbar rechtzeitig geschafft. Viele seiner Freunde und Kollegen hingegen nicht, und so schmettert seine Schmirgelpapier-Stimme die Verse des Songs „My Dead Drunk Friends“: „So let’s have another for all of my brothers, who drank until they died.“ Wie ein Mantra ruft er in den jungen Abend immer wieder „We drink and we fight / And we puke and we puke / And then we die“.

Merch von Harley Davidson, Bier und vegane Donuts

Wo wir wieder beim Thema wären. Am meisten getragen wird vom Publikum zwar Merch von namenhaften Rockbands oder Harley Davidson; viele T-Shirt-Aufdrucke beschäftigen sich aber auch mit Alkohol. „Whiskey. Mir hat Wasser nicht geschmeckt“, prangt auf einer Brust. Ein anderer Gast trägt eine Jeansjacke mit verschiedenen aufgenähten Patches, auf jedem steht ein Spruch tiefgründiger als der andere. Zum Beispiel: „Schade, dass man Bier nicht ficken kann.“ 

Ansonsten stehen Totenköpfe, Nieten und Tribal-Tattoos noch hoch im Kurs, wenn es darum geht, was sich in der Menge wie Sand am Meer findet. Am überraschendsten ist ein T-Shirt, das zwar den Aufdruck-Knigge befolgt, aber ansonsten so gar nicht zum restlichen Klientel passen will: Ein Mann trägt ein T-Shirt von Brammibals – die veganen Donuts, die es in dem Laden dieses Namens gibt, sind unter Berliner Hipstern heiß begehrte Ware. 

Zumindest im hinteren Teil des Konzerts bewegt sich die Menge auffallend wenig. Mitgesungen wird erst recht kaum. Dass ein lebendiges Huhn vor brennender Leidenschaft zerrissen wird, kann man sich hier (Gott sei Dank) beim besten Willen nicht vorstellen. 

Alice Cooper gibt auf der Bühne trotzdem alles. Johnny Depp hingegen zupft eher verhalten an seiner Gitarre rum (spielt er überhaupt?) und raucht währenddessen an seiner Zigarette (noch mal: spielt er überhaupt?). Für „Heroes“ von David Bowie tritt er dann aber in die Mitte der Bühne und übernimmt den Gesang. Natürlich ist es im direkten Vergleich mit dem röhrenden Cooper schwierig, stimmlich zu beeindrucken. Sagen wir’s mal so: Die meisten Töne werden getroffen, aber eben nicht alle.

Der Rosenkrieg von Johnny Depp gerät immer mehr in Vergessenheit

„I, I will be king and you, you will be queen“, singt Depp, Bowie covernd, in die Nacht hinein, „We can be Heroes, just for one day“. Es klingt fast ironisch, wo aus seiner eigenen Liebesgeschichte doch scheinbar nur er selbst als Held hervorging. Nach dem in den Medien, insbesondere auf TikTok, grotesk verfolgten Rechtsstreit mit seiner Exfrau Amber Heard stand Depp am Ende als Gewinner da. Heard hingegen, die den Prozess angestoßen hatte, indem sie vor der Washington Post aussagte, Opfer häuslicher Gewalt gewesen zu sein, wurde von der Öffentlichkeit und am Ende auch vom Gericht hart verurteilt. Eine #MeToo-Debatte, bei der der Frau am Ende nicht geglaubt wurde.

Dass Publikumsliebling Johnny Depp sich vor den Kameras, genau wie in seinen Filmrollen, perfekt zu inszenieren wusste, wird wohl nicht wenig dazu beigetragen haben. Es wirkt, als ob die Vorwürfe vom Gros der Welt vergeben und vergessen wurden. Erst letztens erhielt er in Cannes wieder Standing Ovations für eine neue Filmrolle. Um Amber Heard ist es seither still geworden. 

Auch beim Berlin-Konzert in der Zitadelle scheint Depps Disput mit Amber Heard nicht weiter von Belang, hier ist Johnny Depp Musikstar, gleichermaßen bejubelt wie Alice Cooper und Joe Perry. Wobei der Jubel sich bei dem insgesamt recht stillen (aber dennoch zufrieden wirkenden) Publikum in Grenzen hält. Bei „People Who Died“ zeigen die Zuschauer ihre Begeisterung (klatschen), und die Liste an Verstorbenen ist lang, wie sich an den schnell wechselnden Fotos auf der Leinwand hinter der Bühne zeigt. Die Gesichter von John Lennon, Jimi Hendrix und Freddie Mercury tauchen auf – um nur drei von ihnen zu nennen. 

Bei „Walk This Way“ von Aerosmith kommt das Publikum dann so richtig aus sich raus (wippen), richtig mitgesungen vom Großteil wird allerdings erst bei der Zugabe – „School’s Out“ von Alice Cooper und „Another Brick in the Wall“ von Pink Floyd. „We don’t need no education“, schallt es über die Zitadelle. Das scheint der Spirit zu sein.