Laut, dreckig und unhöflich sind Attribute, die nicht besonders geschätzt werden. Zu Unrecht! Gute Punkrock-Konzerte beweisen das. Hier darf der Schweiß tropfen. Die Stimmen sind rotzig. Ohrstöpsel brauchen nur Anfänger. Die Fans von Turnstile aus den USA fanden sich am Mittwochabend in der Verti Music Hall in Berlin ein.
Zur gleichen Zeit blickte die Musikwelt nach München auf Rammstein, die erstmals nach den schwerwiegenden Vorwürfen gegen Sänger Till Lindemann auftraten. Die 4500 Turnstile-Fans in Berlin focht das nicht an. Die Band ist skandalfrei, von derben After-Show-Partys ist nichts bekannt. Punkrock ist nicht lieb, hat mit Gewalt aber nichts zu tun. Die Texte brauchen weder ein echtes noch ein geheucheltes lyrisches Ich. Punkrock ist roh, ehrlich, nackt und herzlich. Während andere „Dicke Titten“, „Ausländer“ und „Deutschland“ besingen, wird auf Punkrock-Konzerten „No Sexism“ und „No Racism“ skandiert, Liebeslieder geschrien und Bässe statt Frauen malträtiert.
Um 21.19 Uhr wird es dunkel, das Intro wird abgespielt. Über dem Schlagzeug hängt ein Banner mit dem Logo von Turnstile sowie zwei Sternen, die aussehen wie die, die sich vermutlich jeder dritte Punkrock-Fan in den Nullerjahren auf Unterarme oder Leiste hat stechen lassen.
Turnstile geben keine Zugabe – wie unhöflich
Während die Besucher vor 15 Jahren wohl noch mit Nietengürtel und zerrissenen Strumpfhosen herumliefen, tummeln sich hier neben den üblichen Verdächtigen in dunklen Bandshirts Frauen in bunten Kleidern. Eine Dame auf dem Oberrang trägt sogar Perlenkette. Diese Fans sehen aus als kämen sie von einem Jour fixe in der Werbeagentur. Das hat ebenso wenig wie die Location mit antikapitalistischem Punk zu tun.
Doch das ist egal, denn Turnstile heizen den Besuchern so sehr ein, dass sie auch die Bürokleidung vollschwitzen und den Fußboden mit umgeschüttetem Bier (6,50 Euro) vollkleben. Es ist wie üblich ein wenig dreckig. Laut sind Turnstile sowieso und weil sie nach einer knappen Stunde Performance keine Zugabe spielen auch irgendwie unhöflich.
Der Moshpit zögert keine Sekunde als die ersten Töne einsetzen. Zu „Mystery“ steuern halbnackte Körper im Rhythmus aufeinander zu. Ein paar crowdsurfen, spätestens ab dem dritten Lied bebt der Saal. Das Besondere an Turnstile: Beat folgt auf Beat ohne kratziges Geschrei. Man kann mitsingen – was auf Hardcore-Konzerten zwar nicht verpönt ist, wohl aber angesichts der scharfen Shouts oft schwierig ist.
Die Band kommuniziert wenig mit dem Publikum. Doch ein „Eeeehjoooo“, das von der Menge erwidert wird, bringt auch Sänger Brendan Yates hervor. Ein Aufruf zum Mitsingen bei „Moon“ putscht die Menge weiter auf.
Highlight des Abends ist das Schlagzeug-Solo. Der Drummer steht für etwa drei Minuten im Mittelpunkt. Die Menge feiert ihn frenetisch mit Pfiffen, Jubeln und Mitklatschen im immer schneller werdenden Takt. Ein Geigen-Solist könnte hier neidisch werden, der in der Regel höchstens ein höfliches Applaudieren und ein kultiviertes „Bravo“ von bequemen Sesseln empfängt.


