Malerei im Zeit-Tunnel

Stadt, Körper, Lüge: Norbert Biskys eigenes Bild von einer krisengeschüttelten Zeit

Der Berliner Maler zählt zu den wichtigsten Gegenwartskünstlern, nicht bloß in Deutschland. In Berlin wurde er  berühmt für seine bösen Buben-Bilder. Ein Porträt zur Berlin Art Week.

Der Maler Norbert Bisky in seinem Atelier in Berlin-Friedrichshain
Der Maler Norbert Bisky in seinem Atelier in Berlin-FriedrichshainNina Raasch für Berliner Zeitung am Wochenende

An der Wand des Friedrichshainer Ateliers hängt dieses neue Gemälde. Ein mittelgroßes Format, doch nicht die Größe bestimmt die Wucht des Bildgeschehens: stürzende Perspektive. In der Luft trudelnde Körper über einer Stadtlandschaft, zentrifugales Wirbeln im Raum, die Aufhebung der Schwerkraft. Einstürzende Hochhäuser.

Grelle, hitzige Farbfetzen, die über den Himmel jagen. Kerle mit Fahnen, mit Fackeln. Die Körper trotz der Gefahr homoerotisch. Weibliche Gestalten sind subtiler dargestellt, behutsamer. Und mittendrin ein weißes Rund. Ein Loch? Ein blinder Fleck? Ein Tag-Vollmond? Ein Wach-Albtraum?

So malt Norbert Bisky, 52, expressiver Realismus und Abstract Painting zugleich. Mit langem Arm, die Leinwände auf dem Atelierfußboden, die Pinsel am Besenstiel befestigt. Dicht gestrickt sind die Bedeutungsebenen, wie immer in seinen Bildern. Stadt, Körper, alte und neue Lügen, Fake News und falsche Verheißungen von Rattenfängern und Seelenfischern. Man erfasst rasch, um was es geht, nicht abbildhaft, sondern universal ausgedrückt: Chaos, Gewalt, Zerstörung. Kein Halt. Nirgends. Aber auch Zärtlichkeit: Das Leben ist schön, aber die Welt ist leider an vielen Orten schlecht. Und wir Wohlstandsdeutschen leben mit vorauseilendem Lamento in der „Sub-Apokalypse“.

Bisky erfindet solch originelle Bezeichnungen. „Zeit-Tunnel“ ist auch so eine. Und er zieht uns hinein, biografisch, topografisch. Denn irgendwie ist das alles noch da, tief drin in den Bildern: woher er kommt, aus dem Osten, aus dem kleinen Land zwischen Ostsee und Thüringer Wald – mit der großen, krachend gescheiterten gesellschaftlichen Utopie eines Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Und doch hat er es auch hinter sich gelassen in den letzten 30 Jahren, seit er sich als Student und später Meisterschüler von Georg Baselitz an der Berliner UdK – für den die alten Ost-Maler „Arschlöcher“ waren – die DDR, die Mauer, den Pionierdrill, die verlogene FDJ-Romantik und den Irrglauben, auf der besseren deutschen Seite zu stehen, aus dem Leib gemalt hat. Und zu seinem künstlerischen Individualismus fand.

Norbert Bisky in seinem Atelier, einem ehemaligen Pferdestall
Norbert Bisky in seinem Atelier, einem ehemaligen PferdestallNina Raasch für Berliner Zeitung am Wochenende

Norbert Bisky sagt, Berlin sei das richtige Pflaster für seine Malerei

Norbert Bisky war 19, als die Mauer fiel. 30 Jahre später malte er dieses Bild: Ein junger Mann in Camouflage-Kluft und Turnschuhen krampft sich mit Händen um ein Seil, hangelt sich mit den Füßen voran, hoch oben über halb verheißungsvoll, halb bedrohlich lilafarbene, an manchen Stellen wie in Brand gesteckte Wolken über einem Fluss. Von Ost nach West. Das Bild ist ein Gleichnis für das, was er damals, 1989, erlebte und fühlte. Er ist es sozusagen selber, war kurz zuvor noch eingezogen worden, saß in einer NVA-Kaserne. Und haute ab, kam in den Bau, kurz nur, dann ließen sie ihn frei.

Heute zählt der damals von den Ereignissen Durchgeschüttelte zweifellos zu den wichtigsten Gegenwartskünstlern, nicht bloß in Deutschland. Jahre nach der Meisterschülerzeit bei Baselitz fuhr er von Berlin aus regelmäßig für eine Gastprofessur nach Genf, an die dortige Kunstakademie, und lehrte danach bis 2018 an der Kunsthochschule Braunschweig. An der Kunsthochschule Weißensee hätten ihn viele im Kollegium gerne gehabt. Dann wurde ein anderer berufen. Norbert Bisky fand das total in Ordnung. Das Gefühl von Neid ist ihm fremd. Ihn freut der Erfolg anderer Künstlerinnen und Künstler. Was ist das für eine gute Gesellschaft, die so viele Künstler hat – und zwar aus aller Herren Länder.

Norbert Bisky sagt, Berlin sei das richtige Pflaster für seine Malerei. Wenn er Abstand braucht, sucht er diesen in Andalusien, wo er eine Hütte hat, wie andere Leute in der Uckermark eine Datsche. Seit seinem zehnten Lebensjahr lebt der 1970 in Leipzig geborene Sohn des 2013 verstorbenen Filmhochschullehrers und Linke-Politikers Lothar Bisky in Berlin. Er identifiziert sich mit der Stadt, die nie schläft, niemals ruht, wo alles nur immer wird, statt zu sein, in der es ab und an politisch und sozial rumort, wo jede Woche demonstriert und unablässig Party gefeiert wird. Wer wüsste das besser als der Berghain-Gänger, der dem legendären Friedrichshainer Techno-Club schon vor Jahren ein großes Gemälde an die Wand gemalt hat.

Anmutige schwule Jungs widerspiegeln Norbert Biskys Coming-out

In Berlin wurde er berühmt für seine Böse-Buben-Bilder: Pioniere und FDJler am Lagerfeuer, NVA-Soldaten. Er malte all die abstrusen DDR-Rituale, den ideologischen Drill, Wehrkunde und Staatsbürgerkunde. Auch den Kulturclash mit der westlichen Welt, die ungewohnte Freiheit, den Konsumterror, die gesellschaftlichen Verwerfungen, die Kriege auf dem Balkan, im Nahen Osten. Und die anmutigen schwulen Jungs. Sie widerspiegeln sein zeitiges, selbstbewusstes Coming-out.

Der Stil, in dem die Bilder gemalt sind – westliche Kunstkritiker verglichen ihn mit der Malweise des Sowjetrussen Alexander Deineka, andere unterstellten ihm, sich der NS-Ästhetik der Leni Riefenstahl zu bedienen –, unterstützt den Blick auf eine freilich nur scheinbar heile Welt. Es sind meist sehr lichte, fast gleißend helle Bilder von jungen Männern in schöner Landschaft. Er selbst nennt das im Rückblick: „wie mit Lenor gewaschen“. Dann jedoch folgten Motive wie „Übung im Gelände“ (2002), „Lazarett im Paradies“ (2005) oder „Fernzünder“ (2005), mit unterschwelligem Bezug zum Grand Guignol, dem im Paris des späten 19. Jahrhunderts aufgeführten Horror-Kasperletheater für Erwachsene.

Der New Yorker Terroranschlag von 9/11 des Jahres 2001, die Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozean Weihnachten 2004, erlebt am Fernseher, und der islamistische Terrorakt in Mumbai im November 2008, den er mit aller Panik und grauenvollen Anblicken hautnah miterleben musste, als er gerade in der indischen Metropole eine Ausstellung hatte, drangen ein in Biskys Bildwelten, in die Formen und Farben. Danach schien alles zu explodieren. Brandstifter und Kannibalen – erinnernd an Goyas „Allesfresser“ – treiben ihr Unwesen auf den Leinwänden. Manche Einzelporträts gleichen Altarbildern, auf anderen geschehen Farb-Attentate, knallbunte, orgiastische Zerstörungsgleichnisse in barocker Schönheit halb nackter Körper, in Fetzen fliegender Utensilien – alles, was in der Welt ist: Liebe und Gewalt, Angst und Exzess, Hetero- und Homosexualität.

In Norbert Biskys Atelier
In Norbert Biskys AtelierStudio Bisky

Als Vorbilder nennt Norbert Bisky Malerinnen

Biskys unheilige Figurenszenarios, Unrast und  Instabilität ausdrückend, die dramatischen Himmel – alles ist emotional aufgeladen. Die wie in Trance taumelnden oder durch die Luft fliegenden Figuren lassen an die italienischen Manieristen denken. Bisky sagt, dass er besonders Tiepolo mag, dessen Deckenbilder in der Würzburger Residenz. Und die altmeisterlichen Spanier, Zurbaran, Velasquez, auch Goya. Deren Bilder hat Bisky geradezu aufgesogen, als er in den Neunzigern mit einem Stipendium in Madrid arbeiten konnte.

Nach zeitgenössischen Vorbildern und Inspiration gefragt, nennt Norbert Bisky ausgerechnet nur Malerinnen wie die fast gleichaltrige Britin Cecily Brown, wegen ihrer farblüsternen, leichthändigen Verquickung von High und Low unserer Lebenswelten. Oder die Amerikanerin Nicole Eisenman, deren neorealistische, bisweilen comicartig boshafte „Geißelung“ von Sexismus und Patriarchat.

Seine Bilder hängen inzwischen im New Yorker MoMA und im Israel Museum Jerusalem, in Seoul, Paris, Hongkong, Lissabon und Köln, in ostdeutschen Museen sowieso und in Berliner Häusern wie dem Landes- und Stadtmuseum. Die Nationalgalerie schaut bislang in ihrer Sammlungspolitik stoisch an ihm vorbei, wie an so vielen jüngeren Malerinnen und Malern aus dem Osten. Darüber indes macht Norbert Bisky sich null Gedanken. Dafür hat er gar keine Zeit, denn in Kürze wartet das Rostocker Volkstheater auf sein Bühnenbild für ein Berghain-Stück mit Techno. Das Wummern der Bässe, die harten Rhythmen des Techno vermeint man auch in seiner Malerei zu vernehmen. Berliner Klänge.

Norbert Bisky mit einem seiner Werke
Norbert Bisky mit einem seiner WerkeStudio Bisky

Norbert Bisky ist kein Redner, er kann es nur malen

So malt er seit Jahren sein Lebensgefühl in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist. Einstige Gewissheiten zersplittern, scheinbar berechenbares und verlässliches Gefüge zerbricht, zerfranst. Noch extremer nehme er das wahr seit Putins Aggressionskrieg gegen die Ukraine und diesem endlosen Vernichten und Sterben und den Kollateralschäden in Europa, insbesondere in den armen Ländern in Afrika und Asien, die bis zum Verrecken vom ukrainischen Brotweizen abhängig sind. Er kann nicht beantworten, was los ist mit so vielen antifaschistisch erzogenen Ostdeutschen, die jetzt der AfD, diesen geschäftstüchtigen „Empörungs-Unternehmern“ um Höcke und Co, wie Bisky sie nennt, nachrennen, ohne ernsthaft nachzudenken, den Kriegstreiber Wladimir Putin verstehen, dessen Verbrechen gar rechtfertigen.

Er ist kein Redner, er kann es nur malen, übersetzen in Collage-Ästhetik, die auch das Digitale einbezieht bei all den Bilderfetzen auf Spiegelflächen. Als bunte, schöne und gefährliche Topografien des Lebens, wo sich dazwischen die Blicke von uns Betrachtern spiegeln. Als wollten diese abstrakten Bildgefüge besagen: Alles hat mit allem zu tun, ist emotional und konzeptionell, real und fiktiv zugleich. Oder mit Dostojewski: Alle sind an allem schuld. Weil die Gleichgültigkeit der reichen, satten Gesellschaften die schlimmste Verfehlung ist.

Der Maler Norbert Bisky zerlegt diese beängstigende Situation auf seinen Leinwänden aber nicht in Zuordnungen, geo- oder nationalpolitisch. Dynamisch, im Zusammenhang von Geschichte und Gegenwart. Und in teils auch ratloser und doch hoffnungsvoller Sorge um die Zukunft. Er ist weit weg vom Moralisieren. Er malt, wie er denkt und fühlt. Welttheater, aus welcher Sichtachse man auch schaut: Das Draufschauen macht bisweilen schwindlig, das Schweben der Figuren, das Wimmeln und zentrifugale Wirbeln im Bildraum, die Aufhebung der Schwerkraft, die Körper in wollüstig-schmerzhaften Überdrehungen. Norbert Bisky gibt seine Bilder frei, ohne sie uns zu erklären. Er verlässt sich darauf, dass wir sehen, dass es um Geschichte, Gegenwart, Zukunft geht.