„Stadt, Lüge, Unruhe“: So hieß das Leitmotiv für einen Abend, der in der Kleinen Auguststraße am Montag von der Berliner Zeitung in Kooperation mit dem Maler Norbert Bisky veranstaltet wurde. Es war der Auftakt für die am 13. September beginnende Berlin Art Week und die Zusammenarbeit zwischen der Berliner Zeitung und Norbert Bisky, dem in Leipzig geborenen Künstler, der von Mittwoch bis Samstag (13. bis 16. September) vier Titelseiten der Berliner Zeitung gestalten wird. Die Verlegerin der Berliner Zeitung Silke Friedrich lud etwa 100 Gäste in die Kleine Auguststraße in Berlin-Mitte, um mit Bisky über das gemeinsame Projekt und seine Kunst zu diskutieren.
Silke Friedrich führte in den Abend ein, indem sie ihre Motive für den Erwerb des Berliner Verlags vor etwa vier Jahren erklärte: Der Verleger Holger Friedrich und sie wollten einen Ort der Information und der Debatte kreieren, an dem die Öffentlichkeit sich vorurteilsfrei über Herausforderungen der Gegenwart informieren und austauschen kann. „Der Anfang ist, dass man spricht und diskutiert. Es könnte ja immerhin sein, dass der andere recht hat“, beschrieb Silke Friedrich die publizistischen Leitlinien des Berliner Verlags und zugleich das Motto des Abends. Bevor die Diskussion begann, ehrte die Verlegerin eine der profiliertesten und verdienstvollsten Mitarbeiterinnen des Hauses: die Kunstkritikerin Ingeborg Ruthe, die für die Berliner Zeitung nun seit bald 30 Jahren im Einsatz ist.
Die Gewissheit, dass Systeme zusammenfallen können
Tradition verpflichtet. Insbesondere die ostdeutsche Tradition. So könnte man die Anfangsthese des Abends zusammenfassen, in der Bisky seine Anfänge als Künstler beschrieb. 1970 in der DDR geboren und aufgewachsen, sprach er über seine Anfänge an der Hochschule der Künste, heute Universität der Künste, im Westen Berlins. Dort sei er einer der ganz wenigen und allerersten Ostdeutschen gewesen. „Ich hatte das Gefühl, ich passe da nicht so richtig rein.“ Sein Lehrer Georg Baselitz habe ihn dazu motiviert, seine ostdeutsche Identität als Inspirationsquelle für seine Kunst zu nutzen. „Ich wollte das erst nicht“, sagte Bisky. Doch später habe er den Rat seines Mentors ernst genommen und seine Erfahrungen als Ostdeutscher in seinen Werken umgesetzt: ostdeutsche Szenerien, die immer auch eine Ahnung des Untergangs implizieren.
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Silke Friedrich resümierte, dass viele Ostdeutsche in der Nachwendezeit sich anpassen und ihre Vergangenheit ausradieren wollten. Doch nun sei eine Zeit der Neugier und der Aufarbeitung gekommen. „Jetzt in unserem Alter finde ich den Osten wieder interessant“, sagte Friedrich. Bisky verwies darauf, dass ihn der Untergang der DDR gelehrt habe, dass nichts sicher sei und jedes System verschwinden könne. Eine Sensibilisierung, die Westler nicht unbedingt vorweisen könnten. „Nichts ist sicher, alles kann sich ändern und es kann auch richtig zusammenkrachen.“ Dieses Gefühl passe gut in diese Zeit. Der Unterschied zu früher sei nur, dass dieses Gefühl nun für alle gelte. „Es stellt sich jetzt ein Gleichstand her, auch für Leute, die behütet im Münsterland aufgewachsen sind.“
Kein Posterboy des Ostens
Dabei betonte Bisky, Sohn des 2013 verstorbenen Linke-Politikers Lothar Bisky, dass er das Politische in seinen Werken nicht weiter verfolgen wolle, auch wenn es ihm schwerfalle. Er versuche sich nun, auf etwas abstraktere Motive zu konzentrieren. Sein Traum sei es, Blumenbilder zu malen. Das konnte der Maler nicht ganz ernst meinen, dachten einige Anwesende im Saal. Immerhin folgen die Motive, die er für die Titelbilder der Berliner Zeitung zusammengestellt hat, dezidiert politischen Denkfiguren. Der Idee der Lüge, der Stadt, der Unruhe – allesamt Ideen, die für eine Art Unbehagen stehen.

Silke Friedrich wollte wissen, warum Bisky nicht der Posterboy des Ostens sei und auch nicht sein wollte. Bisky antwortete, dass er mit solchen Benennungen nichts anfangen könne. Er sagte, dass er vermutlich in die BRD ausgewandert wäre, wenn die Mauer nicht gefallen wäre. Seine ambivalente Haltung zur DDR kann als Grund dafür gewertet werden, warum seine Bilder, die sich am Bildfundus des Ostens bedienen, nahezu nie als ostalgisch verstanden werden.
Das Geschenk: die Norbert-Bisky-Kaffeetasse
Leben wir in einer Zeit der Krise und des Umbruchs? Auf diese zeitdiagnostische Frage von Silke Friedrich wollte Bisky nicht eindeutig antworten. Er sei sensibel, als Charakter instabil, daher würde die Instabilität ihm als Thema naheliegen und ihn permanent beschäftigen. Dennoch sei er sich nicht sicher, ob die in den Zeitungen diagnostizierten Krisen, die er fühle und oftmals wahrnehme, nicht vielleicht blanker Alarmismus seien. Silke Friedrich stimmte ihm bei und betonte, dass der Mangel an Gewissheiten wohlmöglich das präsenteste Gefühl sei, das die Gegenwart umschreibt. Bisky wollte nicht verneinen.
Mit dieser Quintessenz und Einigkeit entließ die Moderatorin die Anwesenden im Saal. Doch vor dem Ende des Abends machte sie Bisky noch ein Geschenk, das er als Horrorvision für den Ausverkauf seiner Kunst noch vor einigen Tagen beschrieben hatte: seine Werke als Motiv auf einer Kaffeetasse zu sehen. Das Geschenk erfüllte die Schreckenserwartung. Bisky bewies Humor und nahm die Kaffeetasse dankend an.
Nobert Bisky gestaltet zur Berlin Art Week die Titelseiten der Berliner Zeitung von Mittwoch, den 13. September 2023, bis Samstag, den 16. September 2023. Sichern Sie sich Ihre Ausgabe am Kiosk. https://aboshop.berliner-zeitung.de/



















