Kino

Er ist Amerikas größter lebender Filmschauspieler: Robert De Niro zum Achtzigsten

Er spielte in „Taxi Driver“, „Der Pate“, „The Irishman“. Schauspielkunst wurde durch Robert De Niros körperliches Spiel neu definiert – als vollkommene Verwandlung auf Zeit.

Robert De Niro 1976 in „Taxi Driver“.
Robert De Niro 1976 in „Taxi Driver“.Cinema Publishers Collection / IMAGO

Wenn die künstlerische Explosion, die das New Hollywood Cinema Anfang der 1970er-Jahre bedeutete, ein Gesicht hat, gehört es Robert De Niro. Wie nur wenigen Schauspielern vor ihm, stellte man ihm schon damals in Talkshows Fragen, die man sonst nur an die Regie-Abteilung richtet: „Mr. De Niro, wie haben Sie das gemacht?“

Großzügig war er dann mit Tipps zur Stelle, wohl wissend, dass sie in fremden Händen ohnehin wertlos wären.

Die Kleidung einer Figur auch im Alltag zu tragen, würde helfen, meinte er etwa. Oder: Ein anderer Gang wirke oft Wunder. Und für die Rolle des „Taxi Driver“ habe er eben selbst eine Droschke gesteuert. „Bis ich dann einen Kollegen als Kunden hatte, der mich erkannt hat. Da war natürlich alles für die Katz, und ich musste nur noch über den Beruf reden. Sein Trinkgeld konnte sich der Mann jedenfalls an den Hut stecken.“ Heute wird Robert De Niro achtzig Jahre alt und wird die Ratschläge, die er gegeben hat, nicht mehr zählen können. Entscheidend aber wohl ohnehin jener, den er sich gern für das Ende seiner Lektionen aufhob: „Was immer Sie sich an typischen Handlungsweisen für eine Rolle angewöhnen, Sie müssen es sofort wieder vergessen. Sonst wird es zu offensichtlich. Lernen Sie, um zu vergessen.“

Tatsächlich waren es dann die Manierismen eines anderen Schauspielers, die sich De Niro für seine weltberühmte Rolle als „Pate“ so akribisch aneignete, dass er mit seinem Vorbild förmlich zu verschmelzen schien: 1975 gewann er im Fortsetzungsfilm wie Marlon Brando zwei Jahre zuvor in Teil 1 einen Oscar. Einen zweiten erzwang er förmlich 1981 für seine Hauptrolle in Martin Scorseses Boxerfilm „Wie ein wilder Stier“. Ein Jahr lang war er bei seinem Rollenvorbild Jake LaMotta in die Leere gegangen, absolvierte drei Boxkämpfe, von denen er zwei gewann. Als die Kampfszenen für das Schwarz-Weiß-Epos im Kasten waren, aß er sich 30 Kilo Übergewicht an, um auch als späterer LaMotta glaubwürdig zu sein. Schauspielkunst wurde durch De Niros körperliches Spiel damals neu definiert – als vollkommene Verwandlung auf Zeit. Aber es griffe zu kurz, seine Leistung auf die eines Kopisten des Lebens zu reduzieren.

Robert De Niro beeindruckte durch seine Erfindungsgabe und Improvisation

Schon als junger Mann, als er sich bei einem Vorsprechen seine erste Filmrolle in Brian De Palmas Film „The Wedding Party“ eroberte, beeindruckte er durch seine Erfindungsgabe und Improvisation. „Man muss ihn nur machen lassen, er wird einen immer überraschen“, bestätigte auch Martin Scorsese, der seinem Freund De Palma die Entdeckung förmlich aus den Händen riss. Nach Scorseses frühem Mafiafilm „Hexenkessel“ folgte 1974 eine  ikonische Zusammenarbeit: „Taxi Driver“ gilt als eines der Meisterwerke des modernen amerikanischen Kinos. Auch die legendäre Dialogszene mit sich selbst vor dem Spiegel („You talkin’ to me?“) hat De Niro improvisiert. 1976, mit 33 Jahren, war er endgültig aus dem Schatten Marlon Brandos herausgetreten.

Es ist sicher kein Zufall, dass der Abkömmling einer italienisch-irischen Künstlerfamilie (Sein Vater, Robert De Niro Sr., war ein gefeierter Maler des abstrakten Expressionismus, seine Mutter, Virginia Admiral, Dichterin und ebenfalls Malerin) bei italienischen oder italienischstämmigen Regisseuren seine größten Rollen spielte. Dazu zählt auch Bernardo Bertolucci, der ihn als Großgrundbesitzer in seinem Epos „1900“ (1976) besetzte.

Seinerzeit ein Misserfolg, verdient das betörende Zeitbild eine Wiederentdeckung auf großer Leinwand. Wie viele der italienischen Filmstars, Marcello Mastroianni, Vittorio Gassman oder der Komiker Totó, besaß De Niro auf der Leinwand eine explosive Wucht, die mal bedrohlich, mal komisch, aber immer faszinierend war. Martin Scorseses frühe Einschätzung, man müsse ihn schon auf Verdacht filmen, schließlich wisse man nie, was als Nächstes geschehe, spürt man auch beim Zuschauen. Tatsächlich konnte auch der mangelnde Publikumszuspruch bei der Erstaufführung des Scorsese-Films „New York, New York“ den heutigen Klassikerstatus des gemeinsamen Musikerdramas nicht aufhalten. Und wer noch nach einem Beweis sucht, dass Misserfolge keinerlei Aufschluss über mangelnde Qualität garantieren, fand den Beweis 1983 im gemeinsamen Film „King of Comedy“.

Nichts Menschliches ist Robert De Niros unerschöpflichem Bezugsrahmen fremd

De Niros Darstellung eines Amateur-Komikers, der aus Geltungssucht und persönlicher Enttäuschung sein von Jerry Lewis gespieltes Comedy-Idol entführt, bedient sich auch der eigenen Leistung in „Taxi Driver“: Nichts Menschliches ist De Niros unerschöpflichem Bezugsrahmen fremd – und wenn es zur Parodie der eigenen Meisterschaft führt. Gemeinsam mit De Niro gelangen Scorsese seine größten Meisterwerke, und es schmerzt ein wenig, dass beide kein Spätwerk hervorbringen konnten, das sich damit messen kann. Am ehesten wohl noch die finstere Chronik eines mörderischen Betrugs in einem Indianer-Reservat, „Killers of the Flower Moon“, das am 19. Oktober in die Kinos kommt.

De Niros Hang zur Selbstparodie machte ihn in den 1990er-Jahren zu einem  erfolgreichen Komödiendarsteller: Die Mafia-Komödie „Reine Nervensache“ mit Billy Crystal spielte nach ihrem Kinostart 1999 beeindruckende 141 Millionen ein, „Meine Braut, ihr Vater und ich“ (2000) satte 330 Millionen. In seinem siebten Lebensjahrzehnt konnte er Spitzengagen von bis zu 20 Millionen Dollar verbuchen – und hob allein durch seine Präsenz manches Werk aus der Obskurität. Ab und zu allerdings gelang es Filmemachern, De Niro für mehr zu buchen als sein Charisma oder das leicht psychotische Funkeln in den Augen eines Gangsterfürsten in einer Mafiafilm-Parodie.

Der Batman-Film „Joker“ von Todd Phillips verbeugte sich vor „King of Comedy“, indem er De Niro als arroganten Fernsehstar in der Jerry-Lewis-Rolle besetzte. Martin Scorsese bot ihm einen Ehrenplatz in der Rolle des Frank Sheerman in dem Mafiafilm „The Irishman“. In anderen Filmen wie der Komödie „Dirty Grandpa“ verkaufte sich der legitime Nachfolger Marlon Brandos als größter amerikanischer Filmschauspieler der zweiten Jahrhunderthälfte indes zu billig. Wie hatte er einst dem Nachwuchs geraten: „Was immer Sie sich an typischen Handlungsweisen für eine Rolle angewöhnen, Sie müssen es sofort wieder vergessen.“ Nun waren es die eigenen Manierismen, die er nicht mehr abstreifen mochte.

Das Werk freilich, auf das er heute zurückblicken kann, und das auch die bemerkenswerten Regiearbeiten „In den Straßen der Bronx“ (1993) und „Der gute Hirte“ (2006) umfasst, kann auch ein paar Fehlgriffe verkraften. Wer immer ihm zu seinem 80. Geburtstag die Hand schütteln wird – ein bedeutenderer Schauspieler als er selbst wird nicht darunter sein.