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Der Doktor als Dealer: So ist die neue Pharma-Serie „Painkiller“ auf Netflix

Die „Wunderdroge“ OxyContin ist in den USA eine Cashcow, die über Leichen geht. Doch taugt die Investigativrecherche des „New Yorker“-Magazins dazu als Serienstoff?

Matthew Broderick als Richard Sackler in der Netflix-Serie „Painkiller“
Matthew Broderick als Richard Sackler in der Netflix-Serie „Painkiller“Keri Anderson/Netflix

Würde man in den USA eine Umfrage machen, welcher lebende Mensch den größten Schaden angerichtet hat, man würde den Namen Richard Sackler wohl ziemlich häufig hören. Niemand wird für die vielen Drogentoten der Opioid-Epidemie, diese große amerikanische Tragödie der Gegenwart, so sehr verantwortlich gemacht wie er. Sackler, Geschäftsmann und Arzt (in dieser Reihenfolge), hat das extrem wirkungsvolle und hochgradig süchtig machende Schmerzmittel OxyContin entwickelt – und so brillant wie skrupellos vermarktet. Harmlos sei es, ein Heilsbringer für alle, die Schmerzen haben. Diese Lüge als Geschäftsmodell, schreibt der Journalist Patrick Radden Keefe, machte Sackler zum Milliardär, und Millionen zu Süchtigen.

„Painkiller“, die sechsteilige Mini-Serie, jetzt auf Netflix zu sehen, ist eine lose Adaption von Keefes langer „New Yorker“-Reportage über die Droge und ihre Entwickler. Im Mittelpunkt der Serie steht die toughe – und fiktive – Anwältin Edie Flowers (Uzo Aduba). Ende der Neunzigerjahre, als sie für die Staatsanwaltschaft gegen betrügerische Ärzte ermittelt, erfährt sie zum ersten Mal von der Existenz dieser neuen Wunderdroge. Sie staunt, dass Ärzte mit diesen harten Pillen um sich schmeißen wie mit Smarties, also forscht sie nach – und stößt auf das perfide System des Unternehmens Purdue Pharma, das sein gemeingefährliches Produkt mit krimineller Energie und attraktiven Verkäuferinnen an willige Ärzte vermarktet. Ein Win-Win-Lose-System: die Ärzte verdienen, das Unternehmen verdient, die Kranken werden zu Junkies.

Tyler Ritter als John Brownlee und Uzo Aduba als Edie Flowers in "Painkiller"
Tyler Ritter als John Brownlee und Uzo Aduba als Edie Flowers in "Painkiller"Keri Anderson/Netflix

Einer dieser Kranken ist Glen Kryger (Taylor Kitsch), der Inhaber einer Autowerkstatt, der nach einem Arbeitsunfall auf OxyContin gesetzt wird. Alle zwölf Stunden darf er eine Tablette nehmen, sagt sein Arzt, und nach ein paar Tagen sehen wir Glen grimmig auf die Uhr starren und die Sekunden zählen. Beim nächsten Arztbesuch schlägt der Doktor eine Lösung vor: Warum nicht die Dosis erhöhen? So hält Glen auch wieder zwölf Stunden aus. Das ist Pragmatismus. Wenige Tage später hat er wieder Entzugserscheinungen, kriecht auf dem Küchenboden, sucht unterm Herd nach seiner Medizin.

Die dritte Hauptfigur der Serie, die einzige nicht-fiktive, ist Richard Sackler selbst, gespielt von Matthew Broderick und drei Kilogramm Schminke. Sackler bleibt eine Schablone von einem Menschen, ein ausdrucksloser Vollstrecker der Profitmaximierung. Er ist das Symptom für alles, was schiefläuft im Kapitalismus, ohne Tiefe, ohne Komplexität. Das geht schon in Ordnung; die Wahrheit ist nicht immer komplex. Sackler ist ein leichtes Ziel, aber kein ungerechtes. Man kann der Serie Populismus vorwerfen, aber wer würde das wollen, wenn der Adressat der Verachtung so viele Menschen ins Unglück gestürzt hat wie er?

Aus Journalismus einen Spielfilm oder eine Serie zu machen, ist meistens eine schlechte Idee, und die Frage ist weniger, ob eine Adaption scheitert, sondern wie sehr. Ein Sachbuch folgt nicht der Dramaturgie eines Films, was bedeutet, dass eine Adaption dem Material eine Dramaturgie aufdrücken muss. Das geschieht hier über die Figur der Anwältin Flowers. „Painkiller“ ist ihre Heldinnenreise; sie zieht aus, den mächtigen Pharma-Milliardär zu besiegen. Eine Rahmenhandlung, die fünfzehn Jahre später spielt, soll den verschiedenen Strängen Kohärenz geben. Darin berichtet Flowers in einem Konferenzraum einer Gruppe aus Anklägern alles, was sie weiß, und ihre mit Informationen gefüllten Monologe klingen bisweilen, als lese sie Keefes „New Yorker“-Artikel vor.

Regisseur Peter Berg entscheidet sich in den dramatischen Szenen für einen quasi-dokumentarischen Stil – die Kamera wackelt nah an den Figuren –, die Erklär-Passagen erzählt er jedoch mit ironischen Pop-Collagen, und Sackler stilisiert er zigarrenpaffend und mit Gangsta-Rap-Soundtrack zu einem unberührbaren Mogul. Man muss schon Martin Scorsese sein, um solche abenteuerlichen Montagen hinzukriegen, und, naja, Scorsese ist Berg nicht.

Bergs extremste Entscheidung ist es, den Folgen kurze Interview-Sequenzen echter Betroffener voranzustellen. In diesen Aufnahmen erzählen Eltern von ihren Kindern, die sie an Sacklers Droge verloren haben. Natürlich sind solche Berichte erschütternd und berührend, und gerade deshalb mutet es billig an, wie sie, um die Serie mit echtem Drama zu würzen, hier ausgestellt werden. Die Filmemacher – unter den Produzenten sind der renommierte Doku-Filmer Alex Gibney und der Journalist Keefe selbst – mögen noble Motive haben, aber so zusammengeschnitten stößt der Appell an Emotion sauer auf.

Am überzeugendsten ist die Serie, wenn sie, ohne stilistische Schnörkel, die Geschichte des Automechanikers Glen erzählt, der immer tiefer in die Sucht hinabgleitet. Da findet Berg die kraftvollsten Momente, die einprägsamsten Bilder: Glen, der beim Abendessen mit der Familie so berauscht ist, dass er gar nicht bemerkt, wie übel er sich das Messer in die Hand gerammt hat. Er blutet in Strömen und schaut sediert und verwundert zu seiner Frau und seinen Kindern. Schmerzen hat er keine.

Painkiller. Serie, 6 Folgen, Netflix