Zeit ist Geld. Diese Redensart, die Benjamin Franklin zugeordnet wird, diente in ihrer wörtlichen Interpretation schon als Ausgangspunkt für den Science-Fiction-Thriller „In Time – Deine Zeit läuft ab“ aus dem Jahr 2011. In der darin gezeigten Welt wurden Währungen durch Lebenszeit ersetzt, was dazu führte, dass die Reichen ewig leben und die Armen früh sterben. Während die Hollywood-Produktion mit Justin Timberlake eine ferne Dystopie entwarf, ist der deutsche Netflix-Film „Paradise“ nun deutlich näher an unserer Gegenwart – und hat dadurch eine intensivere Wirkung.
Ähnlich wie in der britischen Anthologie-Serie „Black Mirror“ fügt der Regisseur Boris Kunz zusammen mit seinen beiden Co-Autoren Peter Kocyla und Simon Amberger der uns bekannten Welt nur ein paar Neuerungen hinzu und beleuchtet deren Folgen für die Gesellschaft. Wenn der Protagonist Max zu Beginn von „Paradise“ durch Berlin läuft, in Tempelhof in die S-Bahn steigt und schließlich am Spreebogen ankommt, um dort seinen Arbeitsplatz aufzusuchen, werden uns einige gravierende Veränderungen in der Architektur, Technik und Mode vermittelt – und doch ist die heutige Stadt noch erkennbar.
Max ist als sogenannter Donation-Manager für den Biotech-Konzern Aeon tätig. Unter der Leitung der charismatischen Sophie Theissen (verkörpert von Iris Berben) hat das Unternehmen einen Lebenszeittransfer entwickelt: Menschen können durch einen operativen Eingriff Lebensjahre spenden und werden dafür finanziell vergütet.
„Paradise“ wandelt sich zunächst in ein nachdenkliches Liebesdrama
Der Job von Max besteht darin, die Leute, die meist in einer finanziellen Notlage sind, von einer Spende zu überzeugen. Gerade erst wurde er zum Mitarbeiter des Jahres gekürt. Mit seiner Frau, der Ärztin Elena, führt er ein Dasein im Luxus – aber dann brennt das Apartment des Paares ab, und die beiden geraten in Schwierigkeiten, da Elena als Sicherheit für das Wohnungsdarlehen 38 Lebensjahre hinterlegt hat, die jetzt sofort eingefordert werden.
Während viele dystopische Filme ihre thematische Grundlage vor allem dazu nutzen, um möglichst schnell zu Action- oder Horroreinlagen zu gelangen, wandelt sich „Paradise“ zunächst einmal in ein nachdenkliches Liebesdrama. Das dynamische Powercouple Max und Elena, das eben noch über den gemeinsamen Kinderwunsch gesprochen hat, muss sich nun damit auseinandersetzen, dass Elena plötzlich vier Dekaden älter ist.
Eine moderne Version von Bonnie und Clyde
Der Wechsel der Schauspielerinnen – von der jungen Marlene Tanczik zur älteren Corinna Kirchhoff – gelingt dabei äußerst stimmig. Und auch Hauptdarsteller Kostja Ullmann überzeugt mit seinem Spiel, wenn er die Zweifel zum Ausdruck bringt, die Max allmählich an den Methoden von Aeon kommen, von denen er bisher nur profitiert hat. Max und Elena werden zu einer modernen Version von Bonnie und Clyde und schrecken selbst vor einer Geiselnahme nicht zurück.


