Literatur

Bitte nicht nur als Krimi lesen:„Last Call Manila“, ein Roman aus den Philippinen

José Dalisays Roman „Last Call Manila“ setzt den philippinischen Gastarbeitern ein Denkmal, auch wenn er vor allem von ihrer Abwesenheit handelt.

José Dalisay
José DalisayDalisay–Anvil-Publishing

Man kann dieses Buch auch wie einen Krimi lesen. Ein Sarg kommt am Flughafen in Manila an, bei der Toten handelt es sich laut Transportschein um Aurora V. Cabahug, die als Haushaltshilfe in Saudi-Arabien gearbeitet hat. Aber diese Aurora hat der Polizist aus ihrer Heimatstadt doch erst gestern Abend in einer Bar singen sehen. Wer also ist diese Person, warum hat sie einen falschen Namen angenommen und warum ist sie tot? Nicht auf alle Fragen erhält man Antwort, und zudem wirft das Buch laufend neue Fragen auf. Immerhin ist der Ermittler eine Nummer. Der Autor José Dalisay hat aus dem Provinzpolizisten Walter Zamora einen Philosophen gemacht. Er lässt ihn Gedanken fassen wie diesen, mit dem er das Wesen der Wahrheit als ein schmutziges Puzzle beschreibt, das nur „mit göttlicher Geduld und teuflischem Wissen über die Abgründe der menschlichen Natur zusammengefügt werden konnte“.

Man kann dieses Buch wie einen Krimi lesen, aber viel besser ist es, es als ein Lebenszeichen aus einem Winkel der Welt zu begreifen, aus dem in Deutschland nur alle paar Jahre ein Stück Literatur erscheint: aus den Philippinen. Man muss dem in Kreuzberg ansässigen Transit Verlag dankbar sein, dass er dieses Buch aus einem Land veröffentlicht hat, das im Westen kaum von Interesse ist. Nicht mal als Reiseziel für Südostasien-Touristen. Es ist einfach zu weit.

José Dalisay, Jahrgang 1954, ist Professor für Englische Literatur an der Universität der Philippinen und einer der bekanntesten Autoren des Landes. In diesem Buch setzt er den Oversea Workers ein Denkmal, den vornehmlich weiblichen Arbeitskräften, die in aller Welt als Putzfrauen, Kindermädchen, Altenpfleger und Krankenschwestern wirken, auch in Deutschland, das 2013 ein Abkommen zur Abwerbung von Pflegekräften mit den Philippinen geschlossen hat.

Philippinische Gastarbeiter: Gesalbte Helden der neuen Zeit

Dalisay widmet sich ihrer Abwesenheit. Denn sie hinterlassen Ehemänner und Kinder, die ohne ihre Mutter aufwachsen, so wie der kleine Nathan, der seine Tante Rory, neben Walter Zamora die Protagonistin dieses Buchs, Mama nennt, weil er seine richtige Mutter nicht kennt. In manchen Ländern werden diese Arbeitskräfte wie Sklaven behandelt, sie werden geschlagen, sexuell missbraucht, manchmal getötet, wie möglicherweise der Mensch, der in dem Sarg am Flughafen in Manila liegt. „Gesalbte Helden der neuen Zeit“ nennt Dalisay diese menschlichen Exportartikel.

In den Philippinen hoffen alle auf ein besseres Leben, das überall dort stattfindet, wo man selbst nicht ist. Deshalb zieht es sie aus dem Dorf in die nächstgrößere Stadt, aus der Provinz nach Manila, aus Manila in die ganze Welt. José Dalisay schreibt über diese Menschen, die „eigentlich nie ernsthaft eine Chance hatten, die nur widerwillig akzeptierten, dass jeder Tag, an dem man drei warme Mahlzeiten im Bauch hatte, ein guter Tag war, und dass alles, was darüber hinausging, ein Segen war, der bewahrt und verteidigt werden musste vor der ständigen Gefahr, vom Glück verlassen zu werden“. Diesen Satz sollte man im reichen Westen dreimal lesen und sich klarmachen, dass er das Leben der allermeisten Menschen auf dieser Erde beschreibt.

Zuletzt eine Anmerkung zur Übersetzung. Das Glossar, mit dem Niko Fröba die fremdländischen Ausdrücke erklärt, die er hat stehen lassen, mag ja noch angehen, auch wenn er den Lesern ruhig ein bisschen Neugier und Lust auf eigene Recherche hätte zutrauen können. Aber vor allem hätte man sich gewünscht, dass seine Übersetzung noch viel mehr dieser Ausdrücke enthält, so wie ja auch die philippinischen Hauptsprachen aus unzähligen Lehnworten bestehen, zu denen ständig neue hinzukommen. So wirkt die Übersetzung ein bisschen zu clean. Trotzdem erlaubt „Last Call Manila“ lesenden Weltreisenden einen so berührenden wie spannenden Einblick in eine andere Existenz.

José Dalisay: Last Call Manila. Aus dem Englischen von Niko Fröba. Transit, Berlin 2023, 200 Seiten, 22 Euro