Architektur

In Usbekistans Hauptstadt Taschkent stehen die schönsten Plattenbauten der Welt

Der Errichtung der Stadt ging ein großes Erdbeben voraus. Nun wird sich das Land dieses architektonischen Schatzes eines gebrochenen sowjetischen Modernismus bewusst. 

Das Kino Panorama in Taschkent, erbaut in den 1960er-Jahren
Das Kino Panorama in Taschkent, erbaut in den 1960er-JahrenArmin Linke

Entlang der Magistralen der usbekischen Hauptstadt Taschkent mit ihren zwei Millionen Einwohnern stehen Plattenbauten. Es sind die schönsten der Welt. Ihre Existenz geht auf ein Unglück zurück. 1966 erschütterte ein schweres Erdbeben die Stadt. Es starben nur wenige Menschen, aber die Altstadt wurde fast komplett zerstört. 35.000 traditionelle Gebäude fielen dem Beben, dem mehr als 30 Nachbeben folgten, zum Opfer.

Leonid Breschnew, damals Generalsekretär der KPdSU, flog sofort nach Usbekistan, die sowjetischen Teilrepubliken entsandten Bauarbeiter, Architekten und Ingenieure, die helfen sollten, neue Wohnhäuser zu errichten. Der Wiederaufbau von Taschkent war ein großes Projekt der Solidarität, der Völkerfreundschaft, auch wenn sie befohlen gewesen sein mag. Moskaus Modernisierungsstreben, das durchaus kolonialen Charakter hatte, auch wenn es auf die kommunistische Utopie bezogen war, erstreckte sich auf sämtliche zentralasiatischen Republiken der Sowjetunion. Nur war die durch das Erdbeben entstandene Tabula rasa in Taschkent eine einmalige Gelegenheit, die einen radikalen Zugriff ermöglichte.

Das Arena-Theater nahe dem Turkestan-Palast, erbaut in den 1990er-Jahren
Das Arena-Theater nahe dem Turkestan-Palast, erbaut in den 1990er-JahrenArmin Linke
Der in den 1980er-Jahren erbaute Heliokomplex vor den Toren Taschkents beeindruckt mit seinem Weltraum-Look.
Der in den 1980er-Jahren erbaute Heliokomplex vor den Toren Taschkents beeindruckt mit seinem Weltraum-Look.Grace
Im Arena-Theater
Im Arena-TheaterArmin Linke
Am Abgeordnetenhaus der Kommunistischen Partei der sowjetischen Republik Usbekistan
Am Abgeordnetenhaus der Kommunistischen Partei der sowjetischen Republik UsbekistanArmin Linke
Mosaik an der Fassade des Fernsehturms in Taschkent
Mosaik an der Fassade des Fernsehturms in TaschkentArmin Linke

Die Taschkenter Gebäude aus vorfabrizierten Teilen sind deshalb einzigartig, weil die Erbauer lokale Besonderheiten einbezogen, die das standardisierte Design ergänzen, es zu etwas eigenem machen. Das sind Fassadenkonstruktionen, die wie ein dekoratives Muster wirken und zugleich als Sonnenschutz in dieser damals südlichsten Metropole der Sowjetunion funktionieren. Das Staatliche Museum für die Geschichte Usbekistans, einst Lenin-Museum, ist hierfür ein Paradebeispiel.

Die Mosaike der Scharski-Brüder in Taschkent

Da leuchten Mosaike an Hauswänden und in Eingängen, die usbekische Motive aufgreifen, wie sie auch auf den traditionellen Kleidungsstücken zu finden sind. Sie werden den kaum bekannten Scharski-Brüdern zugeschrieben. Pjotr, Aleksandr und Nikolai Scharski, geboren in einer russischen Emigrantenfamilie in Frankreich, kamen nach dem Erdbeben in die Stadt und schufen in 30 Jahren etwa 200 Mosaike, darunter auch sozialistische Wandbilder oder Bilder, die von der sowjetischen Weltraumbegeisterung inspiriert waren. Ein Beispiel hierfür ist eine Serie von Wandgemälden, in der die Brüder Figuren in Weltraumanzügen zeigen, vermischt mit orientalischen Ornamenten

Die koloniale Machtgeste ist gebrochen, die Plattenbauten in Taschkent sind Zeugnisse einer transkulturellen Architektur, Hybride sowjetischen Modernisierungsstrebens und nationaler Identität. Der Architekt Philipp Meuser hat dafür den Begriff seismische Architektur geprägt. „Seismic Architecture“ ist der Titel seines 2016 erschienenen Buches über Wohnungsbau und Architektur in der usbekischen Hauptstadt.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde dieses architektonische Erbe vernachlässigt, manches wurde sogar abgerissen. Aber jetzt wird sich das Land dieses Schatzes bewusst. Das ist der 2017 gegründeten Arts & Culture Development Foundation von Usbekistan zu verdanken. Unter anderem haben ihre Mitarbeiter Interviews mit allen noch lebenden Bauleuten geführt, die am Wiederaufbau beteiligt waren. Für den Oktober ist eine Konferenz geplant.