Usbekistan

Letzte Nacht in Taschkent: Muss man sich jetzt schämen, aus Russland zu sein?

Natascha und Mischa aus Moskau: Sie saßen in der usbekischen Hauptstadt neben uns an der Bar. Ihre Scham über ihre Herkunft erinnerte mich an meine eigene.

Taschkent bei Nacht
Taschkent bei NachtVladimir Smirnov/imago

Es war unser letzter Abend in Taschkent, die Bar nicht weit vom Hotel. Wir bestellten auf Empfehlung der jungen Frau hinterm Tresen Gin Sorrel, einen grün gefärbten Cocktail, das Paar neben uns hatte dasselbe vor sich. Vielleicht kamen wir deshalb ins Gespräch. Wir unterhielten uns auf Englisch, die junge Frau schlug die Augen nieder, als sie Auskunft auf die Frage gab, woher sie und ihr Mann denn kommen würden. „I am sorry, but we are from Russia. – Es tut uns leid, wir sind aus Russland.“ Man spürte, wie unangenehm ihr das war.

Das erinnerte mich daran, wie ich mich mit 20 auf Reisen durch West-Europa ungern als Deutsche outete. In Frankreich etwa oder in England. Ich kam nicht gern aus diesem Land mit Nazi-Vergangenheit, das gegen diese Länder einst Krieg geführt hatte. Das für den Holocaust verantwortlich war. Ich empfand Scham. Geht es jetzt manchen Russen so ähnlich?

Als Natascha und Mischa stellten die beiden sich vor, sie 28, er 35. Eine Architektin und ein IT-Spezialist aus Perm, die letzten fünf Jahre haben sie in Moskau gelebt. Jetzt arbeitet Natascha remote für ihre Firma in Russland, Mischa hat eine Stelle bei einer usbekischen Firma gefunden. So erzählten sie es. Das Land haben sie gleich nach Kriegsbeginn verlassen. Putin sei ihnen schon lange zuwider. Das Wort, dass Flucht eine Abstimmung mit den Füßen sei, stammt von Lenin. Er hat mit seinen Füßen einst gegen den Zaren gestimmt, war in die Schweiz gegangen.

Ein Exodus in umgekehrte Richtung: Ironie der Geschichte

In Taschkent lebten jetzt viele Russen, sagten Natascha und Mischa. Verrückt, haben Russen doch vor 30 Jahren die zentralasiatischen Länder allmählich verlassen, in denen sie sich schon seit der Zeit angesiedelt hatten, in der diese zum Russischen Reich gehörten. Das war nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als viele Republiken unabhängig wurden, so wie Usbekistan. Jetzt findet ein Exodus in umgekehrter Richtung statt. Was für eine Ironie! Vor dem Krieg zog es schlaue junge Leute aus Taschkent, Almaty oder Samarkand nach Moskau, von der Peripherie ins Zentrum. Auch Natascha und Mischa hätten sich nicht träumen lassen, von Moskau nach Usbekistan zu ziehen. Nicht mal als Urlaubsziel zogen sie das Land in Erwägung. Sie denken an Italien.

Doch wie es ist, bietet Zentralasien viele Vorteile. Auch wenn die Usbeken mit der Unabhängigkeit das lateinische Alphabet einführten, spricht man nach wie vor Russisch in diesem Land, es gibt russische Zeitungen, russische Schulen. Das gilt auch für Kasachstan.

Wie lange sie wohl in Taschkent bleiben werden? „Lang“, antwortet Natascha.