Filmfestival

Kulturpolitischer Paukenschlag: Kulturstaatsministerin feuert Berlinale-Intendanten

In der Pressemitteilung von Claudia Roth ist die Rede von Umstrukturierung der Leitung. Gemeint ist, dass es ohne Carlo Chatrian weitergehen soll.

Jetzt ist es aus mit der Doppelspitze der Berlinale: Mariette Rissenbeek hat im März verkündet, dass sie ausscheidet, und nun muss auch Carlo Chatrian den Posten verlassen. In Zukunft soll es wieder einen Alleinverantwortlichen geben.
Jetzt ist es aus mit der Doppelspitze der Berlinale: Mariette Rissenbeek hat im März verkündet, dass sie ausscheidet, und nun muss auch Carlo Chatrian den Posten verlassen. In Zukunft soll es wieder einen Alleinverantwortlichen geben.Benjamin Pritzkuleit

Es klingt wie eine kleine Kurskorrektur, aber es ist ein kulturpolitischer Paukenschlag. Der Aufsichtsrat der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin (KBB) GmbH hat unter Vorsitz von Kulturstaatsministerin Claudia Roth in seiner Sitzung vom Donnerstag beschlossen, die Leitungsstruktur der Berlinale zu reformieren. Eine Findungskommission soll nach einer neuen Intendanz Ausschau halten. Der bisherige Leiter Carlo Chatrian habe sich bereit erklärt, heißt es in einer Pressemitteilung der Kulturstaatsministerin, „mit der neuen Intendanz in konstruktive Gespräche über eine künftige Rolle im neuen Team der Berlinale einzutreten“.

Das sonst in solchen Zusammenhängen gebräuchliche Wort einvernehmlich fällt nicht, aber es bedarf keiner allzu großen Interpretationskunst, in diesem Fall von einem Rauswurf zu sprechen. Knapp vier Jahre nach der Berufung von Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek im Jahre 2019 ist die allseits als verheißungsvoll angesehene Nachfolge des langjährigen Festivalleiters Dieter Kosslick gescheitert.

Was heißt Neuaufstellung?

Mariette Rissenbeek hatte bereits im März mitgeteilt, ihren bis Ende März 2024 laufenden Vertrag auf eigenen Wunsch nicht zu verlängern. Sie wolle gemeinsam mit Chatrian, der neben Rissenbeek in Gestalt einer Doppelspitze die künstlerische Leitung des Festivals innehatte, nur noch die 74. Berlinale vorbereiten und umsetzen. Ob es nun dazu kommt, bleibt in der Mitteilung des BKM offen. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass die Findungskommission für eine „Neuaufstellung“ eines der wichtigsten europäischen Filmfestivals, wie es in der Mitteilung heißt, vor allem etwas Zeit und starke Nerven beansprucht. Um den Ruf der Berlinale war es zuletzt nicht gut bestellt. Das lag nicht zuletzt auch an bereits beschlossenen Einsparungen und den gravierenden Verlusten von Partnern im Bereich des Sponsorings.

Der Sommer war noch jung, als die Berlinale ihre finanziellen Schwierigkeiten nach der Corona-Pandemie und mit kühnem Schwung ihre Sparmaßnahmen verkündete. Nach dem von Chatrian mitgetragenen Konzept sollen innerhalb der Sektionen „geringfügig weniger Filme“ laufen, insgesamt dann ungefähr 200. Bei der letzten Ausgabe seien es 287 gewesen. Der Wettbewerb wurde von dieser Reduktion ausgenommen. Aber das ist erst einmal nur eine quantitative Aussage. Das Zauberwort hieß Konzentration, und das stieß durchaus auf offene Ohren in der Szene, die den Auswuchs des Filmfestivals mit seinen vielen Sparten, Rubriken und Nebenreihen unter Dieter Kosslick kritisch sah. Es sei gut und schön, wenn jeder Zuschauer für irgendeine Unterrubrik eine Kinokarte bekommt, so die Kritik, aber letztlich verpufften viele einzelne Titel im Dickicht des Überangebots.

Was heißt Konzentration?

Das eklatanteste Opfer der „Konzentration“ war die seit 2002 bestehende Filmreihe Perspektive Deutsches Kino. Eingerichtet für die deutsche Filmnachwuchsszene, die vom Glamour und der internationalen Aufmerksamkeit der Festspiele etwas abhaben sollte. Die Kehrseite dieser Rubrizierung war, dass sich wichtige Debüts, die mit etwas mehr Mut vielleicht einen Auftritt im Wettbewerb verdient hätten, sich zwischen weniger wichtigen Filmexperimenten versendeten. Für den Cineasten Chatrian, dem man ohnehin ein gezügeltes Interesse am Verkaufsschlager und am Staraufgebot nachsagt, wird das verschmerzbar gewesen sein. Wer weiß, ob er fortan für den Wettbewerb eher zu den künstlerisch vielleicht wertvolleren, dafür aber weniger prominenten Positionen gegriffen und die dicken Fische der Konkurrenz in Cannes und Venedig überlassen hätte. So war das mit Konzentration vonseiten der BKM aber offenbar doch nicht gemeint.

Die drastische Personalentscheidung erfolgt gewiss nicht ausschließlich aus selbstherrlicher Willkür der Verantwortung tragenden Kulturstaatsministerin, die trotz des Eindrucks eines entschlossenen Durchgreifens nicht gerade gut aussieht mit dieser Überraschungsmeldung. Persönliche Empathie wird Claudia Roth für das Führungsduo allerdings nicht empfunden haben, war es doch noch von ihrer Amtsvorgängerin Monika Grütters berufen worden.

Vorschusslorbeeren und Trümmerhaufen

Hinter den Kulissen war es schon lange kein Geheimnis mehr, dass Rissenbeek und Chartian, die mit großen Vorschusslorbeeren in Berlin an den Start gegangen waren, nicht miteinander harmonierten. Hinzu kamen die prekären Umstände der Pandemie. Zwar war es 2020 noch gelungen, die Filmfestspiele ohne Einschränkungen stattfinden zu lassen. Im darauffolgenden Jahr musste die Berlinale dann als Sommerfestival mit eingeschränktem Programm in Vorführungen unter freiem Himmel stattfinden. Es war bestenfalls eine vom Durchhaltewillen geprägte symbolische Aktion.

Was zuletzt wohl zum wachsenden Unmut beigetragen hat, war neben der wirtschaftlichen Misere der Berlinale nicht zuletzt das klar erkennbare Interesse von Chatrian an einem vor allem ästhetischen Prinzipien verpflichteten Arthouse-Kino. Der für seine Festivalleitung im schweizerischen Locarno überaus geschätzte Chatrian hat es jedoch nie recht verstanden, den zum Teil widersprüchlichen Berliner Anforderungen zwischen Publikumsfestival, Filmkunst und Filmmarkt gerecht zu werden.

Das nun euphemistisch in den Mund genommene Wort Neustart suggeriert Zuversicht. Tatsächlich steht die Berlinale vor einem Trümmerhaufen und man darf annehmen, dass Carlo Chatrian seinem Berliner Intermezzo schon bald den Rücken kehren wird.