Politik-Check zur Abgeordnetenhaus-Wahl

Kristin Brinker von der AfD: Sie will aus Berlin eine Art Stuttgart machen

Kristin Brinker hat sich als Berliner Spitzenkandidatin gegen Beatrix von Storch bei der AfD durchgesetzt. Sie macht einen ruhigen Wahlkampf. Hat das Erfolg?

Kristin Brinker, AfD-Landesvorsitzende und Spitzenkandidatin zur Abgeordnetenhauswahl 2021, startet den Wahlkampf mit Wahlplakat in Berlin.
Kristin Brinker, AfD-Landesvorsitzende und Spitzenkandidatin zur Abgeordnetenhauswahl 2021, startet den Wahlkampf mit Wahlplakat in Berlin.DAVIDS/Sven Darmer

Berlin-Wer das Podium bei der Vorstellung des Wahlprogramms der Berliner AfD durch eine Schwarz-Weiß-Brille betrachtet hätte, hätte nicht sagen können, ob wir das Jahr 2021 oder 1921 schreiben. Gezeichnet, fast geschunden und ernst wie Weltkriegsveteranen wirkten die vier Männer dort. Hervor stach eine Frau, die wichtigste Person: Spitzenkandidatin Kristin Brinker. Die 49 Jahre alte gebürtige Bernburgerin (das liegt in Sachsen-Anhalt) ist dennoch nicht harmlos. Drei Stimmen weniger auf dem Parteitag, und an ihrer Stelle hätte Beatrix von Storch die Berliner AfD im Wahlkampf angeführt. Doch die Partei entschied sich im vierten Wahlgang mit 122 zu 120 Stimmen gegen die bundesweit bekannte, aber durch allerhand Ausfälle belastete von Storch.

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Brinker tut dennoch bisher nicht besonders viel, um auch auf sich und ihre Partei aufmerksam zu machen. Während die Kandidaten der Konkurrenz in den vergangenen Wochen ständig auf Kiezspaziergängen und Verköstigungsbegegnungen in Kleinbetrieben, mit 3-D-Brillen in Co-Working-Spaces oder auf Trabrennbahnen zu erleben waren, ist die promovierte Architektin von der AfD nur telefonisch zu erreichen. Ob das an der Tatsache liegt, dass der öffentliche Auftritt den AfD-Politkern mittlerweile zu gefährlich ist?

Davon will man in der Landesgeschäftsstelle, an der der Name der Partei aus Sicherheitsgründen nicht steht, nichts wissen. Zwar werden regelmäßig Abgeordnetenbüros angegriffen, Privatwohnungen attackiert und Fahrzeuge in Brand gesetzt – zuletzt vor zwei Wochen der Wagen des AfD-Fraktionsvizes Ronald Gläser –, doch die spärlichen Auftritte sollen an Corona liegen. Sie habe keine Angst, sagt Brinker. Doch mit gesenktem Kopf die Straße entlanglaufen, ins Handy vertieft, das gehe auch nicht mehr.

Kaum Skandale

Stattdessen ist Brinker auch während der heißesten Wahlkampfphase immer noch viel in Ausschüssen. Vielleicht auch, weil die AfD dort, bei den parlamentarischen Abläufen, ihre Erfolge der vergangenen Legislatur erzielen konnte. Was viele nicht wissen: Die erneute Prüfung von Franziska Giffeys Doktorarbeit, an deren Ende sie auf den Doktortitel bekannterweise verzichtete, geht auf die unablässigen Anfragen und Beauftragungen des wissenschaftlichen Dienstes des Stadtparlaments durch die AfD zurück. Brinker selbst konnte auf gleiche Weise Bausenatorin Katrin Lompscher zu Fall bringen; die hatte Bezüge nicht versteuert.

Vielleicht bringt Wahlkampf für die AfD aber auch einfach nicht so viel. Genauso wie die, gelinde gesagt, peinliche Performance des Spitzenpersonals auf Bundesebene es nicht vermag, die Partei unter 10 Prozent zu drücken, würden Werbemarathons die Werte womöglich auch nicht wesentlich steigern können. Da will man sich nicht auf Ständen anpöbeln oder bewerfen lassen. AfD-typische Skandale sind von ihr direkt auch nicht bekannt. Ihr Ehemann, der ehemalige AfD-Landeschef Günter Brinker, soll im Mai eine Nachricht weitergeleitet haben, in der sich der Urheber wundert, weshalb Bundeskanzlerin Merkel noch keinem Attentat zum Opfer gefallen ist. Ein Versehen, sagte Kristin Brinker. Sie entschuldigte und distanzierte sich.

Der Slogan könnte lauten: Berlin, aber wie Stuttgart

In jedem Falle gehört Brinker nach allgemeinem Bekunden zum „liberalen Spektrum“ der Partei. Sie soll wegen der eurokritischen Haltung eingetreten sein, nicht wegen der xenophoben, teils reaktionären Positionen, die sich über die Jahre durchgesetzt haben – und deretwegen die Pöbeleien das heutige Ausmaß angenommen haben. So lässt sich auch der Slogan der Berliner AfD interpretieren: „Berlin. Aber normal.“ Also alles wie früher. Als alles noch besser war.

Doch auf die Frage, ob Berlin denn jemals normal gewesen sei, und wenn ja, wann, weicht Brinker aus. Es gehe dabei nicht um einen Zeitpunkt in der Vergangenheit, sondern darum, dass Behördentermine unkompliziert zu bekommen sein müssten, die Verwaltung problemlos laufe. Überhaupt wäre etwas mehr Ordnung besser. Der Slogan könnte also auch lauten: Berlin. Aber Stuttgart. Dafür bräuchte es aber dann doch noch etwas mehr Wahlkampf.

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