Politischer Fragebogen

19 Fragen an die Grünen: Was ist typisch Berlin, Frau Jarasch?

Wir haben 19 identische Fragen an die Spitzenkandidatinnen der Parteien zur Wahl zum 19. Berliner Abgeordnetenhaus geschickt. Hier die Antworten der Grünen.

Die Berliner Spitzenkandidatin der Grünen, Bettina Jarasch
Die Berliner Spitzenkandidatin der Grünen, Bettina JaraschAlin Bosnoyan/imago

Berlin-Wir haben 19 identische Fragen an die Spitzenkandidaten der Parteien zur Wahl zum 19. Berliner Abgeordnetenhaus geschickt. Hier die Antworten der Berliner Spitzenkandidatin der Grünen, Bettina Jarasch.

1. Wir haben den 27. September 11 Uhr. Das amtliche Endergebnis der Wahl liegt vor. Sie sind mit Zweidrittelmehrheit zur Regierenden Bürgermeisterin gewählt worden. Was wird Ihre erste Amtshandlung sein?

Als Erstes begrüße ich die Beschäftigten im Roten Rathaus und gehe mit Ihnen ans Werk: einen Klima-Bürgerbeirat einsetzen und die erste Verhandlungsrunde für den Mietenschutzschirm vorbereiten.

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2. Eine weit entfernte Verwandte verstirbt und hinterlässt Ihnen überraschend 3002 Mietwohnungen? Wie gehen Sie mit dem Erbe um?

Als verantwortungsvolle und faire Vermieterin gebe ich sie unter den von mir vorgeschlagenen Berliner Mietenschutzschirm. Das heißt: Ich nehme eine faire Miete im Rahmen des Mietspiegels und nutze die neuen, zusätzlichen staatlichen Hilfen für eine gute energetische Sanierung.

3. Ihr Kind kehrt weinend von einem Schulwettbewerb in München zurück. Wie erklären Sie ihr oder ihm, weshalb die bayerischen Buben und Madel in allen Fächern besser sind als die Berliner?

20 Jahre SPD-geführte Bildungsverwaltung? Nein, im Ernst, erstens ist Ihr Beispiel stark übertrieben und zweitens würde ich sagen, dass ich dafür kämpfen werde, dass wir genug Lehrkräfte haben, damit es weniger Unterrichtsausfall gibt und die Qualität steigt, mehr Digitalisierung und gut ausgestattete, saubere Schulen. Wäre doch gelacht, wenn die Berliner Kinder nicht mithalten könnten!

4. Die Kellner in Ihrem Lieblingsrestaurant sprechen nur noch Englisch. Wieso muss Airbnb verboten werden?

Airbnb darf nicht dazu führen, dass die Menschen hier keine Wohnungen mehr finden, weil Wohnungen ohne Genehmigung als Ferienwohnung vermietet werden. Ich glaube übrigens nicht, dass ein englischsprachiger Aushilfskellner sich eine Airbnb-Wohnung leisten kann. Ansonsten ist Berlin eine internationale Metropole und gerade seine Vielfalt macht es stark – wirtschaftlich und kulturell.

5. In jüngster Zeit wurden viele Dinge für rassistisch erklärt: Straßennamen, klassische Musik, Apfelkuchen. Bei welcher Sache kann man sich sicher sein, dass sie nicht rassistisch ist?

Das ist eine Debatte, in der ich mir dringend mehr Gelassenheit wünsche. Die allermeisten Menschen sind nicht rassistisch. Aber unsere Sprache, auch unsere Kultur sind nun mal geprägt durch eine Zeit, in der weiße Europäer sich anderen Menschen überlegen fühlten. Das ändern wir aber nicht über Nacht und mit Sprechverboten, sondern nur dadurch, dass wir miteinander reden und einander zuhören.

6. Was würden Sie Ihrem ärgsten Feind wünschen?

Freund-Feind ist nicht meine Welt. Dafür bin ich dann vielleicht doch zu christlich geprägt.

7. Wir schreiben das Jahr 2030. Die Klimawende ist gescheitert. Berlin wird abwechselnd von Dürren heimgesucht und von Starkregen überflutet. Seit neun Jahren stellt die gleiche Partei den/die Regierende Bürgermeisterin. Wer hat 2021 die Abgeordnetenhauswahl gewonnen?

Wenn Berlin bis dahin mit den Folgen des Klimawandels umgehen kann, genug kühlende Orte hat für ältere Menschen und genug Freiflächen, damit der Starkregen versickern kann, habe ich gewonnen. Wenn der glühende Asphalt der Parkplätze und breite Straßen die Stadt zum Glutofen machen, jemand anderes.

8. Wie würden Sie den Begriff „Schwurbeln“ definieren?

Nicht klar sagen, was man denkt.

9. Sie lernen einen Flüchtling kennen, der schöner, schlauer, weltgewandter und wohlhabender ist als Sie. Welches Gefühl löst das bei Ihnen aus?

Da ich aus der Flüchtlingsarbeit komme, kenne ich viele schöne, schlaue und weltgewandte Flüchtlinge. Wohlhabende eher nicht. Menschen, die etwas haben oder können, was ich nicht habe oder kann, gibt es überall. Das stört mich nicht, mein Lebensmotto ist „gönnen können“.

10. Die Corona-Hilfen waren sehr teuer für die Stadt. Welches aktuelle geförderte Projekt würden Sie einstellen?

Den Weiterbau der A100 über den aktuellen Bauabschnitt hinaus. Unseren Anteil an den Geldern und vor allem die Flächen könnten wir anderweitig gut gebrauchen.

11. Welches Berliner Gebäude würden Sie sofort sprengen?

Die Brücke über den Breitenbachplatz. Sie ist eines der scheußlichsten Mahnmale für die autogerechte Stadt des vorigen Jahrhunderts. Ohne sie würde das Viertel erblühen.

12. Religionen sind Milliarden Menschen lieb, teuer und heilig; haben aber auch viel Leid über die Welt gebracht. Wie hat Berlin von Christentum, Islam und Judentum profitiert?

Berlin hat schon immer davon gelebt, dass es eine Stadt der Zuwanderung ist, wo sich Religionen und Kulturen treffen. Berlins Vielfalt und seine Offenheit haben auch mit dem Mix der Religionen zu tun. Und es waren Menschen, die im Namen der Religion Leid über die Welt gebracht haben. Deshalb bin ich froh, in einem säkularen Staat zu leben.

13. Wann sehen wir zum letzten Mal ein Auto mit Verbrennungsmotor innerhalb des S-Bahn-Rings?

2030. Außer vielleicht mal ein älteres Feuerwehr- oder Polizeifahrzeug, aber auch da kriegen wir in den nächsten zehn Jahren noch verbrennerfreie Alternativen. Unsere Automobilwirtschaft und unsere Ingenieurinnen und Ingenieure schaffen das.

14. Der Clan-Boss Issa Remmo hat kürzlich angeboten, den Görlitzer Park wieder sicher für Omas zu machen. Haben Sie Sorge, dass es ihm gelingt?

Für Recht und Ordnung muss der Innensenator sorgen, nicht die organisierte Kriminalität. Das würde die Grundfesten unserer Demokratie infrage stellen. Aber ich halte so was eher für peinliche PR.

15. Wie sähe Berlin aus, wenn es keinen Länderfinanzausgleich gäbe?

Berlin ist längst nicht mehr ein Land, das finanziell notorisch am Tropf der anderen hängt. Berlin leistet als Hauptstadt für den Rest der Republik vieles. Seit einigen Jahren boomt Berlin ganz aus eigener Kraft. Unsere Wirtschaft ist stark und innovativ und kann mit noch mehr nachhaltigen Ideen noch viel mehr.

16. Würden Sie bei einem berlinweiten Kippa-Day oder Kopftuch-Tag mitmachen?

Nein. Ich werde dafür sorgen, dass sich Menschen sowohl mit Kippa als auch mit Kopftuch ohne Angst überall in Berlin bewegen können. Aber so ein Tag würde mehr Missverständnisse provozieren, als er nutzen würde.

17. Was ist an Ihnen typisch Berlin?

Dass ich mein Herz auf der Zunge trage und sage, was ich denke.

18. Heute gilt die Demokratie vielen als über jeden Zweifel erhabene Regierungsform. Früher wurde Churchill häufiger mit folgendem Ausspruch zitiert: „Das beste Argument gegen die Demokratie ist ein fünfminütiges Gespräch mit dem Durchschnittswähler.“ Was halten Sie für Nachteile der Demokratie?

Mir macht eher die Vorstellung Angst, ich würde in einem Land mit einem autokratischen Herrscher leben. Auch wenn es manchmal anstrengend ist, die Demokratie mit vielen Meinungen, starken freien Medien und mündigen Menschen ist die mit Abstand beste aller Regierungsformen.

19. Was wäre der größte Erfolg für eine/n Regierende/n Bürgermeister/in?

Berlin zu einer krisenfesten und klimaneutralen Metropole zu machen.

Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.