Berlin/Stuttgart-Des Deutschen liebstes Kind durchlebt gerade eine schwierige Phase. Der Wandel zur Elektromobilität ist politisch gewollt, aber bisher fehlten die Elektroautos aus Deutschland. Der Vorsprung von Tesla galt zwischenzeitlich als uneinholbar. Im Gespräch mit der Berliner Zeitung am Wochenende spricht Eckart von Klaeden, Cheflobbyist von Mercedes, über die Zukunft der individuellen Mobilität und die Voraussetzungen für die Energiewende auf der Straße. Schnell wird deutlich: Die Hersteller haben ihre Hausaufgaben gemacht, jetzt wird es Zeit, dass die Politik nachzieht.
Herr von Klaeden, Sie kommen aus Hannover. Jetzt sind Sie in Stuttgart. Wie kommt ein Niedersachse ausgerechnet zu Daimler? Es soll auch in Niedersachsen einen großen Autobauer geben.
Das ist gar nicht so ungewöhnlich. Wir haben viele Kolleginnen und Kollegen, die nicht aus Schwaben oder Baden-Württemberg kommen, sondern aus Europa und der ganzen Welt. Ich finde an Daimler besonders interessant, dass es tatsächlich das Unternehmen ist, das bei der Frage der Individualmobilität eine Pionierrolle für sich beanspruchen kann. Nicht nur als Erfinder des Automobils. Wenn ich mir unter allen Auto- oder Dax-Konzernen einen hätte aussuchen können, dann wäre Daimler in der ganz engen Auswahl gewesen.
Das erste Auto war ein Daimler, aber jetzt erleben wir einen Epochenwechsel, der fast so fundamental wirkt wie die Erfindung des Autos selbst: die Umstellung auf Elektromobilität und die Umstellung auf neue Antriebssysteme. Im Wahlkampf haben sich alle Kandidaten sehr verhalten zu den Kosten dieser Umstellung geäußert. Was kommt auf den Verbraucher zu? Können sich die Deutschen weiterhin ihr eigenes Auto leisten?
Individuelle Mobilität darf kein Privileg für wenige sein, sondern muss der ganzen Bevölkerung zur Verfügung stehen. Denn Mobilität ist ja nicht nur ein Freiheits-, sondern auch ein Selbstbestimmungsversprechen. Deswegen hängt auch die Frage der sozialen Gerechtigkeit mit der Frage der Mobilität zusammen. Und davon sollte niemand ausgeschlossen sein.
Ist das eine Aufgabe, die die Politik lösen muss, oder ist das eine Aufgabe der Produzenten?
Das müssen wir alle zusammen lösen. Mit steigenden Verkaufszahlen steigen ja auch die Skaleneffekte. Dadurch wird auch der Gebrauchtwagenmarkt für Elektrofahrzeuge weiter wachsen. Dafür muss das Vertrauen der Kunden in die Elektromobilität weiter zunehmen. Es gibt zwei Einwände, die immer wieder gegen die Elektromobilität vorgebracht werden: zum einen das Reichweitenproblem. Das ist unsere Aufgabe als Hersteller, die aber im Grunde gelöst ist. Der zweite Einwand ist die Frage nach den Lademöglichkeiten, also der Infrastruktur.
Warum gelöst? Viele potenzielle Kunden klagen noch immer über kurze Reichweiten bei der E-Mobilität.
Weil die neuen Fahrzeuge eine solche Reichweite haben, dass es für die sogenannte Reichweitenangst keinen Anlass mehr gibt. Aber die Frage der Reichweite hängt von der Frage der Infrastruktur ab. Selbst eine Reichweite mit weit über 400 Kilometern wird Ihnen Schwierigkeiten machen, wenn Sie bei einer längeren Strecke nicht auf genug freie und verfügbare Ladesäulen treffen. Die Infrastruktur muss alles Erforderliche umfassen: Verfügbarkeit, Preis, Ladegeschwindigkeit und auch die Zahlungsmöglichkeiten. Das alles muss ineinandergreifen und für die Kunden komfortabel sein. Wir setzen das schon heute mit Mercedes Me um, einer zentralen App, mit der man den Ladestand überprüfen, Ladesäulen finden und digital bezahlen kann. Wichtig ist aber, dass das Autofahren weiter Spaß macht. Das ist bei der Elektromobilität definitiv gegeben, sowohl durch die Geräuscharmut als auch durch die Beschleunigung. Wenn die Voraussetzungen stimmen, wird sich die Elektromobilität in der Breite durchsetzen und der batterieelektrische Antrieb im Vergleich zum Verbrennungsmotor als gleichwertig oder sogar besser angesehen. Dann wird sich das Käuferverhalten automatisch verändern. Aber bis dahin brauchen wir die Unterstützung der Politik. Wir brauchen sie bei der Umweltprämie, aber vor allem beim Aufbau der Infrastruktur.
Wenn es nach den Plänen der EU geht, werden im Zuge des Programms „Fit for 55“ die Verbrenner bis 2035 verboten. Ist das ein realistischer Zeitplan?
Ich halte das für realistisch, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Wir haben mit unserer eigenen Electric-Only-Strategie gesagt, dass wir dann sogar 2030 für möglich halten. Wir lehnen Verbote aber entschieden ab. Denn wir wollen vermeiden, dass sich die Politik aus ihrer Verantwortung für Infrastruktur und Strompreise stiehlt, indem sie die CO2-Reduktion über Verbote organisiert. Stattdessen muss sich das bessere, klimafreundlichere Produkt am Markt durchsetzen können.
Die Autoindustrie ist ein emotional besetztes Thema in Deutschland. Ärgert Sie das manchmal, dass Tesla als Vorreiter gilt und die deutsche Autoindustrie gleichzeitig, zumindest bis vor kurzem, sehr negativ beschrieben wurde im Hinblick auf Innovationsfähigkeit und Innovationsfreude?
Sagen wir mal so: Ich habe dieses Urteil nicht für angemessen gehalten, aber es bringt jetzt auch nichts, sich darüber zu ärgern. Nein, man muss einfach zeigen, dass man es genauso gut und auch besser kann. Und wenn Sie sich unseren neuen Mercedes EQS ansehen, dann ist diese Kritik schon sehr viel leiser geworden. In aller Bescheidenheit: Viele sagen, dass der EQS in seiner Klasse das beste Elektroauto der Welt ist.
Viele Menschen befürchten, dass durch die Elektromobilität Arbeitsplätze in Deutschland wegfallen werden. Wird die wesentliche Wertschöpfung auch beim E-Auto in Deutschland stattfinden?
Das denke ich schon. Allerdings wären wir bei der Kostenstruktur in Deutschland schon heute nicht mehr wettbewerbsfähig, wenn wir nicht die Vorteile der Globalisierung mit der Entwicklung unserer Standorte kombinierten. Das wird auch im Zeitalter der Elektromobilität so bleiben. Was die Batteriezellenproduktion angeht, sehe ich eher eine Tendenz zu mehr Europa.
Dies war auch das Ziel von Wirtschaftsminister Altmaier. Halten Sie die Industriepolitik in dieser Hinsicht für erfolgreich?
Die Bemühungen sind ja noch relativ am Anfang, denn jetzt beginnt das Hochfahren der Produktion. Ich halte es aber für richtig, für mehr europäische Batteriezellenproduktion zu sorgen und das auch durch europäische und nationale Programme zu unterstützen.
Spielen die Kosten für Elektrizität beim Erfolg der Elektromobilität eine Rolle? In kaum einem EU-Land zahlen die Verbraucher so viel für Strom wie in Deutschland.
Klar, das spielt eine Rolle. Solange der Kunde noch die Alternative hat und feststellt, dass das elektrische Fahren teurer ist als das Fahren mit dem Verbrennungsmotor, wird er sich eher für Letzteren entscheiden. Die Kosten für die elektrische Ladung wird mit der Tankfüllung verglichen. Es gibt jetzt Vorschläge, zum Beispiel Ladestrom von der EEG-Umlage oder von anderen Auflagen zu befreien. Diese Diskussion halte ich für richtig.
Das ist auch eine Forderung vom Verband der Automobilhersteller (VDA). Wie erklären Sie der vielbemühten Mutter, die das Mittagessen für ihre Familie kocht, dass sie nicht von der EEG-Umlage befreit ist für so eine ganz basale Tätigkeit, und der Tesla oder Mercedes-Fahrer wird entlastet – das lässt sich so schwer argumentieren, oder?
Also wenn wir in diesem traditionellen Familienbild bleiben ...
... wir sprechen ja gerade über das Schwabenland.
Die Mutter muss die Sachen, die sie kocht, auch irgendwie nach Hause bekommen und nutzt dafür vielleicht ein Elektroauto. Dann profitiert auch sie von der Entlastung. Aber Sie haben recht: Die Strom- und Energiepreise sind in Deutschland insgesamt zu hoch.
Müssen wir im Hinblick auf das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) nicht feststellen: ein schönes Instrument für den Anfang, aber wir haben es viel zu lange laufen lassen?
Es gilt auch weiterhin, die Strom- und Energiekosten in Deutschland in den Griff zu bekommen. Klar ist: Der Erfolg der Elektromobilität steht und fällt natürlich auch mit dem Strompreis.
Daimler fährt eine reine Elektrostrategie, zumindest bei den Pkw. BMW möchte auch auf Fahrzeuge mit Wasserstoff setzen. Wir erinnern uns an das Zusammentreffen von Armin Laschet und Elon Musk im Wahlkampf, bei dem Musk Laschets Anmerkungen zum Thema Wasserstoff eher belächelt hat. Hat Wasserstoff aus Ihrer Sicht eine Zukunft im Individualverkehr?
Wir setzen tatsächlich für mindestens die nächsten zehn Jahre beim Individualverkehr auf den batterieelektrischen Antrieb. Das ist auch ein Gebot der Energieeffizienz. Beim Lkw gibt es ein differenzierteres Bild. Da setzen wir auf einen Mix aus Brennstoffzelle und Batterie. Erst diese Woche startete die Produktion unseres vollelektrischen Schwer-Lkws eActros. Insgesamt gilt: Die Energie muss nach Möglichkeit klimaneutral erzeugt und so effizient wie möglich genutzt werden. Dazu sollten Konversionsverluste vermieden werden. Das alles spricht zurzeit für die Batterie. Wenn es große Fortschritte bei der Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff gibt, kann er auch für den Individualverkehr interessant werden. Das sehe ich momentan aber nicht.
Manchmal hat man den Eindruck, die Automobilindustrie wird von der öffentlichen Debatte überholt. Das „Fit for 55“-Programm der EU wirkt wie eine große Herausforderung, das Gleiche gilt für die vorangegangene Debatte um die Schadstoffemissionen. Wäre es nicht besser, die Automobilindustrie würde offener kommunizieren, was geht und was eben nicht?
Die Automobilindustrie hat dazugelernt. Wir sind in einer Situation, in der die großen Hersteller den Hebel in Richtung Elektromobilität und Klimaneutralität umgelegt haben. Hinzu kommt ein neues Verständnis von Individualmobilität: Auch die Automobilindustrie tritt für einen vernünftigen Mix der unterschiedlichen Verkehrsträger ein. Das, was wir aus den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts unter dem Stichwort „autogerechte Stadt“ kennen, ist schon lange nicht mehr unsere Vorstellung von Individualmobilität. Auch wir wollen, dass das Auto eingebunden ist in ein größeres Ökosystem, in dem öffentlicher Personennah- und Fernverkehr und auch das Fahrrad eine Rolle spielen. Andererseits hat das Auto so viele Vorteile für die selbstbestimmte und individuelle Mobilität, dass unsere Gesellschaft nicht darauf wird verzichten können. Das Mobilitätsbedürfnis der Menschen wird differenzierter, aber nicht geringer. Deshalb wird ein ideologisch motivierter Feldzug gegen das Auto auf den Widerstand breiter Schichten der Bevölkerung und damit auch der Wählerschaft treffen.
Christian Lindner (FDP) hat bereits deutlich gemacht, dass er die Subventionierung von Elektroautos über Kaufprämien ablehnt. Welche Erwartungen haben Sie an die neue Bundesregierung?
Die Politik und wir haben das gemeinsame Ziel, dass die Kunden so schnell wie möglich auf klimafreundliche Antriebe umsteigen. Bis sich die Elektromobilität endgültig durchgesetzt hat, leisten Kaufprämien dafür einen wichtigen Beitrag. Aber natürlich geht es um ein Gesamtpaket, das auch Lade-Infrastruktur und bezahlbaren Grünstrom im Blick hat. Den Klimaschutz sollte die neue Bundesregierung mit der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit verbinden. Einige Stichworte sind hier: offene Märkte, Qualifizierung in Zukunftsbereichen und der Ausbau der Digitalisierung.
