Ukraine-Krieg

Verdächtige Titan-Lieferungen: Hilft die Ukraine bewusst Russlands Rüstungsindustrie?

Das ukrainische Titan gelangt einer brisanten Recherche zufolge nach Russland, wo es zu militärischen Zwecken benutzt werden kann. Ukrainischen Staatskonzern stört das offenbar nicht.

Wladimir Putin empfängt am 7. August 2023 den Rostec-Chef Sergei Tschemesow in Moskau. 
Wladimir Putin empfängt am 7. August 2023 den Rostec-Chef Sergei Tschemesow in Moskau. Pool Sputnik Kremlin

Titan ist ein außerordentliches Luxusmetall: leicht, aber extrem fest, wird es nicht nur im Flugzeugbau verwendet, sondern auch in der Architektur, Medizin und nicht zuletzt in der Rüstungsindustrie. Da Titan ein seltener Rohstoff ist, ist dessen Import aus Russland nicht von EU-Sanktionen betroffen: Deutschlands Abhängigkeit hat sich deswegen hier noch nicht komplett nivelliert. Russland dominiert als Herkunftsland mit rund 15 Prozent Anteil an Reserven und als Hersteller mit 30 Prozent Anteil an der Produktion zudem den globalen Titanmarkt. Der Konzern VSMPO-Avisma mit Sitz in Jekaterinburg ist darüber hinaus der weltgrößte Titanproduzent.

Doch das hindert die Russen wohl nicht daran, den wertvollen Rohstoff zusätzlich aus der Ukraine, die ebenfalls große Reserven hat, zu importieren, und zwar über Zwischenhändler in Osteuropa. Eine aktuelle Recherche des Portals RBC-Ukraine stellt fest, dass die russische Verteidigungsindustrie aus der Ukraine weiterhin Rohstoffe für die Titanproduktion beziehen soll.

Staatliches ukrainisches Unternehmen verkauft Titankonzentrate an Firmen mit russischen Gründern

Wie das ukrainische Portal unter Berufung auf Insider aus der Titanindustrie berichtet, gelange ein erheblicher Teil der aus der Ukraine exportierten Titanrohstoffe mit aller Wahrscheinlichkeit über Zwischenhändler nach Russland. Obwohl die Ukraine selbst keine Fertigprodukte aus dem Titan herstellt, exportiert das Land Titankonzentrate an andere Länder, die diese verarbeiten und verwenden. Während des Krieges exportierte das staatliche Vereinigtes Bergbau- und Chemieunternehmen (United Mining and Chemical Company, oder UMCC Titanium) von Juli 2022 bis April 2023 beachtliche 82.200 Tonnen titanhaltiger Erze. Ein guter Teil dieser Lieferungen ist laut den geleakten Dokumenten an die Zwischenunternehmen mit Sitz in Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei gegangen. Bemerkenswert dabei sei es, schreibt das Portal, dass diese Unternehmen russische Staatsbürger als Gründer hätten und nachweislich Geschäfte mit Russland tätigen würden. Dieses pikante Detail dürfte dem staatlichen UMCC Titanium sicher nicht entgangen sein.

Ein Käufer von Titantetrachlorid, die Firma Nadezda (Russisch: Hoffnung) Invest mit Sitz in Budva in Montenegro, bereitet den ungenannten Quellen des ukrainischen Portals besondere Sorgen. Die Firma wird der Recherche zufolge von Personen unter den Namen Sergej Orechow und Wladislaw Netscheporenko mitgegründet. Zumindest Orechow könnte nach der Etymologie des Nachnamens Russe sein.

Darüber hinaus kaufte das österreichische Unternehmen LL Resourses GmbH laut dem Bericht sogenanntes schwammiges Titan bei der Titan-Magnesium-Anlage in Saporischschja (ZTMK), dem einzigen Hersteller vom schwammigen Titan in Europa. Die LL Resourses GmbH wird unter anderem von Anatoly Zaytsev aus Sankt Petersburg geleitet, der schon lange in Österreich lebt. Zaytsev sei ein Vertrauter des ukrainischen Oligarchen Dmytro Firtasch gewesen, behauptete die Zeitung, ohne Beweise dafür vorzulegen. Firtasch war unter dem Präsidenten Wiktor Janukowytsch im Besitz der oben erwähnten ukrainischen Titan-Anlage ZTMK und ist für enge Kontakte nach Russland in der Vergangenheit bekannt. Nach der Veröffentlichung des Artikels musste das Portal dies jedoch auf Hinweis des ukrainischen Mischkonzerns Group DF, der Firtasch gehört, korrigieren. Zaitsev sei kein Vertrauter von Firtasch gewesen, heißt es.

Anmerkung der Redaktion: Nach der Veröffentlichung des Artikels hat auch die LL Resourses GmbH die Berliner Zeitung kontaktiert. Anatoly Zaytsev, einer der drei Geschäftsführer des Unternehmens mit Sitz in Graz, sei nie ein Vertrauter des ukrainischen Oligarchen Firtasch gewesen und habe mit Firtasch auch nichts zu tun, kommentierte der Prokurist des Unternehmens Marc Gutschy. Man pflege aber „historisch“ – seit der Gründung 2011 – die Beziehungen zur Ukraine als einem wichtigen Herkunftsland von Titan. Die LL Resourses GmbH habe im letzten Jahr von der Titan-Anlage ZTMK in der Tat zwei Lieferungen mit Titanrohstoffen erhalten, diese seien aber an die Tochterunternehmen in Schweden und Lettland gegangen. Dort werden Legierungselemente produziert, die an die europäische und US-amerikanische Industrie verkauft werden.

In diesem Jahr habe man bei der Anlage ZTMK nichts mehr gekauft. In Russland habe die LL Resourses vor dem Ukraine-Krieg sogar Assets, also Vermögenswerte gehabt, aber man habe „sofort nach dem Kriegsausbruch alle Assets in Russland abgestoßen und Russland verlassen“, versichert Gutschy. Man habe auch keine Geschäfte mit dem VSMPO-Avisma gehabt, weil der russische Titanhersteller „unser Konkurrent ist“, heißt es. Informationen zum Rückzug aus Russland oder ein Statement zum Ukraine-Krieg lassen sich allerdings nicht auf der Webseite des Unternehmens finden: Diese wird fast  nicht nachgefüllt, und die Nachrichten werden auf der LinkedIn-Seite des Unternehmen erst seit weniger als einem Jahr publiziert.

Wie das ukrainische Titan in Russland zu „Kriegszwecken“ verwendet wird

Die russische Verbindung erstreckt sich laut dem ukrainischen Bericht auch auf die Firma Cytleon s.r.o. mit Sitz in Tschechien, die im August 2022 Titanschlacke aus der Ukraine kaufte und vom russischen Staatsbürger mit Moskauer Anmeldung, Leonid Tsytlenok, mitgegründet wurde. Ukrainische Experten kritisieren, dass ein staatliches ukrainisches Unternehmen wissentlich oder fahrlässig Titanprodukte an Zwischenunternehmen verkaufen würde, die diese nach Russland weiterliefern würden. „Es gibt wachsende Bedenken, dass es sich bei den Endverbrauchern dieser Produkte wahrscheinlich um Militärfabriken handelt, was die Besorgnis über mögliche militärische Anwendungen schürt“, schreibt das RBC-Ukraine.

Der russische Konzern VSMPO-Avisma, der teilweise auch der staatlichen Rüstungs- und Technologieholding Rostec gehört, war in der Vergangenheit auch auf ukrainische Rohstoffe angewiesen. Die Textautoren schlagen Alarm, da die Produkte von VSMPO-Avisma einen doppelten Verwendungszweck haben, also neben dem zivilen Bereich auch in Militärfabriken häufig zur Herstellung von Flugzeugen, Hubschraubern, Marschflugkörpern und zu anderen militärischen bzw. „Kriegszwecken“ eingesetzt werden. Sie fordern von Kiew deswegen eine gründliche Untersuchung und eine Kontrolle über den Export von Titanrohstoffen. „Es ist nicht ganz klar, warum der Staatliche Exportkontrolldienst die Titanexporte an mit Russland zusammenarbeitende Dichtungsunternehmen derzeit nicht stoppt“, schreiben die Autoren. Während des Krieges solle der Export von Titanrohstoffen nach Russland zweifellos ausgeschlossen werden, bekräftigen sie. 

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