Die russische staatlich-private Fluggesellschaft Aeroflot hat offenbar Schwierigkeiten beim Austausch verschlissener Bremsen in ihren Flugzeugen ausländischer Herstellung. Aus diesem Grund müssten die Piloten sie vorübergehend ausschalten, schreibt die Moscow Times unter Berufung auf eine neue Flugsicherheitsanweisung der Airline. Das Portal One Mile at a Time suggerierte daraufhin, Aeroflot würde ohne Bremsen fliegen. Inwiefern stimmt das?
Über die Sicherheitsanweisung hat zuerst der russische Telegram-Kanal „Aviatortschina“ (auf Deutsch etwa „Fliegertum“) berichtet, der die Zustände im russischen Flugverkehr beleuchtet. In einem geleakten Bulletin unter dem Titel „Sicherheitskultur“ warnt Aeroflot die Piloten vor der Gefahr, dass Flugzeuge „mit deaktivierter Bremse“ über die Grenzen der Landebahn „hinausrollen“ könnten. Ein Besatzungsmitglied habe die Fluggesellschaft über diese Gefahr informiert, heißt es. Insbesondere sei festgestellt worden, dass es beim Bremsen mit deaktivierter Bremse zum „Abheben des Flugzeugs von der Mittellinie der Landebahn“ kommen könne. Die Piloten werden gebeten, besonders beim Rollen über die Landebahn nach der Landung auf dieses Problem zu achten.
Russland: Aeroflot warnt Piloten vor Gefahren bei deaktivierten Bremsen
„Das Flugzeug neigt dazu, sich auf die Seite zu drehen, an der die Bremsen nicht deaktiviert sind. Beachten Sie diesen Umstand insbesondere bei der Landung auf einer nassen Landebahn mit Seitenwind!!!“, wird im Bulletin eindringlich gewarnt. „Es gibt Beschränkungen hinsichtlich der Breite der Landebahn. Es besteht die Gefahr, dass die Landebahn überrollt wird!!!“
Wie der Telegram-Kanal weiter berichtet, seien zum 31. Juli bereits neun Aeroflot-Flugzeuge mit deaktivierten Bremsen geflogen, darunter fünf Boeing 777, zwei Airbus A321, eine A320 und eine A330. Das Fliegen mit deaktivierten Bremsen darf bei den angegebenen Flugzeugtypen nicht länger als zehn Tage dauern, wie aus der Liste der pendenten Mängel (Deferred Defects List, MEL) von Aeroflot hervorgeht.

Es werden allerdings nicht alle Bremsen deaktiviert. Ein Flugzeug verfügt über mehrere Bremsen, eine für jedes Rad des Hauptfahrwerks. Und in Flugzeugen der Typen A320/321 und A330 darf man laut der Aeroflot-Liste zehn Tage lang mit nur einer deaktivierten Bremse von vier bzw. acht je nach Flugzeug fliegen, in einer Boeing 777 sogar mit zwei von zwölf. In der Regel würden Fluggesellschaften auf eine Teildeaktivierung der Bremsen zurückgreifen, wenn ein sofortiger Austausch im Falle einer Störung oder eines Scheibenverschleißes bis zum maximal zulässigen Grenzwert nicht möglich sei, berichtet „Aviatortschina“. Aeroflot hat bisher nicht auf das Leak reagiert.
Russische Airlines umgehen die Sanktionen, aber ...
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hatte die EU den Flugverkehr mit Russland eingestellt und die großen russischen Fluggesellschaften, allen voran Aeroflot, auf die Sanktionsliste gestellt. Schon im März 2022 hatten die Hersteller Boeing und Airbus die Lieferung von Ersatzteilen, Wartung und technische Unterstützung für russische Fluggesellschaften eingestellt. Auch Leasingverträge wurden aufgrund von Sanktionen gekündigt. Schon im letzten Jahr hatte Aeroflot den Berichten zufolge die Kosten für Flugzeugreparaturen um das Fünffache reduziert. Aeroflot begründete die Kostensenkung mit einem Rückgang der Wirtschaftsindikatoren wegen der Sanktionen.
Infolgedessen musste Aeroflot mindestens 25 seiner Flugzeuge für Ersatzteile ausschlachten. Und dann fanden russische Fluggesellschaften einen Weg, die westlichen Beschränkungen zu umgehen.
So wurden in den ersten sechs Monaten 2023 Ersatzteile für ausländische Flugzeuge für mindestens 171 Millionen US-Dollar nach Russland importiert, wie das unabhängige Portal Werstka herausfand. Das Portal untersuchte Zolldaten, denen zufolge die Airlines Aeroflot, S7, Pobeda und Rossija (beide Aeroflot-Tochterfirmen) die benötigten Teile über chinesische und emiratische Unternehmen importiert haben sollen. Die Fluggesellschaften sollen die Ersatzteile im Ausland sowohl direkt als auch über Zwischenhändler bestellt haben. Eines davon war laut Werstka-Recherche das kleine russische Unternehmen Protector, dessen Umsatz bereits im Jahr 2022 plötzlich um 1000 Prozent stieg. Im Jahr 2023 soll das Unternehmen sechs Flugzeugtriebwerke für Boeing 767, Boeing 737 und Airbus A320 im Wert von 1,9 bis zehn Millionen US-Dollar nach Russland importiert haben.


