Wirtschaft

Sollen Habeck und Co. die AfD-Wähler bloß „in Ruhe lassen“?

Wenn die Ampel die AfD stoppen will, darf sie nicht länger unbequeme Wahrheiten scheuen. Unser Kolumnist hat einen Vier-Punkte-Plan gegen die Rechtsaußen-Partei.

Wirtschaftsminister Robert Habeck während eines Besuchs bei einem Dachdeckerbetrieb in Sachsen
Wirtschaftsminister Robert Habeck während eines Besuchs bei einem Dachdeckerbetrieb in SachsenFoto: Sebastian Kahnert/dpa

Manche Wahrheiten sind unbequem. Dazu gehört: Durch Deutschland geht ein Rechtsruck. Die AfD ist in Bundesumfragen mit nun 20 Prozent die zweitstärkste Partei, im Osten sogar häufig auf Platz eins. In Thüringen und Brandenburg, wo nächstes Jahr Landtagswahlen anstehen, kommt die Partei in Umfragen auf 34 bzw. 29 Prozent.

Ist es nicht ironisch, dass die Ampel sich „Fortschritt“ aufs Cover des Koalitionsvertrages geschrieben hat, aber jetzt die Augen vor den Umfragen verschließt? Vielleicht weil die Fortschrittlichen bloß nichts mit diesen unbequemen Umfragen zu tun haben möchten? Bloß keine Verantwortung?

Dazu passt, dass der Regierungssprecher Steffen Hebestreit die jüngsten Wahlerfolge der AfD – Landrat in Sonneberg und sowie Bürgermeister in Raguhn-Jeßnitz – in der Regierungspressekonferenz als Einzelfälle angetan hat. Oder dass Vizekanzler Robert Habeck auf seiner Sommerreise erklärt, das Erstarken des rechten Populismus sei Ausdruck des Wunsches, vom Staat „in Ruhe gelassen zu werden“. Alles, was an Staatlichkeit auf einen zukomme, ist laut Habeck eine Gefährdung des eigenen Freiheitsempfindens. Unbequeme Wahrheiten lassen sich also eine Zeit lang verdrängen, irgendwann holen sie Habeck, Scholz und andere aber ein.

Die Wirtschaft gelähmt, der Frieden gefährdet: AfD-Umfragen sind ein Denkzettel an die Regierung

Habeck und Scholz wollen den Elefanten im Raum nicht benennen. Und der ist: Der AfD-Aufstieg ist ein Denkzettel, ein Zeugnis an die aktuelle Regierung und die davor, ein stummer Schrei vor Frust und Verzweiflung. Kein Zufall, dass der sich in einer Zeit Bahn bricht, wo die Inflation hoch, der Alltag teuer, die Reallöhne gefallen, die Wirtschaft gelähmt, die Kommunen überfordert und der Frieden gefährdet ist.

Die Deutsche Einheit war ein ökonomisches Desaster für den Osten. Statt blühender Landschaften gab es Deindustrialisierung und Massenarbeitslosigkeit.

Maurice Höfgen, Ökonom

Auch kein Zufall, dass die AfD im Osten deutlich stärker punktet als im Westen. Da sind Frust, Verzweiflung und Unsicherheit nämlich noch viel berechtigter. In Sonneberg, wo die AfD das erste Mal den Landrat stellt, verdient fast jeder Zweite nur den Mindestlohn. Auch nach mehr als 30 Jahren Einheit sind die Löhne, Renten und Vermögen im Osten schmerzhaft kleiner, Armut und Arbeitslosigkeit hingegen viel verbreiteter. Wenn wir schon bei unbequemen Wahrheiten sind: Die Deutsche Einheit war ein ökonomisches Desaster für den Osten. Statt blühender Landschaften gab es Deindustrialisierung und Massenarbeitslosigkeit.

Was hilft gegen das Erstarken der AfD?

Was helfen würde, um den Rechtsruck einzudämmen, liegt auf der Hand: Politik gegen den Frust und die Unsicherheit. Die Ampel darf der AfD nicht die Brot- und Butterthemen überlassen. Ein paar Beispiele: Drei Prozent mehr Mindestlohn helfen nicht gegen 15 Prozent teurere Lebensmittel. De facto bedeutet das weniger Kaufkraft für die rund sechs Millionen Beschäftigten, bei denen am wenigsten im Geldbeutel landet. Die politische Erhöhung von 10,45 auf 12 Euro war schon weit vor der Inflation beschlossen. Ein Kanzler, der mit dem „Respekt“-Slogan Wahlkampf gemacht und Sonneberg verstanden hat, darf nicht tatenlos zusehen. Lernen könnten Wirtschaftsminister Habeck und Finanzminister Lindner außerdem von Spanien. Die Spanier haben die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel gestrichen, Brot und Butter per Federstrich günstiger gemacht.

Flüchtlinge, zu wenig Wohnraum, fehlende Kitaplätze: Die Kommunen brauchen Geld!

Anderes Beispiel: Die Kommunen sind überfordert mit der Unterbringung von Flüchtlingen. Zu wenig Wohnraum, zu wenig Verwaltungspersonal, zu wenig Plätze in Kitas und Schulen – und vor allem: zu wenig Geld in der Kasse! Beim Flüchtlingsgipfel im Mai wollten die Länder wieder mehr Hilfen vom Bund, Pro-Kopf-Zahlungen wie 2015 unter Merkel, damals gab es 670 Euro pro Flüchtling. Nach zähen Verhandlungen haben Scholz und Lindner lediglich eine pauschale Milliarde zugesagt, von der jeder weiß: reicht vorne und hinten nicht.

Wenn die Ampel die Kommunen im Stich lässt, schenkt die der AfD Stimmungsmache gegen Flüchtlinge. Die Rückkehr zu den Pro-Kopf-Zahlungen von Merkel wäre deshalb überfällig, allerdings sollte es heute deutlich mehr Geld sein. Im Koalitionsvertrag steht übrigens, die Ampel will den überschuldeten Kommunen ihre Altschulden abnehmen. Wäre ja gut, ist aber wieder nur ein hohles Versprechen, das nicht eingelöst zu werden droht.

Auch für das Heizungsgesetz: Der Osten braucht Industriejobs

Auch braucht die Ampel einen Wumms für den Osten. Wer die AfD kleinmachen will, muss Industriepolitik für den Osten machen. Bisher gilt: Im Osten drehen sich Windräder, im Rheinland und Südwesten die Maschinen – das muss und kann sich ändern. Günstige Energie aus Wind und Strom, damit das geplante Heizungsgesetz überhaupt funktioniert, sollten zum Standortvorteil für den Osten werden. Die milliardenschweren Ansiedlungen von Tesla, Intel und Daimler Trucks beweisen das. Angelockt mit großen Subventionen, überzeugt mit günstigem Strom. Von solchen Ansiedlungen braucht es mehr. Wenn Fabriken für E-Autos und Halbleiter in den Osten gelockt werden, entstehen tausendfach gut bezahlte Industriejobs.

Die Energiewende ist ein Möglichkeitsfenster, das es zu nutzen gilt. Auch hier gibt es aber eine unbequeme Wahrheit: Wer den Osten fördern will, muss sich mit Bayern anlegen. Damit Strom im Osten günstiger wird, müssten die Netzentgelte reformiert werden. Im Moment sind die im Osten höher als im Süden, weil dort mehr Strom aus Wind und Sonne gewonnen und über neue Netze transportiert wird. Der eigentlich vorbildliche Ausbau wird so über teurere Netzentgelte zum preislichen Nachteil – und andersherum in Bayern.

Solange sich die Ampel vor unbequemen Wahrheiten scheut und sich öffentlich zerstreitet wie beleidigte Kinder, die sich im Sandkasten mit Dreck beworfen haben, hat die AfD Auftrieb. Der Sparhaushalt 2024 macht die Probleme eher schlimmer als besser. Denn die Brot-, Butter- und Industriethemen lassen sich ohne Geld nicht lösen. Statt in gegenseitigen Ministerbriefen über Kürzungen zu streiten, sollte man lieber an einem Masterplan gegen den AfD-Aufstieg arbeiten.

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