Der Trend hat sich in der deutschen Industrie bereits abgezeichnet: Wegen hoher Zinsen, Arbeitskräftemangel und strenger Effizienzvorgaben hierzulande schauen deutsche Unternehmen immer öfter ins Ausland. In Nordamerika und sogar in China gibt es mehr Steueranreize, günstigere Energie, weniger Regulierung. Das Ergebnis: Hierzulande investieren die Unternehmen immer weniger, und der Internationale Wirtschaftsfonds (IWF) prognostiziert für Deutschland als einzigem G7-Land in diesem Jahr eine Rezession.
Auch ausländische Investoren wetten zunehmend darauf, dass Europa in einen „schmerzhaften“ Wirtschaftsabschwung versinken wird. Darüber schreibt die britische Zeitung Financial Times unter Hinweis auf die befragten Finanzinstitute. Im Gegensatz dazu seien die Finanzmärkte davon überzeugt, dass die USA auf eine „sanfte Landung“ zusteuerten, heißt es.
Wirtschaft in den USA: Hohe Zinsen, aber starke Nachfrage und Wachstum
Der Euro schwächelt seit Wochen und kostet im Moment nur noch 1,09 US-Dollar, Aktien der europäischen Unternehmen legen im Preis kaum zu, und deutsche Staatsanleihen – der bevorzugte Rückzugsort der Anleger in Stresszeiten – werden teurer und attraktiver. Das alles steigert die Zuversicht der Fondsmanager, dass sich die Wirtschaftsindikatoren in der Eurozone mit ihren hohen Kreditkosten abschwächen werden. Die USA hätten dagegen trotz der restriktivsten Zinspolitik seit 22 Jahren Widerstandsfähigkeit bewiesen.
„Wir haben in den USA viele Zinserhöhungen erlebt, aber Nachfrage und Wachstum sind stark“, zitiert die Financial Times Ario Emami Nejad, Portfoliomanager bei Fidelity International, einem global agierenden privaten Finanzdienstleistungsinstitut aus London. Die europäische Wachstumsdynamik ist für die Fidelity International zu schwach, die Europäische Zentralbank (EZB) hat nach der Einschätzung des Managers mit der Erhöhung der Zinsen „einen politischen Fehler gemacht“, den sie erst spät erkennen werde. Dann werde sie gezwungen sein, die Zinsen zu senken.
Laut der IWF-Prognose wird die Wirtschaft der USA dieses Jahr um 1,8 Prozent wachsen, während Deutschland ein Minus von 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwartet. Im zweiten Quartal ist die amerikanische Wirtschaft nach offiziellen Angaben bereits um 2,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gewachsen, was die Prognosen der Ökonomen übertrifft. Auch die Inflation in den USA scheint mit prognostizierten 4,52 Prozent zur Jahreswende schneller zu sinken als in Deutschland. Hierzulande wird zum Jahresende eine Inflationsrate von 5,8 Prozent erwartet.
Die USA hoffen auf das schnelle Ende der Rezession – „in Europa gibt es noch Zweifel“
Auch die Aktien spiegeln die Krisenstimmung wider. Im ersten Halbjahr haben die europäischen Aktienmärkte zwar einen Überraschungserfolg erlebt, als der Aktienindex der 600 größten europäischen Unternehmen, der Stoxx Europe 600, angesichts des milden Winters und der sinkenden Gaspreise um 8,5 Prozent nach oben getrieben wurde. Doch zum Ende des zweiten Quartals hat sich bei den Anlegern die Enttäuschung durchgesetzt: Unternehmen im Stoxx 600 sind auf dem besten Weg, den größten Rückgang ihrer Quartalsgewinne seit Beginn der Corona-Pandemie zu verzeichnen: Sie haben im zweiten Quartal einen Rückgang des Gewinns je Aktie um 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr gemeldet. Die amerikanischen Konkurrenten im Aktienindex S&P 500 haben im Vergleich doppelt so wenig verloren. Die amerikanische Wirtschaft profitiert vor allem von der Ausbreitung der Künstlichen Intelligenz, einem Bereich, der von amerikanischen Unternehmen dominiert wird.
„Wenn man sich die Aktienbewertungen ansieht, sind sie in den USA seit geraumer Zeit viel höher als in Europa und dem Rest der Welt“, zitiert die Financial Times Tim Murray, einen Multi-Asset-Kapitalmarktstrategen beim amerikanischen Finanzdienstleistungsunternehmen T Rowe Price. „Es gab eine kleine Verengung, und jetzt ist es wieder breiter geworden. In den USA wird davon ausgegangen, dass wir eine sanfte Landung schaffen und die Rezession vermeiden“, sagt Murray, „während es in Europa immer noch viele Zweifel daran gibt.“
Krise in Deutschland: Mehr Ausländer wollen deutsche Staatsanleihen
Kevin Thozet, Mitglied des Investmentausschusses bei der französischen Anlageverwaltungsgesellschaft Carmignac, berichtet seinerseits, die Dynamik habe ihn dazu veranlasst, einige amerikanische Staatsanleihen zugunsten deutscher Staatsanleihen abzustoßen, weil diese ihm im Falle einer ausgewachsenen europäischen Rezession mehr Rendite verschaffen werden. „Wenn wir die beiden Wirtschaftsblöcke betrachten, ist Deutschland die Region, in der wir die stärkste Wirtschaftsschwäche sehen“, so Thozet.
Die Zahlen von BNY Mellon, der Depotbank für etwa ein Fünftel der weltweiten Finanzanlagen, zeigen parallel, dass nichtamerikanische Anleger seit Jahresbeginn amerikanische Staatsanleihen im Wert von etwa 50 Milliarden US-Dollar netto verkauft, während die deutschen Bundesanleihen Nettozuflüsse im Wert von fast vier Milliarden US-Dollar verzeichnet haben. Zunehmend mehr Anleger außerhalb der Eurozone zeigen dabei Interesse an den deutschen Staatsanleihen wegen der höheren Renditen. „Wir stehen Staatsanleihen positiver gegenüber als je zuvor“, sagte seinerseits Eren Osman, Geschäftsführer der britischen Privatbank Arbuthnot Latham. „Wenn Sie glauben, dass es eine Rezession geben wird, sind Staatsanleihen die Anlageklasse, in der Sie sein möchten.“






