Zinswende

Krise für die Masse, Gewinne für Dax-Konzerne: Wie unfair ist die Zinswende?

Kleine Unternehmen und Haushalte leiden unter den steigenden Zinsen. Doch große Unternehmen profitieren und legen Milliarden zurück. Ist das gerecht?

Pajović/BLZ

Die Zinswende hat zu schweren wirtschaftlichen Verwerfungen geführt. Einfache Haushalte können ihre Schulden nicht bedienen, der Immobilienmarkt droht zusammenzubrechen und Banken gehen pleite. Doch es gibt auch Gewinner. 

Denn die Dax-Unternehmen haben durch die steigenden Zinsen hohe Gewinne auf ihre Rücklagen erzielt. Wie das Handelsblatt berichtet, haben die 40 im Leitindex an der Frankfurter Börse gelisteten Konzerne 259 Milliarden Euro an Bargeld und kurzfristigen Bankeinlagen angehäuft. Damit sind die Reserven fast doppelt so hoch, wie vor zehn Jahren. Viele Unternehmen profitieren deshalb aktuell von den rasant steigenden Zinsen – sogar stärker, als sie durch höhere Finanzierungskosten belastet werden.

Dax-Unternehmen erzielen Zinsgewinne in Milliardenhöhe

Spitzenreiter ist Siemens. Das Unternehmen konnte im ersten Halbjahr des Geschäftsjahrs 1,2 Milliarden Euro an Zinseinnahmen erzielen, berichtet die Wirtschaftszeitung – eine Steigerung von 380 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. 

Es ist also kein Wunder, dass die Großkonzerne Bargeld horten. Allen voran die Top drei der Autoindustrie: VW sitzt auf einem Geldberg von 60,9 Milliarden Euro, Mercedes-Benz hält Cash und kurzfristige Einlagen in Höhe von 29,5 Milliarden und BMW 22,4 Milliarden Euro. Auch Siemens (18,9) und die Deutsche Telekom (16,4) bilden Milliarden-Rücklagen.

Des einen Freud, des anderen Leid: Während die Gewinne in der Finanzwelt steigen – der Dax steht bei mehr als 16.000 Punkten und hat binnen eines Jahres um fast 20 Prozent zugelegt –, wird das Geschäftsumfeld der Industrie deutlich schlechter. Die Aufträge im Maschinenbau sind im selben Zeitraum um 15 Prozent eingebrochen. Für den Chefvolkswirt des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Ralph Wiechers, ist die restriktive Geldpolitik ein wesentlicher Grund dafür. Denn wegen der Zinswende würden Kredite verteuert und dementsprechend weniger nachgefragt.

Dispozinsen ziehen an – Überschuldung der Haushalte steigt

Die steigenden Zinsen treiben kleine Unternehmen in die Enge. Wie die Wirtschaftsauskunftei Creditreform berichtet, haben Lieferanten und Kreditgeber einen Anstieg des Zahlungsverzugs bei ihren Kunden verzeichnet. Im ersten Halbjahr 2023 lag die Verzugsdauer überfälliger Rechnungen bei durchschnittlich 10,77 Tagen, im Vergleich zu 10,51 Tagen im Jahr zuvor.

„Die vergangenen Monate waren für viele Unternehmen eine Belastungsprobe. Das spüren auch Kreditgeber, Kunden und Geschäftspartner durch vermehrte Forderungsausfälle“, teilt Creditreform mit. „Die Rezession und die Zinswende nehmen die Unternehmen gleich von mehreren Seiten in die Zange. Die Geschäfte laufen schlechter, gleichzeitig erhöhen sich aber die Kosten.“ 80,8 Prozent aller säumigen Schuldner waren im ersten Halbjahr 2023 Kleinunternehmen mit höchstens 50 Mitarbeitern.

Und die Zinswende kommt auch ganz unten, bei den einfachen Privathaushalten an.  Laut einer Analyse der Stiftung Warentest haben Banken mittlerweile die Dispozinsen erhöht. Die Zinsen für Kontoüberziehungen sind von durchschnittlich 9,43 Prozent vor einem Jahr auf 11,22 Prozent gestiegen. Die Verbraucherzentrale warnt, dass bereits jeder Siebte hierzulande in den letzten drei Monaten sein Konto überziehen musste.

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