Wirtschaftskrise

„Schwerer Abschwung“: Wirtschaftskrise in Deutschland nimmt Fahrt auf

Die Krise in Deutschland spitzt sich zu: Schlechte Zahlen kommen von Maschinenbau und Arbeitsmarkt. Ökonom Heiner Flassbeck warnt vor großem wirtschaftlichen Schaden.

Droht Deutschland die Deindustrialisierung? Werk von Thyssenkrupp in Duisburg.
Droht Deutschland die Deindustrialisierung? Werk von Thyssenkrupp in Duisburg.Rolf Vennenbernd/dpa

Die Prophezeiung des IWF scheint sich zu bewahrheiten: Der Internationale Währungsfonds prognostiziert Deutschland als einzigem Mitglied der G7 einen konjunkturellen Abstieg bis zum Jahresende. Am Dienstag wurde der Trend offiziell bestätigt. 

Besonders der Auftragseinbruch in einer der Kernbranchen sollte der Bundesregierung weitere Kopfschmerzen bereiten. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Bestellungen bei den deutschen Maschinenbauunternehmen um 15 Prozent eingebrochen. Die Luft werde langsam dünn, sagte der Chefvolkswirt des Verbandes deutscher Maschinenbauer (VDMA), Ralph Wiechers. „Eine Trendwende ist bisher nicht in Sicht.“ Die Branche bekomme die zögerliche Investitionsneigung in praktisch allen Absatzregionen nun voll zu spüren. Als Hauptgrund für den Abschwung nannte Wiechers die gestiegenen Leitzinsen. Denn hierdurch würden Kredite verteuert und dementsprechend weniger nachgefragt. 

Ökonom Heiner Flassbeck: „Sanfte Landung wird es nicht geben“

„Die Zentralbanken müssen die Zinsen senken – das ist das Mindeste“, sagt der Ökonom Heiner Flassbeck der Berliner Zeitung. Die konjunkturelle Lage sei ähnlich wie in den 1970ern zu Zeiten der Ölkrise. „Wir haben einen globalen Nachfragerückgang.“ Länder wie Saudi-Arabien hätten von der hohen Öl- und Gasnachfrage profitiert. Nun sei es wichtig, dass Investitionen und Konsum in den anderen Teilen der Welt angekurbelt würden. Wenn die Bundesregierung und die EZB Kurs hielten, drohe ein schwerer ökonomischer Schaden: „Die Kombination aus Nachfrageschock und hohen Zinsen führt in Deutschland wahrscheinlich zu einem schweren Abschwung“, erklärt Flassbeck, der früher Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und Chefvolkswirt der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) war. „Eine sanfte Landung, wie es die EZB vorsieht, wird es dann nicht geben.“

Auch der Jahreswirtschaftsbericht aus dem von Robert Habeck geführten Wirtschaftsministerium spreche Bände, denn dort werde von einem Szenario ausgegangen, in dem die Investitionen weiter steigen. „Davon kann nicht die Rede sein“, sagt Flassbeck. Das verdeutlichten der drastische Einbruch beim Maschinenbau und im Bausektor.

In der Bundesregierung haben sich SPD und Grüne für mehr Investitionen ausgesprochen. „Der Umbau unserer Wirtschaft hin zur Klimaneutralität, der digitale Wandel, aber auch die Bewältigung des Fach- und Arbeitskräftemangels machen es notwendig, dass in die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland investiert wird“, sagte die Vorsitzende der SPD, Saskia Esken, der Süddeutschen Zeitung. Notwendig sei etwa „ein Comeback der aktiven Infrastrukturpolitik“. Ähnlich hatte sich zuvor Grünen-Chefin Ricarda Lang geäußert. Sie forderte in der ARD eine „neue Investitionsagenda für Deutschland“. Dazu gehörten ein Industriestrompreis sowie Investitionen in die öffentliche Infrastruktur. Im Bundeskabinett ist die Forderung nicht aufgenommen worden. Regierungswille ist es, die Schuldenbremse einzuhalten.

Gewerkschaftsvorsitzende warnt vor „Lohndumping“ in Deutschland

Der Abschwung der deutschen Wirtschaft macht sich auch auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. Zwar teilte die Bundesagentur für Arbeit (BA) am Dienstag mit, der Arbeitsmarkt sei im Juli trotz der schlechten wirtschaftlichen Aussichten weitgehend stabil geblieben und die Arbeitslosenquote lediglich um 0,2 Prozentpunkte auf 5,7 Prozent gestiegen. Doch die Vorsitzende der BA, Andrea Nahles, warnte: „Die Beschäftigung nimmt zu, das Wachstum verliert aber zusehends an Schwung. Die Arbeitskräftenachfrage der Betriebe ist weiterhin zurückhaltend.“ Die Zahl der Arbeitsuchenden hat sich im Vergleich zum Vormonat um 62.000 auf 2,6 Millionen erhöht. Verglichen mit Juli 2022 stieg die Zahl der Arbeitslosen um 147.000.

Der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Arbeitgeber (BDA), Rainer Dulger, mahnte am Dienstag als Grund für die wirtschaftliche Flaute zu hohe Steuern und Lohnzusatzkosten an.

Die Vorsitzende des DGB Berlin-Brandenburg, Katja Karger, widerspricht. Wichtig sei nun, dass die Regierung nicht spare und auf die für den Umbau der Wirtschaft nötigen Investitionen verzichte. Dabei sei man sich mit den Arbeitgebern einig – das sei aber auch der einzige Punkt, sagte Karger im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Forderungen, Sozialabgaben zu senken, seien hingegen „albern“. Dies würde als Brandbeschleuniger in der Rezession wirken. Stattdessen müsse der Konsum auf dem Binnenmarkt gestärkt werden. Nur so könne der Einbruch der Exportwirtschaft aufgefangen werden. Wenn die Beschäftigten den Gürtel enger schnallen müssen, werde die Abwärtsspirale verstärkt. „Als Land des Lohndumpings ist Deutschland nicht zukunftsfähig.“

Karger hält den Abgesang auf die Industrie für falsch. „Ich wäre sehr vorsichtig, eine solche Hysterie zu erzeugen“, sagte sie. „Im Gegenteil, wir haben einen ausgewachsenen Fachkräftemangel.“ Die wirtschaftliche Situation sei auch nicht neu. Die Transformation der Wirtschaft, die Dekarbonisierung der Industrie, die Digitalisierung und die Alterung der Gesellschaft seien schon lange Herausforderungen, die angegangen werden müssten. Der Ukraine-Krieg habe die Notwendigkeit des Umbruchs beschleunigt.


Empfehlungen aus dem BLZ-Ticketshop: