Streit um den Strompreis

Nord gegen Süd: Darum droht großer Streit um den Strompreis

Strom ist in Deutschland dort am teuersten, wo am meisten davon produziert wird. Das muss sich ändern, meint unser Kolumnist.

Windräder eines Windparks bei Wörrstadt in Rheinland Pfalz. Deutschland muss mehr Strom aus Wind und Sonne gewinnen.
Windräder eines Windparks bei Wörrstadt in Rheinland Pfalz. Deutschland muss mehr Strom aus Wind und Sonne gewinnen.Daniel Kubirski / imago

In der deutschen Politik droht großer Streit. Und ausnahmsweise mal nicht zwischen Finanzminister Christian Lindner und einem anderen Ampel-Minister.

Erst waren es ja Robert Habeck und Karl Lauterbach, die mit Lindner um Geld stritten, jetzt ist es Familienministerin Lisa Paus, die Milliarden für die Kindergrundsicherung braucht. Der große Streit droht zwischen den Bundesländern, genauer: zwischen denen im Norden und denen im Süden. Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern gegen Bayern und Baden-Württemberg.

Strom im Norden ist zu teuer

Streitpunkt: der Strompreis. Im Norden ist Strom nämlich teurer als im Süden, obwohl im Norden viel mehr günstiger Strom aus Erneuerbaren produziert wird. Das liegt an den Netzentgelten. Die sind laut „Verivox“ in Schleswig-Holstein rund 60 Prozent teurer als in Bayern. Für einen Haushalt macht das bei einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 4000 Kilowattstunden rund 186 Euro Unterschied im Jahr. Für Betriebe, die deutlich mehr Strom verbrauchen, entsprechend mehr.

Der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen klagte deshalb neulich bei Markus Lanz über „Wettbewerbsnachteile“ in der heimischen Chemiebranche. Besonders, weil dort „die Unterschiede zwischen den verschiedenen Produkten im Cent-Bereich liegen“. In der Konsequenz drohen Firmen mit der Abwanderung dorthin, wo Strom günstiger ist.

Warum die Netzentgelte unterschiedlich teuer sind

Es ist längst zur Binsenweisheit geworden: Deutschland muss mehr Strom aus Wind und Sonne gewinnen. Ohne Windräder und Solarpaneele wird es nichts mit Klimaschutz. Allerdings muss der Strom auch transportiert werden, es braucht also auch mehr Netze. Und weil Wind und Sonne mal besonders viel, mal besonders wenig Strom produzieren, müssen die Netze besonders leistungsfähig sein. Heißt: Netze auszubauen ist teuer.

Nun ist es so, dass im Norden Deutschlands mehr Strom aus Wind produziert werden kann als im Süden, besonders in den Küstenregionen. Schleswig-Holstein hat 2022 rechnerisch 85 Prozent mehr Strom aus Wind und Sonne produziert, als es verbraucht hat. Zu zwei Drittel aller Stunden konnte sich Schleswig-Holstein selbst versorgen. Und ganze neun Millionen Megawattstunden an grünem Strom wurden in andere Länder und Bundesländer exportiert, auch in den Süden nach Bayern. Dort kommt der Ausbau von Erneuerbaren hingegen kaum voran. Schleswig-Holstein ist so etwas wie der Klassenstreber mit Spitzenleistungen, Bayern der störende Klassenclown mit miesen Leistungen.

Damit die Klassenstreber aus Schleswig-Holstein den Strom aber auch nutzen können, investieren sie viel Geld in den Ausbau der Verteilnetze. Der Haken: Die Netzbetreiber finanzieren den Ausbau über die Netzentgelte. Deshalb sind die Entgelte dort besonders hoch, wo viel grüner Strom durch viele neue Netze geleitet werden soll. Die Streber werden für ihre Spitzenleistungen also bestraft. „Die Windkraftenergie ist so preiswert, aber wird so teuer bei uns bezahlt. Das kann ich weder den Menschen, die dort leben, erklären und auch nicht der Wirtschaft“, so Wirtschaftsminister Madsen bei Lanz.

Zwei Lösungsvorschläge: Strompreiszonen oder Umlagen?

Die Minister des Nordens werden immer ungeduldiger – verständlicherweise. Sie versprechen sich vom Ausbau der Erneuerbaren nicht nur sauberen und günstigen Strom, sondern auch die Ansiedlung neuer Industrie. Deshalb plädieren Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern für eine Aufteilung Deutschlands in zwei Preiszonen beim Strom, eine für den Norden und eine für den Süden. Auch die EU-Agentur Acer, eine Behörde mit Sitz in Slowenien, die Europas Energiemärkte reguliert, hat das vorgeschlagen. In anderen EU-Ländern ist das üblich, Dänemark hat zwei Zonen, Italien gar sieben.

Bisher kostet Strom, der an der Börse gehandelt wird, in Deutschland überall gleich viel – Netzentgelte außen vor. Nach der Reform würde Strom in Norddeutschland dank der vielen Windenergie günstiger als in Süddeutschland. Der Norden würde für den Ausbau belohnt, der Süden hätte einen Anreiz, endlich auch den bisher lahmen Ausbau der Wind- und Solarenergie zu beschleunigen. Firmen, die sich neu ansiedeln, hätten einen Preisvorteil im günstigen Norden. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder war wenig begeistert von dem Vorschlag. „Das wäre ein echter Anschlag auf die Südwirtschaft“, zitierte der Münchner Merkur Söder. 

Eine andere Lösung wären bundeseinheitliche Netzentgelte. Um im Norden den Ausbau zu finanzieren, würden die höheren Kosten dann auf die anderen Länder umgelegt. Auch dann müsste Bayern mehr bezahlen, hätte einen Anreiz, mehr zu investieren, aber immerhin keinen höheren Strompreis als andere Länder – in Söders Worten: Das wäre kein Anschlag auf die Südwirtschaft. Deshalb ist diese Reform auch realistischer.

Zeitdruck haben die Nordländer, Verhandlungsmacht die Südländer. Solange Söder im Bayern-Wahlkampf ist, wird er sich auf nichts einlassen. Danach wäre eine Lösung überfällig. Denn der Status quo verhindert einen schnellen flächendeckenden Ausbau und gefährdet die Klimaziele.