Der neue Wehrdienst soll Deutschland sicherer machen – doch er könnte sehr teuer werden. Ab 2026 sollen alle 18-Jährigen einen Fragebogen erhalten, ab 2027 werden junge Männer verpflichtend gemustert. Offiziell setzt die Bundesregierung auf Freiwilligkeit, doch wenn sich zu wenige melden, droht eine Bedarfswehrpflicht – notfalls per Losentscheid. Die entscheidende Frage lautet: Was kostet das – und wer zahlt den Preis?
„Ein Wehrdienst verschleiert die wahren Kosten“, sagt Marcel Thum, Leiter der ifo-Niederlassung Dresden, der Berliner Zeitung. „Einer Person, die nicht freiwillig geht, entgehen andere Einkommensmöglichkeiten – das sieht man in keiner Statistik.“ Er kritisiert, dass der Staat in seinen Berechnungen nur den Sold berücksichtigt, während die eigentlichen Belastungen bei den jungen Jahrgängen entstehen.
Studie zeigt: Wehrdienst könnte bis zu 70 Milliarden Euro kosten
Wie groß die wirtschaftlichen Auswirkungen sein können, zeigt eine Studie des ifo Instituts vom Juli 2025. Sie berechnet, dass bereits bei einer verpflichtenden Dienstleistung von 25 Prozent eines Jahrgangs der gesamtwirtschaftliche Konsum um rund 20 Milliarden Euro pro Jahr sinken könnte. Sollte ein kompletter Jahrgang betroffen sein, könnten die langfristigen Kosten sogar auf bis zu 70 Milliarden Euro steigen.
Laut der Studie erzielen Betroffene im Durchschnitt rund fünf Prozent weniger lebenslanges Einkommen, verfügen über elf Prozent weniger Vermögen und erreichen ein um sechs Prozent reduziertes Vermögen im Alter. „Der Staat spart, weil er niedriger entlohnt als der Arbeitsmarkt – doch genau das verursacht den volkswirtschaftlichen Schaden“, heißt es in der Analyse. Die Kostenfrage ist damit nicht nur eine fiskalische, sondern eine gesellschaftliche: Sie entscheidet darüber, wer den Preis für mehr Sicherheit zahlt – der Staat oder die Jugend.

Ökonomen warnen deshalb davor, die Belastungen auf die Staatsausgaben zu reduzieren. Marcel Thum ergänzt: „Der Staat weist nur den Sold als Ausgaben aus – dabei könnten die wirtschaftlichen Einbußen für die jungen Jahrgänge deutlich höher sein.“ Der Staat könne den Sold erhöhen, so Thum, „statt darüber zu klagen, dass nicht genug Soldaten zusammenkommen“.
Besonders kritisch findet Thum die Form der Belastung: „Das ist, als würde man den Steuersatz auslosen und ein Teil der Haushalte bekäme zufällig einen hohen Steuersatz zugelost. Nur weil hier mit dem Dienst an der Allgemeinheit sozialer Druck aufgebaut wird, kommt weniger Widerspruch.“ Die eigentlichen wirtschaftlichen Folgen würden damit weitgehend privatisiert.
So könnten sich die Kosten auf West- und Ostdeutschland verteilen
Eine weniger alarmistische Bewertung kommt von Thums Kollegen Joachim Ragnitz, stellvertretender Leiter des ifo Dresden. Er hält die hohen Szenariozahlen aus der Studie – bis zu 70 Milliarden Euro – für kaum realistisch. Diese Summe betreffe nur den Fall, dass ein kompletter Jahrgang eingezogen werde.
„Bei einem realistischeren Szenario, also bei etwa fünf Prozent eines Jahrgangs, liegen die gesamtwirtschaftlichen Kosten bei rund drei Milliarden Euro“, so Ragnitz. Die Belastung könne sich auf West- und Ostdeutschland im Verhältnis 80:20 verteilen. Bei marktgerechter Bezahlung, wie sie im neuen Wehrdienst vorgesehen ist, würden die ökonomischen Schäden laut ifo sogar auf zwei Milliarden Euro sinken. „Ehrlich gesagt empfinde ich das nicht als besonders dramatisch“, sagt Ragnitz. Verteidigung koste nun mal etwas.
Kosten für Wehrdienst: „Die jungen Jahrgänge tragen die Last“
Doch selbst bei geringeren Kosten bleibt die Frage, wer sie am Ende trägt. „Die betroffenen jungen Jahrgänge“, sagt Panu Poutvaara, Leiter des ifo-Zentrums für Migration und Entwicklungsökonomik und Mitautor der Studie. Die wirtschaftlichen Einbußen entstünden, weil der Einstieg in Ausbildung und Beruf verzögert werde – samt Folgen für Vermögensaufbau und Altersvorsorge.

Gleichzeitig betont Poutvaara die geopolitische Dimension: „Angesichts der zunehmenden Bedrohung durch Russland halte ich es für wichtig, mehr in die militärische Sicherheit zu investieren, auch wenn dies auf Kosten geringerer Ausgaben in anderen wichtigen Bereichen geht.“ Als Alternative hält er es für sinnvoll, die Wehrdienstleistenden besser zu entschädigen: „Dies würde zwar den Staatshaushalt stärker belasten, die gesamtwirtschaftlichen Kosten fielen aber deutlich geringer aus als bei einer Wehrpflicht.“
Wehrdienst: DIHK warnt vor verstärktem Fachkräftemangel
Aus der Wirtschaft kommen vor allem arbeitsmarktbezogene Bedenken. „Ein Teil der Unternehmen hat die Sorge, dass sich der Wettbewerb um dringend benötigte Fachkräfte weiter intensivieren wird“, sagt Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Viele Betriebe könnten sich zusätzliche Engpässe kaum leisten.
Zugleich sieht Dercks Chancen: Ein moderner Dienst könne jungen Menschen berufliche Orientierung bieten, etwa durch praxisnahe Bildungsangebote oder Führerscheine. „Eine angepasste Ausgestaltung des Wehrdienstes kann auch eine Chance für alle Beteiligten sein, die langfristig einen positiven Beitrag zur Fachkräftesituation der Wirtschaft leistet.“ Voraussetzung sei jedoch eine strategische Planung, die Verteidigung, berufliche Bildung und Arbeitswelt „ganzheitlich denkt“.
Arbeitsmarktexperte: „Arbeit wird von Menschen gemacht, die woanders besser eingesetzt wären“
Enzo Weber, Forschungsbereichsleiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), sieht die Debatte um einen Pflichtdienst grundsätzlich kritisch: „Sollen wir wirklich den sozialen Bereich mit zwangsverpflichteten billigen Arbeitskräften fluten?“

Weber hält eine Pflichtzeit für alle zwar „langfristig am gerechtesten“, kritisiert jedoch die wirtschaftliche Logik dahinter: „Ein Pflichtdienst bewirkt, dass Arbeiten von Menschen gemacht werden, die woanders eigentlich viel besser eingesetzt wären.“ In Zeiten von Fachkräftemangel sei das „volkswirtschaftlich wenig sinnvoll“. Stattdessen müsse soziale Arbeit aus seiner Sicht aufgewertet werden – „mit guten Arbeitsbedingungen, Entwicklungsmöglichkeiten und Löhnen“.
Weber verweist zudem auf Berechnungen zu den Verteidigungsausgaben: Bei einer kreditfinanzierten Erhöhung des Militärbudgets um einen Prozentpunkt des Bruttoinlandsprodukts – das würde 90.000 zusätzliche Soldaten ermöglichen – läge der Verschuldungsgrad des Staates im Jahr 2030 etwa 1,4 Prozentpunkte höher. Die Wirkung sei also spürbar, „aber nur dann positiv, wenn wir damit echte Personal- und Kompetenzentwicklung betreiben“.
Wer den Dienst leistet, zahlt den Preis
Der neue Wehrdienst ist damit weniger eine Frage danach, ob er Geld kostet, sondern wer ihn bezahlt. Die direkten Ausgaben des Staates wirken beherrschbar – doch ökonomisch entscheidend sind die verschobenen Lebensläufe: verzögerter Berufseinstieg, geringere Vermögensbildung, steigende Belastung für einen Jahrgang, der ohnehin vor massiven demografischen und wirtschaftlichen Herausforderungen steht. Sicherheit hat ihren Preis, das zeigt die Debatte klar – und dieser Preis wird vor allem von denjenigen getragen, die nun dienen sollen.






