Koalitionsvertrag

DIW-Ökonom zerreißt Koalitionsvertrag: Ein strategieloses Papier für die Wirtschaft

Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD widmet sich auch der Berliner Wirtschaft. Der Wirtschaftsexperte Martin Gornig sieht jedoch nichts Gutes kommen.

„Das Beste für Berlin“ wollen Franziska Giffey (l.) und Kai Wegner (r.) mit ihrer Koalition erreichen.
„Das Beste für Berlin“ wollen Franziska Giffey (l.) und Kai Wegner (r.) mit ihrer Koalition erreichen.AFP

„Das Beste für Berlin“ wollen CDU und SPD erreichen. Auf 135 Seiten präsentiert die Koalition aus Schwarz und Rot ihre Ideen und Vorschläge für eine „Stadt, die zusammenführen soll“. 

Vorhaben für die Wirtschaft in Berlin wurden auf gut sechs Seiten zusammengefasst. Eingebettet zwischen den Themen Inklusion und Energie. Doch in welche Richtung wollen Kai Wegner und Franziska Giffey Berlin in ökonomischer Hinsicht steuern? Und was lässt sich zwischen den Zeilen des Koalitionsvertrages herauslesen?

Es sind viele kleine Absätze, die den Wirtschaftsbereich des neuen Vertragswerks zwischen Berliner Christ- und Sozialdemokraten prägen. Um genau zu sein, sind es 59 einzelne Paragrafen, die durchaus exotisch und – typisch für einen Koalitionsvertrag – hochbürokratisch klingen. Von der Änderung des Berliner Gesetzes zur Gründung von Immobilien- und Standortgesellschaften über eine Vielzahl von neuen Programmen und Initiativen bis hin zum „Masterplan Industriestadt Berlin“.

Koalitionsvertrag von CDU und SPD „kein nachhaltiges Konzept“

„Auf den ersten Blick ist der Koalitionsvertrag eine Ansammlung lauter Einzelpunkte“, sagt Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Der Experte für Unternehmen, Märkte und Regionalwirtschaft erkennt aus wirtschaftlicher Perspektive kein nachhaltiges Konzept im Koalitionsvertrag. „Eine große, neue Strategie kann ich dem Papier nicht entnehmen“, sagt er, „der neue Senat möchte vieles weitermachen, viel evaluieren.“

So betrachtet Gornig die Auseinandersetzung im Koalitionsvertrag mit der Berliner Start-up-Szene als zurückhaltend. Zwar steht dort, Berlin sei „Europas Start-up- und Gründungshauptstadt“ sowie ein „Zentrum von Innovation und Nachhaltigkeit“. Doch unter Experten laufen andere europäische Städte Berlin zunehmend den Rang ab: London, Tallinn, Barcelona oder Lissabon beispielsweise. Trotzdem kann sich Berlin weiterhin als eine der führenden Start-up- und Gründungsmetropolen rühmen, was auch die Zahlen belegen.

Deutschlandweit haben fast 20 Prozent aller Start-ups ihren Hauptsitz in Berlin, gefolgt von München und Hamburg. Jedoch fehlt Gornig im Koalitionsvertrag die nachhaltige Entwicklung der Berliner Start-up-Szene. „Unternehmen sollen sich nicht nur in Berlin gründen, sondern auch etablieren und wachsen“, sagt er. Zentrale Perspektiven, wie man all die Unternehmen auch in Zukunft in Berlin hält, fehlen ihm im Papier von CDU und SPD.

Ein „digitaler Zwilling“: Ist das eine Lösung in Berlin?

Zudem fragt sich der Unternehmensexperte, wo in der Stadt all die neuen Unternehmen im verarbeitenden Bereich, im hochtechnologischen Sektor, in der Ernährung oder im Gewerbe unterkommen sollen. Stichwort: Fläche. Schließlich ist nicht nur der Berliner Wohnungsmarkt angespannt wie nie zuvor, auch Büro- und Gewerbeimmobilien sind rares Gut in der Hauptstadt.

„Ein richtig guter Vorschlag ist die Idee eines digitalen Zwillings in Berlin“, sagt Gornig. Für ihn wäre der digitale Zwilling ein Lösungsansatz, um einen Überblick über die Flächen und Verfügbarkeiten in Berlin zu haben. Doch was genau ist ein digitaler Zwilling und wie soll er den Platzmangel in Berlin beseitigen?

Unter einem digitalen Zwilling versteht man die virtuelle Abbildung eines Objekts, die den gesamten Lebenszyklus umfasst. Also eine Art Echtzeitkopie, mit der Unternehmen Verbesserungen in Entwicklung und Produktion anstoßen. So will auch die große Koalition einen digitalen Zwilling erarbeiten, um verfügbare Flächen in Berlin für den Wohnungsbau und die Industrie zu erörtern.

„Schade nur, dass der Vorschlag völlig isoliert hinten rumhängt“, kritisiert Gornig die Platzierung der Idee. Außer wenigen Zeilen im letzten Absatz des Wirtschaftsteils findet sich zu genaueren Plänen für den digitalen Zwilling nichts. „Obwohl all die Aspekte – Start-up-Szene, industrielle Entwicklung und urbanes Gebiet – zusammenhängen, bekommt die lobenswerte Idee eines digitalen Zwillings den unpopulärsten Platz im Koalitionsvertrag“, so Gornig, „lesen tut das dann auch niemand mehr.“