Die Schlussrunde vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei sind eingeläutet. Präsident Recep Tayyip Erdogan gegen seinen Herausforderer Kemal Kilicdaroglu. Insbesondere die anhaltende türkische Wirtschaftskrise könnte eine Schlüsselrolle für Sonntag einnehmen.
Zum ersten Mal seit fast zehn Jahren könnte die Türkei am Sonntag einen neuen Präsidenten bekommen. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu geht sogar als Favorit in das Duell mit Erdogan, der seit 2014 der erste Mann im türkischen Staat ist. Laut mehreren Umfrageinstituten liegt Kilicdaroglu bei 46 Prozent Zustimmung, Erdogan bei lediglich 44 Prozent. Beobachter rechnen mit einem engen Wahlausgang.
Neben den Folgen des verheerenden Erdbebens in der Türkei im Februar dieses Jahres und der Ausrichtung in Fragen der internationalen Politik ist auch die Wirtschaft des Landes einer der Hauptthemen im Wahlkampf. Weltweit ist die Türkei für ihre hohe Inflationsrate bekannt, sie liegt bei über 43 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland liegt sie bei sieben Prozent, in Russland bei knapp über drei Prozent und in den USA bei fast fünf Prozent.
Wahlkampfthemen: Von der Inflation bis zum Mindestlohn
Viele Türken können sich Lebensmittel oder einen Kurzurlaub kaum noch leisten. Die Preise für Milch-, Brot- und Fleischwaren steigen von Monat zu Monat, auch die Mieten sind in den Innenstadtbezirken von Istanbul, Izmir und Ankara kaum noch zu bezahlen. Der Mindestlohn liegt in der Türkei bei umgerechnet 440 Euro, der Durchschnittslohn unweit höher bei 635 Euro.
Auf Wahlkampfveranstaltungen versprach der langjährige Präsident die hohe Arbeitslosigkeit in der Türkei zu senken. Derzeit liegt sie bei über zehn Prozent, das Ziel Erdogans seien sieben Prozent. Wie auch bei vorherigen Wahlen verspricht der 69-Jährige eine Vielzahl von neuen Arbeitsplätzen. Auch in der Weltwirtschaft will Erdogan die Türkei stärker positionieren, er versprach eine Steigerung des Exports von 255 Milliarden auf 400 Milliarden US-Dollar.
Was will der Herausforderer von Erdogan?
Sein Herausforderer Kilicdaroglu, Chef der sozialdemokratischen CHP, tritt für ein breites Bündnis aus sechs Parteien an und will zum parlamentarischen System zurückkehren. Darüber hinaus will er sich von Erdogans Wirtschaftspolitik verabschieden. Eines seiner größten Wahlversprechen ist die Korruptionsbekämpfung. Der 74-Jährige schloss im Jahr 1971 sein Wirtschaftsstudium an der Akademie für Wirtschafts- und Handelswissenschaften in Ankara ab. Später arbeitete er als Buchhaltungsexperte und in der Sozialversicherung.
Beobachter befürchten, dass Erdogan – der mittlerweile so viel Macht wie nie zuvor hat – bei einem knappen Wahlausgang versuchen könnte, das Ergebnis anzufechten. Einige begründen die Sorge auch damit, dass seine Partei 2019 das Resultat der Istanbuler Bürgermeister-Wahl nach einem Sieg der Opposition annullieren ließ.

Erdogan wurde 2003 Ministerpräsident und ist seit 2014 Präsident der Türkei. Er kann seit der Einführung eines Präsidialsystems vor fünf Jahren weitgehend am Parlament vorbei regieren. Kritiker befürchten, dass das Land mit rund 85 Millionen Einwohnern vollends in die Autokratie abgleiten könnte, sollte Erdogan erneut gewinnen.






