Wahlen in der Türkei

Moscheen als „AKP-Filialen“? Wie Erdogan in Berlin um die Stimmen der Deutschtürken kämpft

Nach Informationen des Verfassungsschutzes traten türkische Politiker auch in Berlin bei Veranstaltungen auf, die nicht als Wahlkampftermine angemeldet waren.

Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht bei einer Wahlkampfveranstaltung in Ankara am 30. April.
Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht bei einer Wahlkampfveranstaltung in Ankara am 30. April.imago

Der Auftritt von Mustafa Acikgöz fand hinter verschlossenen Türen statt. Ohne ein Video auf Twitter hätten die Sicherheitsbehörden vielleicht nie von seiner Rede erfahren. In einer Moschee im nordrhein-westfälischen Neuss forderte der AKP-Politiker im Januar die „Vernichtung“ von Anhängern der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.

Der Verfassungsschutz des Bundeslandes war alarmiert: Er bewertete den Besuch des Abgeordneten von der türkischen Regierungspartei als Wahlkampf im Ausland.

Die Aussagen des AKP-Mannes waren also nicht nur inhaltlich heikel. In der Türkei finden am 14. Mai Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt, in Deutschland sind 1,5 Millionen Türken zur Stimmabgabe aufgerufen. Allein in Berlin leben rund 95.000 Wahlberechtigte. Doch beim Werben um ihre Stimmen gelten strikte Regeln: Ausländische Politiker müssen Wahlkampfauftritte in Deutschland zehn Tage im Voraus beantragen und genehmigen lassen.

Beides war im Falle des Besuchs von Acikgöz in Neuss nicht geschehen. Er trommelte ohne Kenntnis der deutschen Behörden für sich und die AKP, die Partei von Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Auch der Berliner Verfassungsschutz verfolgt den türkischen Wahlkampf. Der Behörde lägen Erkenntnisse zu Terminen aus diesem Jahr vor, die von Politikern in der Hauptstadt „wahrgenommen wurden, aber offiziell nicht als Wahlkampftermine deklariert waren“, heißt es auf Anfrage der Berliner Zeitung. So sei etwa ein Vertreter der islamistischen Partei der Glückseligkeit (SP) bei einer Gedenkveranstaltung des Saadet Europa Regionalverein Berlin e.V. aufgetreten. Ein AKP-Kandidat für Istanbul habe sich an einem Fastenbrechen beteiligt. „Sicherheitsrelevante Vorfälle“, so der Verfassungsschutz, habe er im Zusammenhang mit den Auftritten nicht beobachtet.

Auswärtiges Amt appelliert „deutlich“ an türkische Botschaft

Während die Menschen in der Türkei am 14. Mai wählen – eine Briefwahl gibt es nach türkischem Recht nicht –, haben Türken in Deutschland mehrere Tage Zeit für ihre Stimmabgabe. Seit vergangenem Donnerstag können sie auch in Berlin die Wahllokale aufsuchen, zum Beispiel beim Generalkonsulat in Charlottenburg. Die Wahlphase endet am 9. Mai.

Für türkische Amts- und Mandatsträger, also etwa Regierungsvertreter und Abgeordnete, gelten in Deutschland verschärfte Bestimmungen: In den letzten drei Monaten vor dem Wahltermin dürfen sie grundsätzlich keine Wahlkampftermine wahrnehmen. Die Regel, die nicht für EU-Mitgliedstaaten gilt, geht auf eine Entscheidung der Bundesregierung aus dem Jahr 2017 zurück. Hintergrund waren heftige Auseinandersetzungen, die es vor dem türkischen Verfassungsreferendum über Auftritte einzelner Politiker gegeben hatte.

Der Berliner Senatsverwaltung für Inneres liegen für die letzten Tage vor Ende der Wahlphase keine Informationen über öffentliche Wahlkampftermine türkischer Parteien oder Politiker vor. Das teilte eine Sprecherin auf Anfrage der Berliner Zeitung mit. Allerdings könne man nicht ausschließen, dass nicht öffentliche Termine bei Vereinen, Verbänden oder anderen Einrichtungen besucht würden, „die nicht als Wahlkampfaufritte deklariert, dann aber auch für Wahlkampfzwecke genutzt werden“.

Termine also wie in der nordrhein-westfälischen Moschee, die der AKP-Abgeordnete Acikgöz für seine Tirade gegen die PKK und die Gülen-Bewegung nutzte. Auch aus dem Außenministerium heißt es gegenüber der Berliner Zeitung, dass türkische Amts- und Mandatsträger Veranstaltungen besuchten und sich dort zum Wahlkampf äußerten. Unter anderem wegen des Vorfalls in Neuss habe man die türkische Botschaft „deutlich auf die bestehenden Regelungen zur Genehmigung von Wahlkampfauftritten ausländischer Amts- und Mandatsträger hingewiesen“.

Experte spricht von „AKP-Filialen“ in deutschen Moscheen

Eren Güvercin beobachtet den türkischen Wahlkampf in Deutschland seit Jahren. Er ist Publizist und Mitgründer der Alhambra-Gesellschaft, die für einen aufgeklärten Islam wirbt. Als Landesvorsitzender leitet er den FDP-nahen Verein Liberale Vielfalt in Berlin.

„Bis zum letzten Tag wird weiterhin ein intensiver Wahlkampf geführt, um so viele Wähler wie möglich zu mobilisieren“, sagt Güvercin. Die Parteien organisierten noch bis zum 9. Mai kostenlose Busfahrten für Deutschtürken zu  Wahlurnen. „Und natürlich wird auf dem Weg noch mal nett daran erinnert, für wen sie abstimmen sollten. Das Wählerpotenzial in Deutschland wollen alle Parteien so gut wie möglich ausschöpfen.“

Tatsächlich könnten die in Deutschland lebenden Türken in diesem Jahr den Ausschlag geben. Bei der Präsidentschaftswahl zeichnet sich ein knappes Rennen zwischen Amtsinhaber Erdogan und seinem Herausforderer Kemal Kilicdaroglu ab. Umso wichtiger sind die Stimmen aus dem Ausland. Im Jahr 2018 wählten 65 Prozent der Deutschtürken Erdogan und seine AKP. In der Türkei erreichte er lediglich 53 Prozent.

Wird Oppositionspolitiker Kemal Kilicdaroglu Erdogans Nachfolger?
Wird Oppositionspolitiker Kemal Kilicdaroglu Erdogans Nachfolger?imago

Laut Eren Güvercin „führt vor allem die AKP einen sehr intensiven Wahlkampf“ in Deutschland. Einerseits sei die Partei finanziell und personell sehr gut aufgestellt. „Und andererseits hat die AKP über die 900 Moscheegemeinden der DITIB, die personell, strukturell und finanziell abhängig ist vom türkischen Staat, Zugang zu den Moscheen.“

DITIB ist der größte islamische Verband in Deutschland. Er wird vom türkischen Präsidium für religiöse Angelegenheiten geleitet, das wiederum direkt dem Präsidenten unterstellt ist – also Recep Tayyip Erdogan. Eine Anfrage der Berliner Zeitung zum türkischen Wahlkampf in Deutschland ließ DITIB unbeantwortet.

Die AKP nutze diese Strukturen, aber auch die des zweitgrößten Moscheeverbands IGMG, sagt Güvercin. So erreiche die Partei sehr viele potenzielle Wähler in Deutschland. „Es ist erschreckend, wie Moscheen der DITIB etwa in diesem Wahlkampf zu AKP-Filialen mutieren, obwohl sich die DITIB in der Öffentlichkeit gerne als politisch unabhängige Religionsgemeinschaften präsentiert.“ Der Wahlkampf anderer Parteien sei nicht annähernd so intensiv.

Verfassungsschutz beobachtet „AKP-Lobbyverein“

Eine besondere Rolle beim türkischen Wahlkampf in Deutschland spielt die Union Internationaler Demokraten (UID). Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet die Organisation und führt sie in seinem Bericht von 2021 als AKP-Lobbyverein. Das Fastenbrechen, das ein AKP-Kandidat zuletzt in Berlin besuchte, wurde laut Berliner Verfassungsschutz von der UID organisiert. Mehrere Medien berichteten in den vergangenen Monaten von Veranstaltungen der Organisation, bei denen AKP-Politiker in Deutschland um Stimmen geworben hätten. 

Die UID bestreitet, ein Lobbyverein für die Partei von Präsident Erdogan zu sein. „Wir haben weder organisatorische noch juristische Verbindungen mit der Partei“, sagt ein Sprecher der Berliner Zeitung. „Auch führen wir keinen Wahlkampf für die AKP.“ So informiere die Organisation lediglich über den Ablauf der Wahlen in Deutschland, zum Beispiel über den Ort der Stimmabgabe.

Er mache kein Geheimnis daraus, so der UID-Sprecher, „dass die überwältigende Mehrheit unserer Mitglieder die AKP unterstützt“. Das gelte sowohl für einfache Mitglieder als auch für die Führungsriege der Organisation. Was die Fastenbrechen in Deutschland betrifft, bei denen auch AKP-Abgeordnete zu Gast gewesen seien, habe man diese nicht wegen der Wahlen organisiert.

Nur ist das auch gar nicht der Grund, warum deutsche Sicherheitsbehörden die Aktivitäten der UID im Auge behalten. Es geht weniger darum, wofür die Veranstaltungen ursprünglich gedacht waren oder wie sie beworben werden. Entscheidend ist vielmehr, wer kommt und was vor Ort tatsächlich gesagt wird.

Experte Güvercin berichtet von AKP-Haustürwahlkampf

Nicht nur das Bundesamt für Verfassungsschutz, sondern auch Eren Güvercin hat ein anderes Bild der Union Internationaler Demokraten. Es sei die UID, die AKP-Wahlkampftouren organisiere und die Wahlkampfteams mit Personal ausstatte. „Die UID ist es auch, die die Bustransfers zu den Wahlurnen organisiert.“ Die Organisation sei hauptsächlich für den Wahlkampf der AKP gegründet worden. Ehemalige Führungskräfte säßen heute als Abgeordnete der Partei im türkischen Parlament.

In den vergangenen Monaten hat Güvercin ein besonderes Phänomen im Ringen um die Stimmen der Deutschtürken ausgemacht: den Haustürwahlkampf. In Städten wie Berlin, wo viele türkische Staatsangehörige leben, zögen Teams von Haus zu Haus, verteilten Flyer auf Wochenmärkten oder besuchten Moscheegemeinden.

Güvercin sagt, dass seit September 2022 mehr als 150 AKP-Abgeordnete, Minister und Bürgermeister in ganz Deutschland unterwegs gewesen seien, um Wahlkampf in Kulturvereinen, Moscheen oder bei Unternehmerverbänden zu führen. An die Regeln, also das Verbot während der drei Monate vor der Wahl, „haben sich die AKP-Politiker nicht wirklich gehalten“. Auch im April seien mehrere Abgeordnete auf Wahlkampfveranstaltungen aufgetreten.