Der 14. Mai könnte die politische Landschaft der Türkei grundlegend verändern. Dann wählt das Land nicht nur ein neues Parlament, sondern auch seinen nächsten Präsidenten.
Die Rede ist von einer Schicksalswahl: Nach zwanzig Jahren im Amt droht Recep Tayyip Erdogan von der islamisch-konservativen AKP der Machtverlust.
Doch nicht nur in der Türkei, sondern auch im Ausland sind Millionen Türken zur Stimmabgabe aufgerufen. Allein in Berlin sind es Zehntausende. Sie entscheiden mit darüber, ob Erdogan von seinem größten Konkurrenten Kemal Kilicdaroglu abgelöst wird. Die Berliner Zeitung beantwortet wichtige Fragen zur Wahlbeteiligung in Deutschland.
Wie läuft die Wahl in Berlin und anderen deutschen Städten ab?
Berliner Türken können ab diesem Donnerstag an den Wahlen in der Türkei teilnehmen. In ganz Deutschland sind es rund 1,5 Millionen. Zwar finden die Wahlen erst am 14. Mai statt. Im Ausland lebende Türken müssen ihre Stimmen aber schon vorher abgeben: vom 27. April bis zum 9. Mai.
In Berlin leben laut amtlicher Statistik 186.000 Türken und türkischstämmige Menschen. Davon haben rund 101.000 eine türkische Staatsangehörigkeit, wahlberechtigt sind davon mehr als 95.000 Erwachsene. Um ihre Stimme abzugeben, müssen Türken sich allerdings rechtzeitig in Wählerverzeichnisse eintragen lassen.
Wie viele das in Berlin taten, wurde noch nicht offiziell mitgeteilt. Bei der Wahl 2018 trug sich etwa die Hälfte der wahlberechtigten Berliner Türken in die Listen ein. Die Wahlurnen stehen in Deutschland in den türkischen Generalkonsulaten großer Städte, darunter auch in Berlin in der Heerstraße in Charlottenburg. Insgesamt sind in der Türkei 60,7 Millionen Menschen zur Abstimmung aufgerufen, zusätzlich können 3,4 Millionen Menschen im Ausland ihre Stimme abgeben.

Wird auch in Deutschland um Stimmen gekämpft?
Präsident Erdogan wird selbst keinen Wahlkampf in Deutschland führen. Anders war das noch im Jahr 2014, als 15.000 AKP-Anhänger in die Kölner Lanxess-Arena strömten. Offiziell war der Auftritt dem zehnjährigen Jubiläum des AKP-Lobbyvereins gewidmet. Tatsächlich aber wurde er als Versuch des Präsidenten gewertet, unter den Deutschtürken Stimmung für seine Wiederwahl zu machen.
Tatsächlich wäre es jetzt auch schon zu spät: Die Bundesregierung hat Wahlkampfauftritte ausländischer Regierungsvertreter drei Monate vor Wahlen oder Abstimmungen in ihren Ländern grundsätzlich verboten. Die Entscheidung fiel im Jahr 2017. So soll verhindert werden, dass innenpolitische Konflikte im Zusammenhang mit Wahlen oder Referenden nach Deutschland getragen werden. Hintergrund waren heftige Auseinandersetzungen, die es vor dem türkischen Verfassungsreferendum im April 2017 über Auftritte türkischer Politiker gegeben hatte.
Das bedeutet aber nicht, dass nicht auch in Deutschland um Stimmen gekämpft wird. Für Aufregung sorgte im Januar der Auftritt eines AKP-Politikers in Nordrhein-Westfalen. In einer Moschee in Neuss forderte er laut nordrhein-westfälischem Verfassungsschutz die „Vernichtung“ der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und der „Gülen-Bewegung“. Der Verfassungsschutz bewertete das als Versuch, im Ausland um Stimmen zu werben. Das deutsche Außenministerium teilte mit, es habe „unmissverständlich“ daran erinnert, dass ausländische Wahlkampfveranstaltungen genehmigt werden müssten.
Aus Berlin sind vergleichbare Fälle bislang nicht bekannt. Allerdings gehen Experten davon aus, dass meist ohnehin hinter verschlossenen Türen Wahlwerbung gemacht wird. Sei es in türkischen Vereinen oder Moscheen. Auch der Auftritt in Neuss wurde nur deshalb bekannt, weil der AKP-Politiker ein Video veröffentlichte. Im Februar hatte der AKP-Lobbyverein Zahlen veröffentlicht, wonach er zwischen Mitte 2021 und Ende 2022 allein mit dem Moscheeverband DITIB 670 „gemeinsame Veranstaltung“ organisierte.
In der Türkei hat Erdogan am Mittwoch krankheitsbedingt mehrere Wahlkampftermine abgesagt. „Heute werde ich mich auf Anraten unserer Ärzte zu Hause ausruhen“, schrieb der Präsident auf Twitter. „Mit Gottes Erlaubnis werden wir unser Programm ab morgen fortsetzen.“ Der 69-Jährige leidet eigenen Angaben zufolge an einer Magenverstimmung. Angesichts sinkender Umfragewerte hatte er in den vergangenen Wochen unermüdlich Wahlkampfauftritte absolviert.
Wie steht es um die Chancen von Präsident Erdogan?
Bei den Wahlen wird ein knappes Ergebnis erwartet. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu hat Umfragen zufolge gute Chancen, Erdogan nach 20 Jahren an der Macht zu schlagen. Kilicdaroglu ist Vorsitzender der sozialdemokratischen CHP. Es ist ihm gelungen, sich als Präsidentschaftskandidat eines Bündnisses aus sechs Parteien aufstellen zu lassen. Das allein verleiht ihm eine starke Ausgangsposition.
Doch es ist nicht Kilicdaroglu allein, der Erdogan in die Quere kommen könnte. Da sind auch die hohe Inflation und die schwächelnde türkische Wirtschaft. Erst kürzlich stürzte die türkische Lira auf einen historischen Tiefstand. Erdogans Popularität leidet unter den steigenden Lebensmittelpreisen. Hinzu kommt das katastrophale Erdbeben im Februar, bei dem mehr als 50.000 Menschen ums Leben gekommen sind. Hunderttausende sind immer noch obdachlos. In den Erdbebengebieten waren viele Türken unzufrieden mit dem Krisenmanagement der Regierung.






