Die Zeit als Fifa-Generalsekretärin ist für Fatma Samoura bald Geschichte. Die Senegalesin wirkte gerührt, als sich die Funktionärswelt bei der 2. Frauenfußballtagung zu ihrer vorzeitigen Verabschiedung erhob. Die 60-Jährige, mal als eine der 50 mächtigsten Frauen Afrikas beschrieben, aber in sieben Fifa-Jahren ohne große Spuren geblieben, geht dennoch mit einem guten Gefühl: „Diese WM macht uns alle zu Gewinnern. Das war in der Geschichte des Frauenfußballs das spektakulärste und inklusivste Ereignis aller Zeiten.“ Zwar hörten sich ihre Sätze am Darling Harbour von Sydney ganz ähnlich an wie beim großspurigen Impresario Gianni Infantino, weil der Fifa-Präsident natürlich erneut die „größte und beste WM aller Zeiten“ lobte, aber diesmal wirkte das gar nicht so übertrieben.
Frauen-Weltmeisterschaft stellt mehrere Rekorde auf
Die fast zwei Millionen Stadionbesucher, rund zwei Milliarden an den elektronischen Endgeräten – beides Rekordwerte – sind nur die eine Seite. Auf der anderen steht ein nicht in Zahlen messbares Gefühl innerer Zufriedenheit, ja sogar Glück, das wohl jeder WM-Besucher bestätigt: Getragen von der Gelassenheit, Friedfertigkeit, Freundlichkeit und insbesondere der Gastfreundlichkeit ist in Australien und Neuseeland ein Turnier abgelaufen, dessen verbindendes Grundrauschen eigentlich ein Vorbild für alle Sportveranstaltungen sein könnte.
In beiden Ausrichterländern war der Fußball eine schöne Unterhaltung und nette Abwechslung – nicht mehr und nicht weniger. Dass die „Matildas“, die australischen Fußballerinnen, eine perfekte Welle erwischen würden wie die lässigen Surfer am Bondi Beach; dass sie bis ins Halbfinale ihren Plan abarbeiten würden wie die gestählten Schwimmer im Iceberg Pool ihre Bahnen – sorgte in Down Under für eine betörende Stimmung. Am Vermächtnis änderte das verlorene Spiel um den dritten Platz gegen Schweden (0:2) nichts.
„Wir haben einen schlafenden Riesen geweckt“, sagte Australiens Sportministerin Anika Wells. „Australien ist jetzt ein Fußballland.“ Die WM habe insgesamt den Blick auf den Frauensport verändert. Sie hätte nie gedacht, dass die Starstürmerin Sam Kerr („Wir wollen etwas Nachhaltiges schaffen“) einmal dieselbe Vorbildrolle wie die Leichtathletik-Ikone Cathy Freeman einnehmen würde, „aber jetzt werden sich die Kinder auch an sie noch in 40 Jahren erinnern“. Mehr als elf Millionen Australier vor den Fernsehern beim Halbfinale gegen England bedeuteten Allzeitrekord für eine TV-Übertragung – auf dem riesigen Kontinent leben ja nur rund 25 Millionen Menschen. Die Regierung versprach sogleich, 200 Millionen australische Dollar, umgerechnet 118 Millionen Euro, in die Verbesserung der Fußball-Infrastruktur zu stecken. Bald würden viel mehr Mädchen als Jungs kicken. Die Basis ist schon jetzt größer als im Rugby, Australian Football oder Cricket zusammen.
Auch in Neuseeland ist etwas geblieben, wie Fifa-Frauenfußballchefin Sarai Bareman durchaus ergreifend erzählte. Die Neuseeländerin berichtete von ihren 13 Neffen, vor der WM ausschließlich an Rugby interessiert; bis sie beim Tor von Hannah Wilkinson im Eröffnungsspiel für Neuseeland jubelten. „Nicht für einen Rugbyspieler, sondern für eine Football-Fern-Spielerin.“ Der Frau mit der Blume im Haar kullerten Tränen über die Wangen. Das Ringen um Respekt. Anerkennung und Gleichberechtigung hört so schnell nicht auf. Immer wieder ging es beim Abschlusskongress um Motivation und Inspiration für Frauen, denen der Fußball Hoffnung vermittelt.
Gerade Rednerinnen aus Botswana, Sudan oder Saudi-Arabien machten an bewegenden Beispielen deutlich, dass es mehr solcher Pflöcke für den gesellschaftlichen Wandel braucht, denn der Weg in ihren Heimatländern ist teils noch unendlich weit. Die Fifa will von jedem Mitgliedsverband einen Masterplan sehen, um die Zahl der 16,6 Millionen Spielerinnen zu vervielfachen. Helfen könnte Geld vom Weltverband, der mit dieser WM erstmals die Gewinnzone erreichte. Gesamteinnahmen von 570 Millionen Dollar, rund 525 Millionen Euro, ergaben erstmals ein leichtes Plus. Es gebe nicht viele Wettbewerbe, selbst im Männerfußball, so der geschäftstüchtige Fifa-Boss, „die mehr als eine halbe Milliarde einbringen“. Infantino forderte umgehend Partner, Sponsoren und Sendeanstalten auf, künftig „einen fairen Preis zu zahlen“. Dann werde auch Equal Pay kommen. Der Schweizer sprach einen wunden Punkt an, als er festhielt, „dass die Spielerinnen nicht alle in den paar wenigen Klubs in Europa oder den USA spielen können“. Kein Zufall, dass in England und Spanien die beiden Nationen das Endspiel erreichten, deren Protagonisten ständig auf dem höchsten Niveau spielen und trainieren. Ein professionelles Setting braucht es auch auf anderen Kontinenten.
Bei der lange kritisierten Ausweitung auf 32 Teilnehmer leistete Nadine Keßler artig Abbitte, als die Uefa-Abteilungsleiterin Frauenfußball in einer Diskussionsrunde sagte, man könne der Fifa „gar nicht genug gratulieren“, denn: „Natürlich war es riskant, aber es passte genau. Es gab neue Teams, die die Vorurteile bekämpft haben.“ Nicht Deutschland, Kanada, Brasilien oder China, sondern Jamaika, Südafrika, Marokko oder Nigeria standen im Achtelfinale. Die frühere Weltfußballerin erwähnte, dass der Fortschritt auch durch Wettbewerbsformate wie die von ihr mitentwickelte Women’s Champions League zustande gekommen sei. „Es ist wichtig, dass der Frauenfußball sich auch zwischen den Turnieren weiter professionalisiert.“
Die 35-Jährige lehnte ansonsten im Kongresscenter alle Interviewwünsche ab. Die gebürtige Pfälzerin könnte bald Geschäftsführerin Nationalmannschaften und Akademie beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) werden.
Zu tun hätte sie in ihrem bevorzugten Metier genug. Gerne hätten ja DFB-Generalsekretärin Heike Ullrich, die in den 1990er-Jahren als Teammanagerin die ersten WM-Turniere deutscher Fußballerinnen begleitete, und die Frauenfußball-Gesamtkoordinatorin Doris Fitschen, die als Weltmeisterin die besseren Zeiten prägte, ein deutsches WM-Spiel in der K.o.-Runde gesehen. Doch die eine (Ullrich) reiste erst zum Finalwochenende nach Sydney, die andere (Fitschen) erlebte mit der Ankunft in Melbourne aus dem Hotelzimmer die Bruchlandung der DFB-Frauen in Brisbane.
Dass Deutschland mal die Benchmark bildete, daran erinnerte nur noch das ständig in den WM-Stadien über die Videowände flimmernde Golden Goal von Nia Künzer. Das ist aber bald 20 Jahre her. DFB-Präsident Bernd Neuendorf sollte bei der Ursachenforschung für die atmosphärischen Störungen im aktuellen Team, insbesondere zwischen Trainerstab und Spielerinnen, nicht nur an der Oberfläche kratzen. „Die Analyse findet gerade noch statt. Sie wird sehr ehrlich durchgeführt. Wir müssen jetzt die richtigen Fragen stellen und mit den richtigen Menschen sprechen“, betonte Ullrich. Wegen der Olympia-Qualifikation mit dem Nations-League-Auftakt am 22. September in Dänemark drängt die Zeit.
Erst eine Woche zuvor beginnt die Frauen-Bundesliga. Die ranghöchste DFB-Frau glaubt nicht, dass der erhöhte Zuspruch in der Liga gleich wieder abebbt, „da bin ich optimistisch, vielleicht gibt es eine kleine Delle“. Für die frühere Frauenfußball-Direktorin des DFB sind die mehr als akzeptablen Einschaltquoten der Halbfinals – 2,95 Millionen in der ARD bei Australien gegen England, 2,2 Millionen im ZDF bei Spanien gegen Schweden – der Beleg, dass ein neues Grundinteresse hierzulande verankert ist.
Viel schwieriger könnte es werden, die Frauen-WM 2027 in das Dreiländereck Deutschland, Niederlande und Belgien zu holen. Das nachhaltige Konzept wäre das Kontrastprogramm zu den vielen Flugreisen dieser Endrunde, aber das interessiert die überwältigende Mehrheit der Fifa-Funktionäre vermutlich herzlich wenig. Selbst der DFB glaubt an eine „politische Abstimmung“ am 17. Mai 2024 in Bangkok, wenn die 211 Mitgliedsverbände den nächsten Ausrichter unter den vier Kandidaten aus Südafrika, Brasilien, der Doppelbewerbung USA und Mexiko und dem europäischen Dreiländereck bestimmen. Entscheidend wird der Block mit 46 Stimmen aus Asien sein, weil von dort keine Bewerbung vorliegt.






