WM-Halbfinale

Mary Fowler: Eine der schönsten Entdeckungen der Fußball-WM

Australiens Ausnahmetalent gibt dem kraftvollen Spiel der „Matildas“ die künstlerische Note. Mary Fowler trifft im Halbfinale gegen England viele Bekannte.

Die schwarzen Handschuhe sind längst zum Markenzeichen von Australiens Kreativspielerin Mary Fowler geworden.
Die schwarzen Handschuhe sind längst zum Markenzeichen von Australiens Kreativspielerin Mary Fowler geworden.Patrick Hamilton/AFP

Mary Fowler saß ganz außen, als sich die australischen Fußballerinnen die Müdigkeit aus den Beinen strampelten. Gleichzeitig hielt die Kreativspielerin ihr Handy in der Hand, und das ganz ohne die schwarzen Handschuhe, die längst ihr Markenzeichen dieser WM geworden sind. Aber mit Stoff an den Fingern würden sich ja nur schwerlich die vielen Nachrichten checken lassen, die gerade ihr Postfach fluten. Die 20-Jährige gibt gerade eine der schönsten Entdeckungen des Turniers, weil sie den kraftvollen Stil der so herzzerreißend leidenschaftlichen „Matildas“ eine künstlerische Note verleiht. Wenn das Halbfinale Australiens gegen England im Australia Stadium von Sydney (Mittwoch, 12 Uhr MESZ, ARD) die Märchengeschichte fortschreiben soll, dann braucht es jemand, der dem Europameister nicht nur mit Körperlichkeit begegnet.

Bereits am Sonntag haben die Gastgeberinnen ihr Basecamp in Brisbane für den Umzug nach Sydney aufgegeben. Geschlossen gingen alle ins Bad, dann in den Kraftraum und aufs Rad. Sofort bedankte sich Australiens Fußball-Verband dafür, die Einrichtungen der Sydney Swans aus der Australian Football League Women’s nutzen zu können. Ein gemeinsames Erinnerungsfoto in der Aufwärmhalle erreichte bei Instagram eine Viertelmillion Abrufe.

Fowler glänzt auf dem Fußballfeld mit spielerischer Leichtigkeit

Diese Spielerinnen müssen kräftig zupacken können, aber das gilt für die Fußballerinnen inzwischen auch. Neben der Mentalität bildet die Physis die Grundlage dafür, dass der akribische Nationaltrainer Tony Gustavsson mit seinem Ensemble so weit kommen konnte in einem Turnier, das vor körperlicher Wucht nur so strotzt. Und doch gibt es neben dem kolumbianischen Wunderkind Linda Caicedo noch eine, die alles mit spielerischen Leichtigkeit erledigt. Eben Australiens Nummer Elf.

Ein bisschen erinnert die filigrane Mary Fowler an die geschmeidige Französin Louisa Necib, deren Stern bei der WM 2011 in Deutschland aufging, die aber irgendwie unvollendet ihre Karriere 2016 beendete. Genau wie die mit Zinedine Zidane verglichene Necib hat auch diese Edeltechnikerin gemischte Wurzeln. Ihr Vater kommt aus Irland, ihre Mutter aus Papua-Neuguinea. Bruder Quivi und Schwester Ciara, beide in Irland geboren, haben in der Jugend für irische Nationalteams gespielt, was Fowler zur gefragten Gesprächspartnerin vor dem Eröffnungsspiel gegen Irland (1:0) machte.

Prompt erschienen wieder Bilder, wie sie als Mädchen in einem Kleidchen gegen den Ball trat. Da war sie sieben und wuchs in Cairns im tropischen Norden auf. „Mein älterer Bruder hat gespielt, und wir waren eine Familie mit fünf Kindern“, erzählte sie. „Als ich jünger war, habe ich nur zum Spaß gespielt, um mit meinen Freunden und meiner Familie zusammen zu sein, aber jetzt ist es mein Beruf.“ Der Umgang mit dem Druck bei einem solchen Heimevent war nur auch für sie völlig neu.

Nach einer unauffälligen WM-Premiere – 2019 in Frankreich kam sie als 16-Jährige noch nicht zum Einsatz – saß die auch jetzt noch jüngste Nationalspielerin im zweiten Gruppenspiel gegen Nigeria (2:3) prompt auf der Bank. Coach Gustavsson dämmerte, dass dies keine gute Idee war. In der entscheidenden Begegnung gegen Kanada (4:0) zahlte seine Hochbegabte das Vertrauen mit einem Tor zurück. Im Achtelfinale gegen Dänemark (2:0) leitete sie beide Treffer ein: Ihr Geniestreich vor dem 1:0 von Caitlin Foord riss viele Fans von den Sitzen. „Manchmal musst du solche Pässe einfach versuchen“, sagte sie danach. Im Viertelfinale gegen Frankreich (7:6) verwandelte sie so entschlossen ihren Elfmeter, dass endgültig klar ist, was sie in ihrer Heimat möchte: zur Legende werden.

Fowler trifft im Spiel gegen England auf viele Bekannte

Die mit 15 Jahren im Nationalteam debütierende Fowler trifft in ihrem 42. Länderspiel auf viele Bekannte im Liga-Alltag. Im Sommer 2022 unterschrieb sie einen Vierjahresvertrag bei Manchester City, nachdem sie zuvor bei Montpellier HSC ein bisschen brauchte, um aufzufallen. In die französische Stadt am Mittelmeer war sie im Februar 2020 aus Adelaide gewechselt. Doch wenige Wochen später kam die Corona-Pandemie: Die Saison wurde abgebrochen und nicht wieder aufgenommen: Das australische Ausnahmetalent hatte gerade mal eine halbe Stunde gespielt.

Oft genug missachtete sie damals als Teenagerin die Zeitverschiebung, wenn sie spontan zu Hause anrief, weil sie Heimweh hatte. Nun genieße sie es umso mehr, betonte sie kürzlich, dass ihre Familie überglücklich auf der Tribüne zuschauen kann. Das ist ihr ungeachtet der vielen Glückwünsche auf ihrem Smartphone gerade das Wichtigste.