Der königlich-spanische Fußball-Verband (RFEF) hat sich angewöhnt, bei großen Turnieren das mediale Interesse mit repräsentativen Besetzungen zu bedienen. Als bei der Männer-WM in Katar das zweite Gruppenspiel gegen Deutschland anstand, erschien der Bundesliga-Legionär Dani Olmo, um über die Schnittmengen der beiden Nationen zu sprechen, während der Deutsche Fußball-Bund (DFB) mit Verweis auf unzumutbare Fahrzeiten ins Mediencenter nach Doha keinen Spieler entsandte. Nun, vor dem Halbfinale der Frauen-WM zwischen Spanien und Schweden (Dienstag, 10 Uhr MESZ, ZDF), tat die spanische Delegation der internationalen Presse den Gefallen, Jennifer Hermoso auf dem Podium zu präsentieren. Wäre jemand besser geeignet als die Rekordtorjägerin, um auch hier den Gesamtkontext zu erfassen?
Jennifer Hermoso hat lange für die Aufmerksamkeit gekämpft
Als die 33-Jährige im Eden Park von Auckland auf voll besetzte Stuhlreihen blickte, erzählte sie von einer beschwerlichen Reise. „Früher haben vor unseren Länderspielen hier fünf oder zehn Leute gesessen, und am nächsten Tag sind 300 zum Spiel gekommen.“ Diese Zeiten sind vorbei. „Wir haben lange dafür gekämpft, so etwas zu erleben.“ Vor 50.000 Besuchern in Neuseeland und Millionen Fernsehzuschauern in aller Welt anzutreten, „davon habe ich als Kind immer geträumt“, verriet Spaniens Nummer zehn, die als kleines Mädchen oft in einem Park in Carabanchel kickte, einem südwestlichen Stadtbezirk von Madrid.
Mehrfach strich sich die nach ihrer erfolgreichen Zeit beim FC Barcelona vergangenen Sommer zu CF Pachuca in Mexiko gewechselte Offensivspielerin durch ihre dunklen Haare, und einiges hörte sich bei ihrem lebendigen Streifzug so an, als seien in den vergangenen Wochen schon viele Wünsche in Erfüllung gegangen. Weshalb sie, die 103-fache Nationalspielerin, und Alexia Putellas (105 Länderspiele) nach dem Kraftakt im Viertelfinale gegen die Niederlande (2:1 nach Verlängerung) lange auf der Bank hockten und weinten. Auch viel später in Wellington waren ihre Tränen noch nicht getrocknet.
„Wir haben gemeinsam so viel erlebt, uns haben die Emotionen übermannt“, räumte Hermoso rückblickend ein. Doch bislang ist es nur „Jenni“, wie sie alle nennen, die wirklich Glücksgefühle auf dem Platz auslebt. Beim Kantersieg gegen Sambia (5:0) schoss sie in ihrem 100. Länderspiel ihr 50. Tor für „La Furia Roja“. Drei Tore und zwei Vorlagen verdeutlichen bei dieser WM ihren Wert, wobei sie gar nicht ganz vorne spielt, sondern aus einer mit vielen Freiheiten bedachten Mittelfeldposition agiert. Als Vorbereiterin und Vollstreckerin. Sie ist der Freigeist, der sich überall tummeln darf. Die Weltfußballerin Alexia Putellas hat hingegen noch mit den Nachwirkungen ihres Kreuzbandrisses zu kämpfen und kommt nur von der Bank – vorher muss Jennifer Hermoso das Ensemble führen und einen.
Letzteres ist nach der Rebellion gegen den Verband und vor allem Nationaltrainer Jorge Vilda nicht einfach. Ob die Wunden aus dem Aufstand der 15 Spielerinnen, genannt „Las 15“, wirklich alle schon vernarbt sind, ist Gegenstand ständiger Spekulationen. Eine Könnerin wie Patri Guijarro, die fast im Alleingang das Champions-League-Finale mit Barcelona gegen den VfL Wolfsburg (3:2) entschied, fehlt deswegen bei dieser Endrunde. Jennifer Hermoso unterstützte zwar den Protest, aber die Aussicht auf einen WM-Titel erschien ihr wichtiger „Wenn ich mit meiner Nationalmannschaft den Weltpokal gewinne, kann ich mich als glückliche Frau aus diesem Sport zurückziehen“, sagte sie damals.


