Darmstadt also. Dass es das Stadion am Böllenfalltor sein würde, in dem er einen der emotionalsten Momente seiner Fußballer-Karriere erleben würde, hatte Robin Gosens vor etwa 20 Jahren sicherlich nicht geahnt. Anfang der 2000er-Jahre muss es gewesen sein, als seine Leidenschaft für die Bundesliga langsam ihren Lauf nahm. Gosens, Jahrgang 1994, schaute als kleiner Junge am Sonnabend die Konferenz auf Premiere, sah im Fernsehen Mannschaften wie Energie Cottbus, den MSV Duisburg oder Arminia Bielefeld, die damals noch erstklassig spielten.
Der SV Darmstadt 98 dümpelte zeitweise in der Hessenliga vor sich hin, Gosens wird den Verein nicht gekannt haben. Nun, als gestandener Fußballprofi, der schon eine Europameisterschaft gespielt hat und im Champions-League-Finale stand, erlebte der 29-Jährige sein Startelf-Debüt in der höchsten deutschen Spielklasse in Darmstadt. Mit dem 1. FC Union Berlin. Als wäre sein erstes Bundesliga-Spiel von Beginn an nicht schon bemerkenswert genug, wurde daraus am Ende eine Geschichte, die lange in Erinnerung bleiben wird.
Keine vier Minuten dauerte es, da erzielte Gosens mit einer herrlichen Einzelleistung das Führungstor. Eine halbe Stunde später – die Köpenicker waren nach der Gelb-Roten Karte gegen Brenden Aaronson in Unterzahl, Marvin Mehlem hatte für die Gastgeber ausgeglichen (24.) – köpfte er nach Freistoß von Josip Juranovic das zwischenzeitliche 2:1. „Das heute kommt einem perfekten Tag sehr nahe. Zwei Tore selbst schießen, ein 4:1-Auswärtssieg in Unterzahl, viel mehr geht, glaube ich, nicht“, gab der Nationalspieler in den Katakomben Einblick in seine Gefühlswelt.
Für die weiteren Treffer hatten am Ende dieses emotionalen Nachmittags Kevin Behrens (39.) und Danilho Doekhi (65.) gesorgt. Die Hausherren, die sich in Überzahl erschreckend einfallslos präsentierten, kamen auf der Gegenseite zwar noch zu der ein oder anderen Chance, wirklich gefährdet war der Sieg der Eisernen aber zu keinem Zeitpunkt. „Unsere große Stärke ist, dass wir in keiner Sekunde des Spiels den Kopf verlieren, dass wir immer haargenau wissen, was wir machen müssen – auch in Unterzahl“, hat Gosens bereits nach weniger als zwei Wochen im Verein festgestellt.
1. FC Union Berlin: Robin Gosens will zurück in die Nationalmannschaft
So kam es, dass drei Standardsituationen, aus denen drei Kopfballtore resultierten, den Unterschied ausmachten. Dafür in erster Linie verantwortlich: Sebastian Bönig. Der Co-Trainer, der im Team von Urs Fischer als Perfektionist der ruhenden Bälle gilt, feierte am Spieltag seinen 42. Geburtstag. „Er hat heute Morgen zu uns gesagt, dass wir ihm den Tag mit einem Sieg versüßen können, und ich glaube, da hat dann jeder noch mal das ein oder andere Prozent mehr gegeben“, grinste Gosens, der auch beim auf der Tribüne zusehenden Bundestrainer Hansi Flick mächtig Eindruck hinterlassen haben sollte.
Nach der EM im Sommer vor zwei Jahren stand Gosens nur noch in fünf Länderspielen auf dem Feld. Mal setzte ihn eine Verletzung außer Gefecht, mal wurde er nicht berücksichtigt. So verpasste er die Weltmeisterschaft vor neun Monaten, dabei hätte die Nationalmannschaft einen wie ihn gut gebrauchen können. Gar nicht unbedingt als Torschützen, aber als einen, der vorangeht, die Mannschaft mitreißt und niemals aufgibt. Genau diese Qualitäten waren es beim Gastspiel in Südhessen nämlich, die Flick und den Großteil der über 17.000 Zuschauer imponiert haben dürften.
Gosens lief die linke Seite wie ein Uhrwerk rauf und wieder runter. Seine Physis fiel auf, sein Wille, den Platz an diesem Tag nicht als Verlierer zu verlassen. „Meine Dynamik, das unermüdliche Rennen und das Nicht-Aufgeben, wenn ein Ball mal unerreichbar scheint, sind Dinge, die mich auszeichnen, über die sich mein Spiel auch definiert. Das sorgt dafür, dass man auch mal in Positionen reinkommt, auf denen man für ein Überraschungsmoment sorgen kann“, so der Doppeltorschütze.




