China ist der größte Produzent von Solarstrom der Welt. China ist der größte Produzent von Windenergie in der Welt. China ist auch das Land mit dem höchsten CO₂-Ausstoß der Welt, was angesichts seiner 1,4 Milliarden Menschen nicht verwundern kann. Lebten diese heute noch wie vor 40 Jahren mehrheitlich in großer Armut, würde das Land weit weniger Treibhausgase produzieren. Dies aber ist der große Stolz Chinas: Mehr als 800 Millionen Menschen aus bitterer Armut geholt und ihnen nicht nur ausreichend und sicherer zu Nahrung, Gesundheitsfürsorge und Bildung verholfen zu haben, sondern mittlerweile zu beachtlichem Wohlstand.
Noch ein weiterer Fakt: Die etwa 20 Jahre lang von Staatsseite streng durchgesetzte Ein-Kind-Politik hat das Bevölkerungswachstum gestoppt, statt die Zahl der Menschen ungebremst auf die zwei Milliarden zulaufen zu lassen. Vor dieser Zahl fürchtete man sich im Westen, als sie noch in demografischen Horrorszenarien kursierte – mit Blick auf den gemutmaßten Ressourcenverbrauch der vielen Chinesen. Es kam so nicht.
Chinas Politik zum Wohle der Welt
Gleichwohl: Anerkennung findet China dafür zwar in vielen Teilen der Welt, nicht aber im Wohlstandswesten. Hier bevorzugt man, auf die harten, manchmal überharten Maßnahmen zur Durchsetzung der Geburtenreduzierung (auch zum globalen Vorteil) des eingeschlagenen Kurses zu verweisen und verkürzt den Diskurs auf die tatsächlich betriebene Beschränkung individueller Freiheit zugunsten der Großkollektive.
Wie wenig China die Kritik anficht, war Anfang September im Messezentrum der chinesischen Hauptstadt Peking, gleich neben den ikonischen Olympiabauten wie dem Vogelnest, zu erleben: Dutzende Nationen und Zehntausende Besucher, Geschäftsleute und Staatsvertreter aus Asien, Afrika und Lateinamerika, waren zur weltweit größten Messe für Dienstleistungen, China International Fair for Trade in Services (CIFTIS), gekommen – eine Fachmesse wie auch eine für das große Publikum.
Schon am ersten Tag füllten sich die Hallen mit Familien samt Kindern. Am britischen Stand probierten sie das Fußballspielen mit VR-Brille oder testeten niedliche Computerhunde, bestaunten die Transportdrohnen, Weltraumraketenmodelle oder Operationsroboter aus chinesischer Produktion. Fotoliebling der Erwachsenen: Teslas knallrotes Model 3.

Zum Schwerpunkt der CIFTIS 2023 hatten die chinesischen Messeveranstalter das Thema grüne Technologien bestimmt – grüne Entwicklung und die große Frage, wie Dienstleistungen für die Menschen der Welt die Treibhausgasemissionen bremsen könnten durch grünes Bauen, die Produktion erneuerbarer Energien, Abfallvermeidung und Kreislaufwirtschaft, nachhaltigen Tourismus, Fliegen und Busfahren mit Biosprit und so fort.
China hat sich das ambitionierte Ziel gesetzt, im Jahr 2030 den Höhepunkt der CO₂-Emissionen zu überschreiten und sie dann immer schneller zu senken, bis 2060 die Emissionsneutralität erreicht ist. Deshalb die Messe, deshalb Milliardeninvestitionen, deshalb die Eröffnungsrede von Staats- und Parteichef Xi Jinping mit der Botschaft: „Nutzen wir den goldenen Schlüssel von Frieden, Entwicklung und Kooperation zum gegenseitigen Vorteil, um die gegenwärtigen Probleme der Weltwirtschaft, des internationalen Handels und Investments im Sinne einer besseren Zukunft für alle zu nutzen.“ Dagegen hatte niemand der Anwesenden Einwände.
Afrikaner visafrei nach China?
Auch der andere höchstrangige Redner, der Staatspräsident von Benin, nicht. Und der zur allgemeinen Überraschung unter anderem die Einführung des visafreien Verkehrs zwischen dem afrikanischen Staat und China verkündete. Da kommentierte ein durch Erfahrung abgeklärter nigerianischer Vertreter: „Afrikaner visafrei nach China? Das wird niemals passieren.“
In den Messehallen warb dann manches Land mit seinen umweltfreundlichen Angeboten: Australien mit ausgezeichneter Bioschokolade, Korea mit umweltschonend produzierten Konsumgütern, Japan mit Naturkosmetik. Andere Länder überwältigten mit riesigen LED-Leuchtwänden, wo Tauchgänge von Perlensuchern oder Luftaufnahmen grandioser Landschaften das Besucherinteresse auf sich zogen. Alles groß, bunt, vielfältig und einladend.
Mehr Risiko als „De-Risking“
Der deutsche Stand gab sich bescheiden, man könnte auch sagen: diskret. Als Hauptthema stand da ein (inzwischen gescheitertes) deutsch-chinesisches Projekt, das in Eisenach eine Batterieproduktion für E-Autos vorgesehen hatte. Warum nur fiel einem beim Anblick dieses so gut wie leeren Standes die neue deutsche Linie gegenüber China ein, auf Neudeutsch „De-Risking“ genannt, also die Verringerung der Abhängigkeit von Produkten des „systemischen Rivalen“ China. Auf der CIFTIS sah es eher nach Verringerung von Chancen auf dem globalen Umweltmarkt aus. Auf dem gut besuchten Nachbarstand Großbritanniens war leicht zu erkennen, wie die britischen Außen- und Wirtschaftsministerien bei gleichen Werten die Prioritäten anders setzen.


Es gab noch einen zweiten deutschen Stand, den der „hidden champions“, der mittelständischen Weltmarktführer in Spezialbereichen wie Ottobock (Prothesenbau), Viessmann (Wärmepumpen und Heiztechnik) oder Dräger (Sicherheitstechnik). Eine Attraktion bietet auch dieser etwas vom Trubel abgelegene Stand nicht, es sei denn, man begeistert sich für Glasröhren mit darin zu sehenden Metallfragmenten in verschiedenen Recyclingzuständen. Kreislaufwirtschaft ist ein zweifellos wichtiges Geschäftsfeld, deutsche Unternehmen sind damit erfolgreich aktiv in dieser ökologisch nicht zu unterschätzenden Branche im Riesenmarkt China.
Offensiv lädt der Stand Taiwans ein, mittendrin, viel besucht. Drei Tänzerinnen in bunten Trachten gaben Vorstellungen – interessanterweise in Kostümen, die eher der polynesischen Urbevölkerung der Insel im Süden Chinas zuzuordnen sind. Dezent erinnert Taiwan damit an seine Ursprünge aus der Zeit vor der chinesischen Besiedlung. Aber natürlich zeigt man auch das Gemeinsam-Chinesische: die Sprache, das gesunde Essen, den organisch angebauten Tee, die Naturkosmetik, die Gesundheitstechnik. Und die Hochtechnologie: Siliziumscheiben, Chips, Halbleiter. Taiwan ist Weltspitze darin.

Dass die große Volksrepublik China (Festland) und das kleine, abtrünnige Taiwan vor einem Krieg Chinesen gegen Chinesen stünden, wie Nachrichten von militärischen Provokationen aus dem Seegebiet um Taiwan seit Monaten nahelegen, ist in keiner Weise zu spüren. Man begegnet einander höchst freundlich. Jedenfalls demonstriert man: Geschäft ist Geschäft.
Und schließlich der große Stand der chinesischen State Power Investment Corporation (SPIC), größter chinesischer Erzeuger erneuerbarer Energien – selbstredend auch der größte Clean-Energy-Einzelerzeuger weltweit, mit beeindruckendem Wachstum. Wie die Erzeugung erneuerbarer Energien in China überhaupt: Im Jahr 2020 kamen 56 Prozent des SPIC-Stroms aus sauberen Quellen, in diesem Jahr werden es zwischen 63 und 65 Prozent sein. Für 2025, also quasi übermorgen, sind 70 Prozent angepeilt, 2035 schon 85 Prozent.
Wind und Sonne wachsen am schnellsten
Zwar sei man als staatliches Unternehmen, so eine Unternehmensvertreterin am Stand, bisher stark auf Atomkraft und Gas gerichtet gewesen – doch in Wind und Sonne liege die Zukunft. Wasserkraftanlagen tragen zu einer stabilen Grundlastversorgung bei. Aber ganz klar: Am schnellsten wachsen Wind und Sonne. Und man weiß: Überall auf der Welt ist der Wettbewerb in diesem Markt enorm. Das Unternehmen baut viele der Komponenten selbst, produziert Energie und bietet anderen Unternehmen Beratung über Möglichkeiten, Emissionen und den ökologischen Fußabdruck zu senken.
Ein Modell zeigt eine neue Wohnsiedlung mit integrierter Energieversorgung: Häuser umgeben von Windrädern, Solarflächen, Energiespeichern, Ladesäulen für Autos etc. Die Energiespeicher seien ein Schwachpunkt, räumt man ein, die hätten noch zu geringe Kapazität. In 64 Ländern der Welt, von Brasilien, Pakistan, Ungarn, Deutschland bis Vietnam, ist SPIC bisher tätig. Nun strebt das Unternehmen stärker in den europäischen Markt. Wäre das ein Risiko oder ein Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel?
Holger Friedrich: Forschung, Innovation, Regulation
Als Teil der Messe trafen sich Vertreter Dutzender Länder zum Globalen Unternehmergipfel für Dienstleistungen. Der Vertreter Neuseelands plädierte für den freien Handel von Solaranlagen, berichtete über Anstrengungen der entlegenen Insel, den Flugverkehr emissionsärmer zu gestalten, den Stopp von Subventionen für fossile Energien und die ökologische Transformation der Landwirtschaft.
Der Repräsentant der großen chinesischen Bank HSBC erläuterte das Konzept von Kopplungskrediten: Je grüner ein Projekt, desto größer die mögliche Kreditsumme und desto günstiger die Konditionen. Die Vertreterin der nigerianischen Handelskammer bedauerte, die einzige Frau einer langen Rednerliste zu sein – und informierte dann über die wachsende Produktion agrarischer Bioprodukte und die Chancen, damit auf den chinesischen Markt zu kommen.

Ihr Landsmann vom Außenministerium in Abuja erinnerte das Auditorium daran, dass Entwicklungsländer wie Nigeria bisher nur wenig zum Klimawandel beigetragen hätten, gleichwohl mit am meisten unter den Folgen litten, „aber jede Emission, egal von wo sie ausgeht, ist gleich schlecht für alle.“ Man wolle seinen Teil der Verantwortung tragen, brauche aber Hilfe: Technologietransfer, Wissenstransfer, Ausbildung und Finanzierung.






