Wirken westliche Sanktionen gegen Russland oder nicht? Während die Ökonomen in Deutschland darüber streiten, stellen die Experten der kanadischen Zentralbank sowie der Washington University und der North Carolina State University fest: Sanktionen wirken sich sowohl auf Russland als auch auf die sanktionierenden Länder negativ aus.
In einer neuen Studie unter dem Namen „Internationale Wirtschaftssanktionen und die Auswirkungen auf Drittländer“, von der kanadischen Zentralbank veröffentlicht, bewerten die Ökonomen Negativfolgen der Länder, die Sanktionen gegen Russland verhängt haben. Demnach ergeben sich sowohl für das sanktionierte als auch für das sanktionierende Land erhebliche Wohlfahrtsverluste. Sofern sich ein Drittland den Sanktionen anschließt, verschärfen sich diese Verluste zusätzlich. Das Drittland verliert jedoch nichts, wenn es sich nicht den Sanktionen anschließt. Ganz umgekehrt: Es profitiert von der Nichtunterstützung der Sanktionen.
Neue Studie: Drittländer hätten einen großen Einfluss auf russische Wohlfahrtsverluste
Die Prognose der Ökonomen beruht auf einem eigens entwickelten Modell. Im Mittelpunkt der Analyse stehen das Verhalten und der Einfluss von Drittstaaten auf die Wirksamkeit verhängter Sanktionen. Sanktionierende Länder sind dabei die USA, die EU und das Vereinigte Königreich. China, Indien und die Türkei werden beispielsweise als Drittländer behandelt. Zudem gehen die Autoren von drei Arten von Sanktionen aus: Export–Import, Finanz- und Gasembargos. Sanktionen gegen russische Banken und deren Abkopplung von Swift werden im Modell nicht berücksichtigt.
Die Ökonomen schätzen, dass Russlands Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf bei einer gleichzeitigen Einschränkung des Handels mit Konsumgütern zwischen Russland und dem Westen, der Isolierung russischer Bürger vom internationalen Finanzmarkt und der Einstellung europäischer Käufe von russischem Gas „nur“ um vier Prozent sinke. Es würde aber um ganze neun Prozent sinken, sobald die größten Drittländer den Handel mit Konsumgütern mit Russland einschränken und die russischen Bürger vom internationalen Finanzmarkt isolieren würden.
Einen noch größeren Einfluss haben Drittländer auf die Höhe der russischen Wohlfahrtsverluste, die aufgrund des Pro-Kopf-Verbrauchs berechnet wurden. Momentan liegen diese Verluste laut der Studie bei „nur“ bei 5,6 Prozent, weil China, Indien und die Türkei sich nicht den Sanktionen angeschlossen haben. Schließen sich diese Drittländer den Sanktionen an, verbrauchen die russischen Haushalte nach dem Modell schon um dreizehn Prozent weniger.
Asymmetrien zwischen den sanktionierenden Ländern, dem Zielland Russland und den Drittländern werden von den Autoren als besonders relevant eingestuft. Im Modell beträgt das BIP Russlands gemäß den tatsächlichen Verhältnissen in den Jahren 2020 bis 2021 etwa zehn Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung der USA, der EU und des Vereinigten Königreichs. Obwohl Europa bisher keinen vollständigen Stopp des Imports von russischem Gas verhängt hat, simulieren die Autoren ein solches Vorgehen aufgrund des tatsächlichen Stopps der Lieferungen über Nord Stream 1. Die Ökonomen streben nach eigenen Angaben keine umfassende Analyse der Auswirkungen der Russland-Sanktionen an – die Berechnungen seien bedingt.
Russland-Sanktionen: Das sind die Vorteile der Länder, die sie nicht verhängt haben
Im Hauptszenario – gleichzeitige Anwendung von Russland-Sanktionen im Westen, keine Sanktionen durch Drittländer – sinkt auch das Pro-Kopf-BIP der sanktionierenden Länder, und zwar um 0,8 Prozent im Vergleich zum hypothetischen Zustand ohne Sanktionen. Und wie profitieren die Drittländer? In China, Indien und der Türkei steigt das Pro-Kopf-BIP in diesem Fall um 0,4 Prozent.
„Das BIP von Drittländern steigt aufgrund von Substitutionseffekten. Diese Länder verteilen ihre Volkswirtschaften zugunsten der Produktion von Gütern um, um die zusätzliche Nachfrage aus dem Zielland [Russland] zu decken“, heißt es in der Studie. Drittländer weiten ihre Exporte nach Russland aus, erhöhen aber auch die Gasimporte aus Russland.
Darüber hinaus weisen die Autoren der Studie darauf hin, dass Russland mit dem Verlust von Qualitätsimporten aus westlichen Ländern „Produktionsfaktoren leichter in seinen relativ unvorteilhaften Konsumgütersektor verlagern kann“. Aber die relativ ineffiziente Ressourcenallokation führe trotzdem dazu, dass die Sanktionen Schaden anrichten würden. Diese Einschätzung steht auch im Einklang mit der Analyse der russischen Zentralbank im letzten Jahr: Selbst bei wirksamer Importsubstitution sinkt in Russland der Lebensstandard, weil Arbeitskräfte auf Importsubstitution umgelenkt werden.




