Flüchtlingspolitik

Scheitert der Migrationsgipfel? Scholz und Länder streiten über Milliarden für Flüchtlinge

Während Kanzler und Ministerpräsidenten über Finanzierungsfragen feilschen, fehlen den Kommunen auch Lehrer und Kita-Plätze. Der Streit ist für alle Seiten riskant.

Bundeskanzler Olaf Scholz
Bundeskanzler Olaf ScholzMichael Kappeler/dpa

Es wäre ein herber Dämpfer für Olaf Scholz, wenn der Migrationsgipfel an diesem Mittwoch erfolglos enden würde. Schon ein Treffen von Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit den Ländern und Kommunen im Februar brachte keine handfesten Ergebnisse, nur das Versprechen für eine bessere Abstimmung. Also eigentlich: so gut wie nichts.

Für die Opposition – allen voran Union und AfD – war das ein gefundenes Fressen. Und sollte der offene Streit zwischen Kanzler und Ländern weitergehen, stünde die Bundesregierung in der Migrationsfrage noch schlechter da. Viele Städte und Gemeinden sind bei der Versorgung und Unterbringung der Geflüchteten und Asylbewerber bereits am Limit.

Auch in den letzten Tagen vor dem Gipfel hatte es keine Annäherung zwischen Scholz und den Länderchefs gegeben. Die Positionen erscheinen unverrückbar: Während die Länder angesichts steigender Kosten mehr Geld vom Bund fordern – unter anderem eine Rückkehr zur Pro-Kopf-Pauschale –, zeigen SPD und FDP auf die angespannte Haushaltslage. Nur die Grünen hatten sich im Vorfeld für zusätzliche Hilfen ausgesprochen.

Das Kanzleramt argumentiert, dass der Bund seinen Beitrag für Geflüchtete in den vergangenen Jahren bereits deutlich erhöht habe. Ganz davon abgesehen, dass Aufnahme, Betreuung und Versorgung eigentlich Aufgaben der Kommunen und Länder seien. Beide hätten dank gestiegener Steuereinnahmen ohnehin mehr Spielraum in den eigenen Kassen.

Ansonsten lautet der Tenor: Es ist kein Geld mehr da. Aber ist es so einfach?

Bundeshaushalt: Welche Ausgaben haben Priorität?

Der Bundesrechnungshof sendet nach Anfrage der Berliner Zeitung die „Bestandsaufnahme zur Lage der Bundesfinanzen“ von Anfang März. Darin hatten die Prüfer vor einem „drohenden Kontrollverlust“ gewarnt. Sie verwiesen auf die Krisen der vergangenen Jahre – Pandemie, Ukraine-Krieg und Energiekrise. „Die Erhöhung der Schuldenlast des Bundes ist in ihrer Dynamik beispiellos“, hieß es. Noch nie seien in so kurzer Zeit so viele neue Kredite aufgenommen worden.

Das bedeutet aber nicht, dass grundsätzlich kein Geld mehr aufzutreiben wäre. Es geht um die Priorisierung von Ausgaben, das betonte auch der Rechnungshof. Heißt: Man müsste an anderer Stelle sparen. Es ist das große Streitthema der Ampel-Koalition. Noch am Dienstag ließ sich FDP-Fraktionschef Christian Dürr von der Stuttgarter Zeitung mit den Worten zitieren, weitere Mittel vom Bund würden bedeuten, dass weniger Geld für strittige Projekte bereitstünde – „etwa für die Kindergrundsicherung“.

Streit um Finanzierung: „Vor allem ein Verteilungskampf“

Das Hickhack ist auch deshalb so zäh, weil Bund und Länder mit unterschiedlichen Zahlen rechnen. Während das Kanzleramt seine freiwillige Beteiligung an den Kosten der Fluchtmigration auf 15,6 Milliarden Euro im Jahr 2023 taxiert, sprechen die Länder von nur 2,75 Milliarden. Im Betrag des Kanzleramts sind allein 5 Milliarden an Sozialleistungen für geflohene Ukrainer enthalten. Für sie und andere anerkannte Geflüchtete zahlt der Bund nämlich das Bürgergeld.

Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes haben die Bundesländer im Jahr 2021 insgesamt rund 4,3 Milliarden Euro für Asylsuchende ausgegeben (Bruttoausgaben). Der größte Posten entfiel demnach auf Grundleistungen wie Ausgaben für Unterkunft oder Lebensmittel. Der Bund beziffert seine Ausgaben für die Aufgaben der Länder und Kommunen im selben Jahr auf 24,6 Milliarden.

„Der Streit zwischen Bund und Ländern ist vor allem ein Verteilungskampf“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler und Migrationsforscher Herbert Brücker. Es sei bedauerlich, dass dieser auf dem Rücken der Geflüchteten ausgetragen werde. „Das gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass es im Vergleich zum Sondervermögen für die Bundeswehr oder die Entlastungspakete um einen recht kleinen Betrag geht.“

Auffällig ist, wie geschlossen die Länder dabei auftreten. Selbst SPD-Ministerpräsidenten wie Stephan Weil und Anke Rehlinger fordern mehr Hilfen vom Bund, sie setzen ihren eigenen Kanzler unter Druck. Das mag auch daran liegen, dass die Landesregierungen die eigenen Kommunen fürchten. Also meinen sie, dass vor allem der für die Geflüchteten sorgen muss, der sie ins Land lässt – und schieben dem Bund bei der Finanzierung somit den Schwarzen Peter zu.

Doch das Gerangel ist auch für die Landesregierungen riskant, vor allem in Bremen, Bayern und Hessen. In der Hansestadt wird an diesem Sonntag eine neue Bürgerschaft gewählt, in München und Wiesbaden stehen im Herbst die Landtagswahlen an. Sollte sich der Streit in der Migrationspolitik  weiter hinziehen, dürfte der Frust vor Ort größer werden. Nicht zuletzt die AfD könnte davon profitieren. In den Umfragen ist sie schon heute auf Höhenflügen.

Landkreise klagen auch über Lehrer- und Ärztemangel

Tatsächlich werden die Nöte der Kommunen nicht allein durch mehr Geld zu lindern sein. Denn die hohen Flüchtlingszahlen belasten auch die soziale Infrastruktur. So etwa in Brandenburg: Im Kreis Spree-Neiße schätzten die Träger der Kitas die Anzahl der Betreuungsplätze zunehmend als kritisch ein, sagt Sozialdezernent Michael Koch der Berliner Zeitung. „In den Schulen im Landkreis sind die Klassen voll, und freie Raumkapazitäten sind kaum noch vorhanden.“

Es mangele an Hausärzten, sagt Koch. Allerdings könne der Bund „weder Lehrer noch Erzieher noch Ärzte in die Region bringen“. Eine Sprecherin des Kreises Teltow-Fläming sagt, man habe den Eindruck, „dass die Themen Kita, Schule und ärztliche Versorgung gegenwärtig völlig ausgeblendet werden“. Auch sie verweist auf fehlende Lehrer und Erzieher.

Der Landrat des Kreises Prignitz, Christian Müller (SPD), erhofft sich vom Migrationsgipfel „eine Entbürokratisierung im rechtlichen Bereich“ und eine „Beschleunigung von Prozessen“ – etwa durch mehr Digitalisierung. Auf Letzteres drängt auch das Kanzleramt, es sieht die Länder in der Pflicht. So könnten die Ausländerbehörden entlastet werden, sagt Landrat Müller.

Container und Notunterkünfte in Turnhallen

Dort, wo die Kommunen mit steigenden Flüchtlingszahlen zu kämpfen haben, hapert es aber vor allem bei der Unterbringung. Dafür braucht es Geld, ob vom Bund oder den Ländern. Im Landkreis Oder-Spree sieht man sich gezwungen, neue Gemeinschaftsunterkünfte zu stellen, sagt eine Sprecherin. Also zum Beispiel „Containerunterkünfte zu beschaffen und übergangsweise Notunterbringungen in Turnhallen“ einzurichten. 

„Da hier inklusive der Betreuung langlaufende Verträge zum Teil im siebenstelligen Bereich abzuschließen sind, benötigt der Stab jetzt zwingend Planungssicherheit und eine Klärung der finanziellen Lastentragung“, sagt die Sprecherin.

Langfristig, so viel ist klar, werden Bund und Länder die steigenden Flüchtlingszahlen also nicht nur finanziell ausgleichen können. Neben der Finanzierung diskutieren Scholz und die Ministerpräsidenten auch über effizientere Abschiebungen. Im Gespräch sind unter anderem zentrale „Ankunftseinrichtungen“ und schnellere Verfahren für Asylbewerber.

Kurz vor Beginn des Gipfels gab es Berichte, wonach sich Scholz und die Länderchefs auf einen symbolischen Zuschuss des Bundes einigen und sich erneut vertagen könnten. Was erst mal niemandem helfen würde, weder den Kommunen noch den Geflüchteten in den Turnhallen.