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Ricarda Lang bei „Markus Lanz“: Die Wärmepumpe erklärt viel über die Grünen

Die Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Ricarda Lang, erklärte den Skandal um Staatssekretär Graichen bei Markus Lanz. Ein paar Gedanken.

Ricarda Lang bei Markus Lanz vom 17. Mai 2023
Ricarda Lang bei Markus Lanz vom 17. Mai 2023ZDF Mediathek/Screenshot

„Warum diese Eile beim Heizungsgesetz?“ Das war eine der Kernfragen, die Markus Lanz der Parteivorsitzenden der Grünen, Ricarda Lang, gestern Abend gestellt hat – und auch Antwort bekam. „Warum überfordern Sie das Land?“, wollte er wissen. Von einer Brechstange war die Rede bei der Durchführung des Heizungsgesetzes und beim Pochen auf Wärmepumpen für das Land. Deutschland sei ja immerhin nur für zwei Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich, so die Erinnerung. Der Klimawandel werde anderswo entschieden, etwa in Lateinamerika, sagte Lanz.

„Deutschland hat eine Vorbildfunktion“, erwiderte Ricarda Lang. Als Industrieland müsse Deutschland vorangehen und anderen Nationen zeigen, dass es gehe, dass man den fossilen Brennstoffen entkommen könne. Und natürlich müsse man auf diese Wende pragmatisch schauen und auch für soziale Ausgleiche und Entlastungen sorgen. 

Die Dialektik der Grünen

Natürlich erntete Ricarda Lang sehr viel Kritik für solche Sätze. Sie bringt manche Menschen auf die Palme. Kerstin Münstermann, Journalistin von der Rheinischen Post, zum Beispiel, die aber ihre Kritik diplomatischer formulierte und ganz allgemein Anstoß nahm an der Kommunikation der Grünen. Die Bremen-Wahl sei ein Desaster für die Grünen gewesen, weil eben die Menschen deren „Brechstangen“-Politik nicht mittragen würden. Ob Impfung, Wärmepumpe oder Klimawandel: Die Grünen seien zu apodiktisch. Da waren sich Markus Lanz und Kerstin Münstermann einig. 

Wenn man ein wenig herauszoomt und sich die Debatte um die Wärmepumpe, den Rücktritt von Graichen, das Heizungsgesetz der Grünen genauer anschaut, dann stößt man auf Widersprüche oder, anders gesagt, auf ironische Wendungen der Geschichte. Denn die Grünen, eine der interessantesten Parteien der Bundesrepublik, die die Mehrheit der Deutschen so sehr triggert wie die vegane Currywurst in der Kantine, verheddern sich immer mal wieder gerne in dialektische Einbahnstraßen, die in der Geistesgeschichte im Zentrum vieler Dissertationen stehen, im Alltag aber oftmals unter den Teppich fallen. Die Grünen haben etwas Mephistophelisches an sich und lassen an die berühmten Verse von Goethe erinnern, die moralische Dialektik folgendermaßen beschreiben: „[Ich bin] ein Teil von jener Kraft, / Die stets das Böse will und stets das Gute schafft. ...“

Warum hat sich Robert Habeck nicht entschuldigt?

Bei den Grünen, so könnte man reißerisch sagen, ist es genau umgekehrt. Sie wollen das Gute, schaffen (nebenbei) das Böse. Man muss nicht Richard David Precht erst fragen, um die Essenz dieses Gedankens zu verstehen. Der späte Rücktritt von Patrick Graichen ist ein perfektes Beispiel. Die Kraft, die das Gute will und das Böse schafft, indem sie im Streben nach dem Richtigen, also nach vollen Gasspeichern und der grünen Wärmewende, bei der eigenen Personalpolitik die Parallelen zu britischen Thronfolgeregelungen nicht anerkennt, blind ist für das eigene Scheitern, die moralischen Verfehlungen in der Personalplanung und auch taub ist gegenüber einer demokratischen Kritik, die auch Robert Habeck übergeht, als wäre es ein großer blinder Fleck im grünen Selbstverständnis. Wer das Gute will, ist unfehlbar. Wer Wärmepumpen verschreibt, macht sich unbeliebt, will aber das Richtige. Das erklärt viel über die Grünen. Erst die Bremen-Schlappe konnte die Grünen daran erinnern, dass sie sich an ihren eigenen moralischen Standards messen lassen müssen. Jede McDonalds-Tüte in der Bahn, jede mafiöse Personalbesetzung kann da zum Verhängnis werden.

Am Mittwoch entließ Robert Habeck seinen Staatsminister endlich und verpasste, zu erkennen, dass er bei einer schnellen Entlassung als Sieger vom Platz gegangen wäre. Was gefehlt hatte, war eine Entschuldigung. Daran erinnerte übrigens Kai Diekmann in der Berliner Zeitung: Als Bild-Chefredakteur sah er Politiker kommen und gehen. Er fragte sich bei uns, warum sich Politiker so selten entschuldigen würden. Denn: „Nichts tun die Deutschen lieber, als jemandem zu verzeihen. In dem Moment, wo du jemandem verzeihst, erhöhst du dich ja auch selber, moralisch“, sagte Kai Diekmann. Warum hat das Robert Habeck nicht getan? Warum hat er sich nicht für die Affäre Graichen entschuldigt und dem moralischen Anspruch der Grünen damit Rechnung getragen? Vielleicht ist es ein Tipp fürs nächste Mal.

Die Grünen „triggern“

Aber zurück zu den Grünen und dialektischen Widersprüchen. Wer die Vehemenz, mit der die Grünen das Heizungsgesetz durchpeitschen, beobachtet, wird nicht umhinkommen, Ricarda Lang jene Sätze wirklich zu glauben, die sie auch bei Markus Lanz wiederholte: Die Grünen schauen nicht auf Umfragewerte, sie schauen nicht darauf, was das Volk will, wenn sie entscheiden, ihr Heizungsgesetz bereits im nächsten Jahr in die Realität übersetzen zu wollen. Sie denken ideologisch, an das Gute, an das Richtige, und nicht pragmatisch – und tun damit, nolens volens, etwas, das sie an anderer Stelle kritisieren. 

Konkreter: Wenn man genauer hinschaut, schreiben die Grünen dem Volk etwas vor, in der Überzeugung, dass es das Richtige, das moralisch Gute ist. Und wenn man das Heizungsgesetz sich anschaut, dann ist es tatsächlich, wissenschaftlich betrachtet, ein richtiges Gesetz. Es wird helfen, dass Deutschland seine Klimaziele erreichen kann. Es wird eine Vorbildfunktion für die Welt haben. Insofern ist es paradox, wenn Annalena Baerbock nach China reist und der chinesischen Regierung die Leviten liest. Eine Regierung, die es ebenso besser weiß, was das Volk will und daher Häuser ohne Volksbefragungen baut und Zugstrecken durch Wohnviertel jagt und dabei sich nicht darum schert, was das Volk will oder wo es sich beschwert.

Denn sowohl die Grünen als auch die chinesische Regierung wissen, dass das Volk eben auch Bremser ist, kompliziert und wankelmütig. Es schaut auf das Heute, nicht das Morgen. Zugegeben, etwas undemokratisch, aber manchmal moralisch richtig, so jedenfalls die Überzeugung vieler Regierungen. Ein etwas kruder Vergleich, aber die Parallelen, sie sind da und sie sind auch der Grund dafür, warum die Grünen die Bevölkerung so „triggern“.

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