Migration

Kommunen am Limit: Deshalb leben viele Flüchtlinge seit zehn Jahren in Containern

Die Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen deckt ein weiteres Problem auf: In den Unterkünften fehlt oft Platz, er ist blockiert. Die Gründe dafür sind hausgemacht.

Bis zu zehn Jahre verbringen Flüchtlinge in Brandenburg mitunter in Unterkünften.
Bis zu zehn Jahre verbringen Flüchtlinge in Brandenburg mitunter in Unterkünften.Patrick Pleul/dpa

Wegen der zu erwartenden Flüchtlingsströme schlagen immer mehr Kommunen und Gemeinden Alarm, viele sind an der Belastungsgrenze. Auch in Berlin sind die Kapazitäten erschöpft, es können kaum noch Menschen untergebracht werden. Dazu kommt noch ein ganz anderes Problem: Selbst die, die bereits hier leben, sind oft nicht ausreichend integriert. Manche Flüchtlinge leben bereits seit zehn Jahren in Containern, weil sie keine andere Bleibe finden.

„Wir kennen Menschen, die bereits zehn Jahre oder länger in den Gemeinschaftsunterkünften leben. Es gibt Kinder, die dort geboren und eingeschult werden. Das sind leider keine Einzelfälle und es gibt sie mehr oder weniger in fast allen Landkreisen“, sagt Vincent da Silva vom Flüchtlingsrat Brandenburg der Berliner Zeitung.

Auch in der Hauptstadt berichtet das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) von diesen Zuständen. Sprecher Sascha Langenbach sagt der Berliner Zeitung, dass manche seit fünf bis sechs Jahren in den Unterkünften lebten. Er erklärt: „Das hängt immer von den individuellen Gegebenheiten ab. Es gibt Menschen, die zum Beispiel seit mehreren Jahren in Containern leben, andere haben Wohnungen gefunden, dazu haben wir keine Zahlen. Im Prinzip sollte jemand nach sechs Wochen bis drei Monaten aus Aufnahmeeinrichtungen ausziehen. Das kann das LAF derzeit nicht mehr gewährleisten.“ In den Aufnahmeeinrichtungen erhalten die Flüchtlinge Vollverpflegung und Taschengeld.

Hinzu kommt, dass es Unterschiede in der Verweildauer von Flüchtlingen je nach Herkunftsland oder individuellen Umständen gibt. Sie müssen berücksichtigt werden. Langenbach sagt: „Sollte jemand eine Grenzübertrittsbescheinigung (Ausweisung) bekommen, wird er nicht in eine bessere Unterkunft verlegt.“

Dass Berlin an seine Grenzen wegen des Stroms an Geflüchteten stößt, stellt die Stadt seit geraumer Zeit vor Probleme. Bis Ende Juni wurden 7473 neue Flüchtlinge als Asylsuchende registriert, nach 4864 im Vorjahreszeitraum. Hinzu kamen 8502 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die einen anderen Aufenthaltsstatus als Asylbewerber haben. Bis Ende des Jahres werden weitere 5000 Flüchtlinge in der Hauptstadt erwartet.

Der Berliner Senat kommt daher bei der Schaffung von Unterkünften kaum hinterher. Zuletzt wurde die Zahl der Plätze mit etwa 34.000 angegeben, nur ein kleiner Teil davon ist frei. Die Lage ist derart angespannt, dass der Senat auf große provisorische Lösungen wie Leichtbauhallen auf dem ehemaligen Flughafengelände in Tegel zurückgreifen muss.

Flüchtlingsrat Brandenburg: Folge von ausgrenzender Massenunterbringung

Für Vincent da Silva vom Flüchtlingsrat Brandenburg ist die Situation lange nicht ernst genommen worden. Er sagt der Berliner Zeitung: „Nicht nur die Belegungszahlen in der Erstaufnahmeeinrichtung sind aktuell und auch mit Blick auf die nahe Zukunft auf jeden Fall herausfordernd. Auch die Beratung vor Ort ist stark überlastet und die Sprachkurse sind voll.“

Entscheidend sei jedoch, die Ursache nicht verkürzt in der aktuell hohen Zahl von neu ankommenden Schutzsuchenden zu sehen. „Sie liegt vielmehr in der jahrelang bewusst geführten Politik der ausgrenzenden Massenunterbringung, die zu den verheerenden Zuständen bei der Unterbringung geführt haben, wie sie heute allerseits beklagt werden“, so da Silva. Die Politik habe es deutlich verpasst, langfristige Strategien zu verfolgen und zu entwickeln, wie Menschen möglichst schnell dezentral in privatem Wohnraum untergebracht werden könnten. „Sie hat es insofern auch verpasst, den massiven Ausbau des sozialen Wohnungsbaus nicht erst dann in Angriff zu nehmen, wenn vielerorts bereits die Wohnraumkrise ausgerufen wird.“

Aber selbst kleinere, dafür schneller wirkende Maßnahmen würden nicht ergriffen, um die Belegungsengpässe schneller abbauen zu können. Da Silva sieht andere Ansätze, die umgesetzt werden sollten: „Eine flexiblere Unterbringungspolitik nach dem Vorbild der Aufnahme der Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet sind, würde die Kommunen und Landkreise entlasten und private Unterbringungslösungen erleichtern.“ Wer familiäre Anbindung habe und privat unterkommen könne, sollte von der Wohnpflicht in Sammelunterkünften und den starren Verteilregeln auf Länder und Kommunen ausgenommen werden; und für Menschen, die ein für sich passendes Wohnungsangebot gefunden haben, sollte die Wohnsitzauflage mit sofortiger Wirkung aufgehoben werden, so da Silva.

Was es perspektivisch und langfristig dringend brauche, sei „ein grundlegender Kurswechsel in der Unterbringungspolitik: Weg von der zentralisierten Massenunterbringung und hin zu dezentralem Wohnen“. Die Zeit für einen grundlegenden Paradigmenwechsel sei hier längst überfällig.

Landkreise in Bayern: Viele Geflüchtete leben seit 2015 in Unterkünften

Auch in anderen Bundesländern beklagen Landräte und Bürgermeister die hohe Auslastung. Das bayerische Fürstenfeldbruck, ein Landkreis bei München, zählt 220.000 Einwohner, darunter 4500 Flüchtlinge. Hunderte von ihnen wohnten aktuell in Gemeinschaftsunterkünften, sagt Landrat Thomas Karmasin der Berliner Zeitung. Mitunter harren sie dort bereits seit Beginn der Migrationskrise im Jahr 2015 aus. „Viele von ihnen haben deshalb keine Aussicht auf Integration“, so der CSU-Politiker.

Nach Angaben des Landratsamts von Fürstenfeldbruck leben von den Asylbewerbern, die zwischen Anfang 2015 und Ende 2016 in den Landkreis kamen, noch 284 Menschen in den Unterkünften. Sie belegten rund 14 Prozent der Wohnfläche, die auch in Fürstenfeldbruck knapp ist. Die sogenannte Fehlbelegungsquote liege bei etwa 60 Prozent.

Das heißt: Drei von fünf dieser Asylbewerber haben vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) einen Anerkennungsbescheid erhalten, sie könnten also in eine private Wohnung ziehen – wenn es sie denn gäbe. Aus dem Landratsamt von Fürstenfeldbruck heißt es, dass der Wohnraum vor allem im Umkreis von München knapp und teuer sei. Und viele anerkannte Asylbewerber sind auf Bürgergeld angewiesen.